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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

nichts als eine einfache Herzlichkeit, die ihr entgegen getreten, und der, welcher sie ihr geboten, stand weder in gesellschaftlicher noch geistiger Beziehung auf einer Stufe mit ihr; aber es war ein Sonnenstrahl, den gerade jetzt ihre Seele bedurfte, und ohne daß sie daran dachte, jemals einen Nutzen daraus ziehen zu wollen, war es ihr doch, als stehe sie nicht mehr so vereinsamt und haltlos, als sie sich bisher gefühlt. Sie überlegte gelassen das Geschehene. Die Dame des Hauses hatte wieder eine Gelegenheit benutzt, um ihr eine Demüthigung zuzufügen; aber Lucy konnte zuletzt auch darüber hinaus kommen, um dem Vertrauen des Majors genug zu thun und sich selbst zu sagen, daß sie gelernt habe, sich zu fügen, selbst wo dies schwer sein mochte. Ruhig lag sie den Geschäften, welche der Morgen noch für sie hatte, ob, und selbst als die Mulattin sie mit einem Gesichte zu Tische rief, das von einer nur mühsam überwundenen Erregung sprach, vermochte sie dieser beruhigend auf die Schulter zu klopfen und sie zu ermahnen, nicht noch der Wirthschafterin die Freude zu machen, sich an ihrem Aerger weiden zu können. ——

Es war am späten Nachmittag, als sie mit den Kindern von einem Spaziergange zurückkehrte. Auf dem Rasenplatze vor dem Hause stand eine kleine Gesellschaft ältlicher und jüngerer Damen, augenscheinlich im Abschiednehmen von der Schwester des Majors begriffen, und Richard nannte schon von Weitem die Namen Einzelner derselben und bezeichnete sie als nahe Nachbarn. Lucy überflog mit unwillkürlicher Theilnahme die ihr zugewandten Gesichter. Das waren die Elemente, aus welchen sich leicht ein Umgangskreis für sie hätte bilden können, wenn ihr nur durch eine einfache Vorstellung Gelegenheit geboten worden wäre, sich geltend zu machen, und ihr Auge traf auf manche Züge, die ihr reges Interesse weckten. Da sah sie, wie sich einzelne Köpfe nach ihr drehten, um sich indessen nur schnell wieder zurückzuwenden und eine gleich kurze Aufmerksamkeit Anderer auf sie zu lenken; sie sah, wie Mrs. Lowell eine steife Kopfhaltung annahm und die Oberlippe verächtlich hob, wie die Gesichter der Uebrigen fast nur den Wiederschein des ihren zu bilden begannen, wie augenscheinlich die bisherige Conversation verstummte, und blitzschnell stieg die Erkenntniß in dem Mädchen auf, daß der Haß ihrer Gegnerin sich ein noch weiteres Feld als den Kreis ihres Hauses gesucht, daß durch irgend ein Mittel selbst jeder möglichen Freundlichkeit der Nachbarschaft gegen die Erzieherin vorgebeugt worden war. Ein mit tiefer Bitterkeit gemischter Stolz hob sich in ihr, als sie die halb neugierigen, halb unfreundlichen Blicke bemerkte, die bei ihrem Nahen auf sie fielen, während die Dame des Hauses ihr den Rücken zudrehte und mit den ihr Nächststehenden ein Gespräch über das Wetter begann. Mit hochgehobenem Kopfe, die Hände der beiden kleinen Mädchen festfassend, schritt sie an der Gesellschaft vorüber, verneigte sich leicht und betrat das Haus. Sie hörte, wie Richard hinter ihr angerufen wurde, aber ohne zurückzublicken, schritt sie nach ihrem Zimmer und blieb hier, die Kinder von sich lassend, in der Mitte des Raumes stehen. War das nicht mehr, als selbst ein ruhiges Gemüth zu ertragen vermochte? Was auf Erden konnte es wohl geben, das ihr, unbetheiligten Fremden gegenüber, zum Vorwurf gereichen, das ein Begegnen wie das eben erlittene rechtfertigen konnte, wenn ihre Feindin nicht die Lüge und die Verleumdung zu ihren Bundesgenossen gemacht? War aber dies Verfahren einmal gegen sie eingeschlagen, so konnte doch ihr Aufenthalt hier kaum anders als in einem Ruin ihres guten Namens enden, hier, wo sie nur an der Wirkung zu erkennen vermochte, was gegen sie geschah, ohne nur die Möglichkeit einer Vertheidigung für sich zu haben! Und warum ging sie denn nicht und überließ ihren Feinden das Feld, auf dem ihr, doch niemals ein Segen erwachsen konnte?

In einem Zwiespalte mit sich, der ihr den Glauben an die eigene Energie zu rauben drohte, sah sie Richard eintreten, der mit einer Art von Siegesmiene auf sie zuschritt. „Sie sind böse auf Sie da unten, Miß Lucy, ich hab’s wohl gemerkt, als sie mich ausfrugen; aber ich habe es ihnen gesagt!“ begann er mit blitzenden Augen. „Ich habe gesagt, Miß Lucy ist unsere neue Mama, der Niemand weh thun soll; Pa hat sie lieb und wir haben sie lieb. Tante Lowell und die Wirthschafterin mögen fortgehen, wenn sie wollen, hat Pa gesagt, aber Miß Lucy bleibt hier! Tante Lowell hat mich dafür schlagen wollen, aber sie ist nicht schnell genug gewesen!“ Er lachte lustig auf und sprang nach dem anstoßenden Zimmer; dem Mädchen aber war das Blut in’s Gesicht getreten, sie wußte selbst nicht warum; es waren nur kindische Worte, die sie gehört, und doch meinte sie noch von nichts so warm und wohlthuend im Herzen berührt werden zu sein, und erst nach einer Weile tauchte langsam der Gedanke in ihr auf, daß die ihr augenblicklich gewordene Genugthuung doch kaum zu etwas Anderem führen könne, als die Erbitterung ihrer Gegnerinnen nur zu vermehren. Sie saß nieder am Fenster und begann von Neuem über ihre Lage zu grübeln, bis ihr der Kopf weh that; von drüben blickte ihr das Gartenhaus wie ein verkörpertes Geheimniß entgegen; das Gesicht des Majors in eigenthümlichem Zusammenhange mit den seltsamen Worten der Wirthschafterin trat vor sie, und wirre, abenteuerliche Vermuthungen begannen sich in ihr zu bilden, bis endlich Flora’s Eintritt, welche zum Abendessen rief, sie ihrem Hinbrüten entriß.

Es war dunkel geworden, die Zeit, in welcher die Kinder zum Schlafen gebracht wurden, fast fürchtete sich aber Lucy vor dem Alleinsein und ihren Phantasie-Gebilden. Morgen früh beim klaren Sonnenlichte wollte sie einen klaren Entschluß fassen, heute in ihrem erregten Zustande aber jeden Gedanken daran von sich werfen. So nahm sie ihre Zöglinge mit sich in das Zimmer, wo das Piano stand, ließ die kleine Maggy auf ihrem Schooße sitzen und erzählte eine lange Geschichte; als aber das kleine Mädchen am Ende derselben fest eingeschlafen war, hob sie es leise herab, bettete es in den Schaukelstuhl und setzte sich dann zum Piano, dem, was in ihr lebte, was sie drückte, in den Tönen des prächtigen Instruments Ausdruck gebend; Lotty hatte sich bald einen niedrigen Schemel neben sie gezogen, den Kopf an ihren Körper gelehnt und die Augen geschlossen, während Richard auf einem Stuhl in der Fenstervertiefung nur eine kurze Zeit langer gegen seine Müdigkeit kämpfte, und erst nach geraumer Weile ließ Lucy mit einem tiefen Athemzuge die Hände von den Tasten gleiten. Als sie aber jetzt nach den Kindern um sich blickte, begegnete ihr Auge dem des Majors, welcher, bequem auf dem Sopha im Hintergründe niedergelassen, den Blick wie in voller Selbstvergessenheit auf sie geheftet hielt, und Lucy fühlte eine plötzliche Verlegenheit über sich kommen, als sei das Geheimste ihren Herzens belauscht worden. „Ich wußte nicht, Sir, daß Sie hier waren!“ sagte sie, sich nach dem Kinde an ihrer Seite niederbeugend.

„Bin ich Ihnen lästig, Miß, so gehe ich,“ erwiderte er, den Kopf rasch hebend, und Lucy sah im Aufblicken eine tiefe Falte sich zwischen seine Augen legen, „ich will Sie nicht hier vertreiben!“

Fast meinte das Mädchen einen Anflug von Bitterkeit in seinen Worten zu hören, und eine Ahnung der gänzlichen Gemüthlosigkeit, in welcher der Mann im eigenen Hause leben mochte, beschlich sie. „Ich glaube doch kaum etwas Derartiges gesagt zu haben,“ versetzte sie mit unwillkürlicher Herzlichkeit, „ich war nur überrascht, nicht mit den Kindern allein zu sein!“

„Und sind Sie des hiesigen Alleinseins noch nicht müde?“ fragte er, ohne den Ausdruck seiner Züge zu ändern. Lucy aber begegnete einem so scharf beobachtenden Blicke, daß sie eine größere Bedeutung in der Frage suchen mußte, als in den einfachen Worten zu liegen schien. Halte er etwas von den ihr gewordenen Kränkungen erfahren?

„Ich habe voraussehen können, daß ich völlig ohne Umgang und Gesellschaft sein würde,“ erwiderte sie zögernd, „wenn dies auch unter einigermaßen andern Verhältnissen nicht durchaus nothwendig gewesen wäre –“

„Und jedenfalls ist die Sache unangenehmer als sie schien, wollen Sie sagen!“ unterbrach er sie. „Sie haben Recht, und ich hätte das Kommende wissen können. Sie haben heute Besuch gehabt, Miß?“

Sein Ton war von einer so sonderbaren Schroffheit, daß das Mädchen kaum wußte, wie ihn zu deuten, oder welche Antwort zu geben. „Ich habe allerdings Besuch gehabt, Sir,“ erwiderte sie, ihre Haltung zusammenraffend, „einen Landsmann von mir, der sich meiner in einer frühern dringenden Verlegenheit angenommen; aber ich weiß durchaus nicht, in welcher Beziehung er zu der vorigen Frage stehen soll –“

Sein Blick ruhte im finstern Forschen auf ihr. „Very well, Miß,“ sagte er nach einer kurzen Pause, „Sie haben ein Auge, das sich kaum zum Lügen eignet, und ich frage nicht weiter nach der Beziehung dieses Mannes zu Ihnen. Flora hat mir einzelne Dinge von den Vorgängen im Hause hinterbracht, die mich um Ihre Festigkeit besorgt machten, und kaum hätte ich es Ihnen verdenken

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