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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Unantastbar steht der Privatcharakter der „Verfasserin“ par excellence da. Wo es gilt, ein Talent, sei es in welcher Richtung, zur Geltung zu bringen, immer ist „die Mutter“ mit ihrer vielvermögenden Hand bereit und einen gar nicht unbedeutenden Theil ihrer Tantiemen verwendet sie auf Unterstützung hülfloser Menschen.

Machen wir jedoch der Dame einen Besuch. Wir flaniren unter den Linden in Berlin. Von da bis zur Krausenstraße Nr. 70, Ecke der Friedrichsstraße, ist nicht mehr gar weit, und die zwei Treppen, freundlicher Leser, wirst Du auch noch steigen können.

Also vorwärts!

Wir klingeln. Ein männlicher Kopf mit weißgrauem, vollem Haar und schwarzem Schnurrbart erscheint. Es ist Gustav, der geflügelte Merkur des Hauses, allen Besuchern desselben wohlbekannt. Gustav ist kein gewöhnlicher Diener, er vergißt zwar leicht, aber schadet nichts, er hat doch „Sinn für das Höhere“. Gustav steht mit allen Künstlerinnen, und deren kommen nicht wenige in ein Haus, aus dem so gute Rollen hervorgehen, auf dem besten Fuße und besitzt seine persönlichen Bekanntschaften alle in einem photographischen Album. Gustav servirt immer in Escarpins und ist glücklich, wenn die schöne K. eingeladen ist, um ihr aus lauter Verehrung in der Zerstreuung die Bratensauce auf das seidene Kleid zu schütten. Gustav ist auch der beste Beurtheiler dramatischer Neuigkeiten. Die Stücke seiner Herrin stehen ihm natürlich am höchsten.

„Haben Sie gestern das neue Stück gesehen, Gustav?“

„Zu dienen, Herr Doctor.“

„Wie war’s?“

Gustav zuckt die Achseln, und das ist bedenklich.

„Der Autor,“ meint er, „hat Talent – ein hübsches Talent, aber noch gar kein Geschick. Und dann bin ich eben nicht sehr portirt für Stücke mit weißer Wolle.“

„Was meinen Sie damit?“

„Nun, eben Stücke aus den alterthümlichen Zeiten, in denen die Inexpressibles noch nicht in der Mode waren und alle Leute in weißem langweiligen Wollenzeuge gingen.“

„Ah so!“

„Aber wenn es den Herren beliebt, die Frau Doctorin sind in ihrem Zimmer.“

Damit will Gustav fein ausdrücken, daß uns nicht der mit blauem Damast garnirte, mit exotischen Gewächsen, Statuen und Oelgemälden geschmückte große Salon zum Aufenthalte angewiesen wird, sondern daß uns die besondere Gunst zu Theil wird, von „Frau Doctorin“ in ihrem Arbeitszimmer empfangen zu werden.

Fürchte Dich nicht, mein freundlicher Leser und Begleiter, daß Dir eine hagere, lange Figur mit einem rothen, kühn um die Schultern drapirten Shawle, einer unaussprechlichen Coiffure und einem gelehrten Citate entgegentreten wird, Du kommst zu keinem Blaustrumpfe, sondern zu einer Frau, die nichts weniger als hager, in einem grünsaffianenen kleinen Lehnstuhle sitzt, die in ihrer äußeren Erscheinung jede Extravaganz sichtlich zu vermeiden scheint, ein graues Wollenkleid trägt, die natürlich und freundlich wie jeder andere wohlwollend gesinnte Mensch zu Dir spricht, bei Deinem Eintritt die Brille ablegt, bei der ersten Begrüßung vielleicht über Kopfweh oder sonst ein Uebel klagt, dann aber dieses vergessend die Unterhaltung voll frischen Humors weiter führt.

Das ganze Zimmer ist grün, grüne Tapeten, grüner Teppich, grüne Vorhänge, an den Wänden umher sind die Bilder von Collegen oder Freunden des Hauses angebracht. Unter Letzteren sehen wir Schönlein, den großen Arzt, den berühmten Rechtslehrer von Keller, umgeben von Ansichten von Zürich, wo sich das Freundschaftsband mit diesen Männern geknüpft hat. Da ist auch eine Abbildung der königl. preußischen Dampfjacht „Grille“, welche von dem hochseligen Könige, dem besonderen Gönner der Verfasserin, bekanntlich ihren Namen nach dem Stücke derselben erhalten hat. Vor dem Schreibtisch baut sich eine andere Bilderwand auf, die besonderen Günstlinge aber haben ihren Platz auf dem Schreibtische selbst. Da ist die anmuthige Herzogin v. B., von ihr selbst geschenkt, die kleine Goßmann in verschiedenen Birch’schen Rollen, aus früheren Zeiten Charlotte von Hagen und an der Spitze aller Uebrigen die einzige Tochter der Schriftstellerin, die Hofgerichtsräthin v. H. in Freiburg, eine Frau von hoher geistiger Begabung. Auf diesem Schreibtisch, von welchem die Waise von Lowood, die Grille etc. ausgegangen sind, liegen Manuscripte, Zeitungen, Bücher, fliegende Zettel, erbrochene Briefcouverts, Büchschen und Fläschchen aller Art wirr und zerstreut durcheinander, aber nur auf den ersten Anblick. Der zweite überzeugt uns, daß in dieser Unordnung die größte Ordnung ist. Jeder Zettel, jeder Streifen Papier hat seinen bestimmten Platz. Auf einem hochgesteckten Zettel sind die Namen der Almosenempfänger des heutigen Tages oder derjenigen Personen aufgezeichnet, an die im Laufe des Tages Briefe geschrieben oder Aufträge bestellt werden müssen.

„Außer der trefflichen Herzogin von Orleans hat wohl noch keine Dame soviel Briefe geschrieben, wie Sie, Frau Doctorin?“

„Ja, wenn ich doch, wie die Liselotte von der Pfalz, immer nur an Freunde schreiben dürfte, aber so kommt eine Masse Dinge an mich heran, die mich innerlich gar nicht berühren. Und doch darf ich ein an mich gerichtetes Vertrauen nicht unerwidert lassen, und könnte ich darauf auch nur mit einem wohlwollenden Worte antworten. Bitte Sie, bin im Leben genug darüber gescholten worden, daß ich nicht unter die Classiker gegangen bin; welches Recht hätten die guten Leute erst, wenn ich auch noch unhöflich würde! Ich bin eine alte Frau, habe mich von Welt und Geselligkeit so ziemlich zurückgezogen, Arbeiten ist mir ein Bedürfniß, um so mehr, als ich nur fünf Stunden des Tages habe, von 5 bis 10 Uhr Abends, wo ich über meine Geister gebieten kann. Ich habe wieder etwas unter der Feder, aber wann ich es vollenden werde? – ich weiß es nicht. Vor Allem muß ich hinaus in die Sommerfrische. Wenn wir auch nur immer die Wirkungen unserer Sachen vorausbestimmen könnten! Wir arbeiteten um ein halb Theil so leicht. Aber mir ging es immer so, daß gerade die Sachen, auf die ich alles Vertrauen setzte, fehlschlugen, und andere Stücke, die ich Anstand nahm hinauszugeben, das meiste Glück gemacht haben. Das Publicum ist ein wunderlich Ding.“ Hier nimmt die Verfasserin aus einer kleinen, goldenen Dose eine Prise.

„Entschuldigen Sie, meine Herren, ich weiß zwar, daß Schnupfen für eine Frau ein großes Laster ist; Sie werden mir aber verzeihen, wenn ich Ihnen sage, daß dieses große Laster meinen Augen sehr wohl thut.“

Die kleine goldene Dose, aus der sie den Tabak nimmt, erregt durch ihre eigenthümliche Form unsere Aufmerksamkeit. Wir besehen sie näher, sie erregt unsere Bewunderung durch ihre wundervoll getriebene Arbeit.

„Die Arbeit ist auch nicht von heute,“ erklärt Frau Birch-Pfeiffer. „Diese Dose ist ein Geschenk Ludwigs XIV. an einen Vorfahren meines Mannes, einen Dänen, der in irgend einer diplomatischen Angelegenheit an den Hof von Versailles gesandt worden war.“

„Und diese Dose ist wohl auch das magische Medium, vermöge dessen es Ihnen so gut gelang, sich in die galante Zeit von Versailles zurückzuversetzen, die alte Maintenon und Ludwig XIV., Mazarin mit seinen Nichten zu belauschen und den flatterhaften Herzog von Richelieu auf seinen Liebesabenteuern zu verfolgen?“

„Vor Allem aber erhält sie mir den Tabak frisch, und das ist ihr erster Vorzug,“ ist die bündige Antwort der Verfasserin.

Wie viele interessante Menschen haben in diesen Räumen wohlwollende, wahrhaft mütterliche Aufnahme gefunden! Eine der bedeutendsten Erscheinungen auf diesem Boden war jedenfalls Jenny Lind, als sie zum ersten Male nach Berlin kam. Bekanntlich hatte Meyerbeer die berühmte Schwedin zur Aufführung seines Feldlagers nach Berlin kommen lasten.

Meyerbeer,“ erzählte Frau Birch-Pfeiffer, „hatte mich gebeten, mich des Mädchens anzunehmen, vor Allem aber sie deutsch vocalisiren zu lehren, da sie bisher nur schwedisch und italienisch gesungen hatte. Meyerbeer brachte sie zu mir. Sie kam aus Paris, sah aber gar nicht nach Paris aus. Ein großer Hut, ein unscheinbares Kleid, und ein fast abgetragener Wollenshawl war ihre Pariser Toilette, und dabei benahm sie sich so ängstlich und eckig, daß ich wirklich nicht wußte, was ich aus, diesem Wesen machen sollte. Meyerbeer wollte mich vor Allem ihre Stimme hören lassen, öffnete das Clavier und schlug die ersten Töne der Arie der Alice aus dem Robert an. So wie die ersten Töne erklangen, war dieses scheue, zurückhaltende Geschöpf plötzlich Leben und Feuer, legte rasch den Hut ab, warf den Shawl fort und sang nun die Arie mit jener wundervollen Engelsstimme, die schon nach den ersten Takten mir die Thränen aus den Augen lockte. Ich war, ehe ich die Stimme gehört, noch nicht entschlossen, ob ich die Verpflichtung übernehmen sollte, aber nun war ich keinen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_695.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)