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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Der König erzählte dem Vater dieses Intermezzo und fügte lachend zu dem Mädchen bei: „Aber merk’ Dir das für die Zukunft, die Herren haben es nicht gern, wenn man sich in religiösen Dingen zu neugierig zeigt. Aber Pfeiffer, nun sage mir – das Mädchen scheint Geist zu haben – was soll denn aus ihr werden?“

„Majestät, das ist eben mein einziger Kummer,“ antwortete der Vater mit einem tiefen Seufzer.

„Kummer? Wie so Kummer? Rede!“

Statt des Vaters nahm aber jetzt die Tochter das Wort, wohl fühlend, daß der Augenblick gekommen sei, der ihr Schicksal entscheiden sollte.

„Ich wüßte schon, Majestät, was aus mir werden sollte, und wozu ich den Drang und das Talent in mir verspüre. Ich möchte am allerliebsten zum Theater gehen.“

„Theater?“ wiederholte der König. „Wie ist Dir denn dieser Gedanke gekommen, Mädchen?“

„Ich selber trage die Schuld, Majestät,“ nahm der Vater für die Tochter das Wort. „Der Schiller – der verwünschte Schiller!“

„Was hast Du denn gegen den Schiller?“

„Was ich gegen ihn habe, Majestät? Viel – sehr viel. Aber freilich habe ich selbst dem Mädchen immer von ihm erzählt und sie auf seine Werke aufmerksam gemacht. Majestät, Schiller war mein Stubencamerad auf der Carlsschule, wir haben zusammen in einem Zimmer gewohnt, und ich war derjenige, der das Manuskript der „Räuber“ vor den Augen der Aufseher in das Bettstroh versteckt hatte. Hätte ich aber gewußt, daß mein Herr Camerad mein Kind auf solche Gedanken bringen würde, Majestät, wahrhaftig, ich hätte die Räuber ausgeliefert. Dann wäre es mit der ganzen Dichterei zu Ende gewesen.“

Der König lachte über den halb ernsten, halb komischen Ausbruch des biederen Mannes. „Also zum Theater willst Du gehen?“ wandte er sich wieder gegen die Tochter.

„Aber der Vater, Majestät – der Vater will nicht, er sagt, das sei für die Tochter aus einer guten Familie keine Carriére. Darüber werde in der ganzen Stadt München gesprochen werden.“

„Dummes Zeug, Alter! Du bist ein braver Mann, was kann Dich das Gerede kümmern? Und wenn das Mädchen Lust und Talent hat, so soll sie dem Zuge auch folgen, wie sich auch die müßigen Mäuler darüber verziehen mögen. Es bleibt dabei. Dein König will’s. Das Mädchen soll zum Theater. Der Zuccarini soll ihr lehren, was sich lernen läßt, und wenn sie soweit ist, dann lass’ mir’s sagen, damit ich komme und applaudire.“

Dieses Mädchen war Charlotte Birch-Pfeiffer, und diese Scene mit König Max Joseph dem Gütigen ist gerade so vorgefallen, wie wir sie unseren Lesern erzählt haben.

„Die Lottl“ war in ihrem dreizehnten Jahre geistig wie körperlich so weit entwickelt, daß sie bereits im Jahre 1813 in einem Stücke von Plötz, „Moses Errettung“, auf der Bühne des damals unter der königlichen Hoftheaterintendanz stehenden Isarthortheaters zum ersten Male in einer Liebhaberinrolle auftreten konnte. Der König hatte sein Versprechen gehalten, er wohnte der Vorstellung bei und applaudirte nach Kräften. Nach mehreren Engagements an verschiedenen Theatern machte die junge Künstlerin im Anfang der zwanziger Jahre eine größere Gastspielreise, die sie nach Hamburg führte, wo sie mit dem größten Beifalle zwanzig Gastrollen gab, und später nach Berlin, wo sie berufen war, die Stelle der Crelinger, damaligen Mdme. Stich, welche durch unliebsame Vorfälle für einige Zeit für die Bühne des königlichen Schauspielhauses unmöglich war, auszufüllen. Hier hatte sie sich des Beifalles von Zelter zu erfreuen, dessen Bekanntschaft sie auch später machte und der sich in einem seiner gedruckten Briefe an Goethe voll Anerkennung über sie ausspricht. Geist und Bildung brachten sie bald mit Varnhagen, der Rahel, deren Bruder Ludwig Robert, mit Gans[WS 1] und der Familie Beer zusammen, von der Michael Beer, der Verfasser des Struensee, dem wenn auch nicht schönen, doch in hohem Grade anziehenden Mädchen besondere Aufmerksamkeit widmete, und Giacomo Meyerbeer der Frau bis zur Stunde ein treuer Freund geblieben ist. Nach mehreren Gastspielen in Holland, in Petersburg privatisirte Frau Birch-Pfeiffer, nach ihrer Verheirathung mit dem trefflichen Publicisten Dr. Birch, in München, übernahm 1837 das Theater in Zürich und gab dasselbe im Jahre 1844 auf, einem Rufe Küstner’s nach Berlin folgend, um im dortigen Schauspielhaus die Stelle der Frau Amalie Wolf, geborenen Malcolmi, Goethe’s Liebling, einzunehmen.

Wir haben es an dieser Stelle weniger mit der Schauspielerin, als mit der dramatischen Schriftstellerin zu thun. Die erste, welche Frau Birch-Pfeiffer ermunterte, als Bühnenschriftstellerin aufzutreten, war keine geringere als die Rahel. Es war bei dem ersten Auftreten der Künstlerin in Berlin in dem Raupach’schen Stücke „Die Fürsten Kawanski“. In einer Parterreloge des Hauses saß die Schwester der Debütantin. Plötzlich hörte sich diese von einer neben ihr sitzenden Dame mit den Worten angeredet: „Sie sind die Schwester der Fräulein Pfeiffer.“ – „Woher wissen Sie das?“ fragte nach der ersten Ueberraschung die Schwester. – „Woher?“ lächelte Rahel. „An Ihrer Angst und aus Ihrem Gesichte. Übrigens haben Sie keine Sorge, die kommt durch. Mein Name ist Varnhagen. Machen Sie mich mit Ihrer Schwester bekannt.“

Die Bekanntschaft wurde noch an demselben Abend gemacht, und beide Frauen führten durch mehrere Jahre einen sehr lebhaften Briefwechsel. Rahel war immer diejenige, welche die Künstlerin antrieb, die Feder für die Bühne in die Hand zu nehmen.

Das erste Stück der Bühnenschriftstellerin war „der böhmische Mägdekrieg“ und erschien 1828 auf dem Theater an der Wien. Jedoch begann erst mit „Pfefferrösel“ die Reihe jener sprüchwörtlich gewordenen Erfolge, die ihren Namen populär gemacht haben, wie selten einen, Erfolge, wie sie auf der deutschen Bühne bisher nur Kotzebue aufzuweisen hatte, dessen die deutsche Bühne sich ebenso wenig wie seiner Nachfolgerin zu schämen braucht. Mit dem letzten Stücke „der Goldbauer“ hat Frau Birch-Pfeiffer ihr neunundsiebzigstes Stück geschrieben. Als einst ein berühmter Schriftsteller in Zürich sie fragte: „Wie machen Sie es nur, daß Sie solche Erfolge zu Wege bringen?“ antwortete sie ihm: „Das will ich, Ihnen sagen, Sie schreiben mit dem Kopfe, ich mit meinem Herzen.“ Sie hatte damit das Geheimniß ausgesprochen. Gemüth, eine hie und da etwas derbe Herzlichkeit und eine unverwüstliche innere Frische sind neben einem bedeutenden schriftstellerischen und dramatischen Talent die Ingredienzien, welche ihr die Gunst des Publicums durch so viele Jahre gesichert haben. Dabei sind drei Dinge bei ihrer Thätigkeit für die Bühne nicht außer Acht zu lassen. Kenntniß der Bühne, des Publikums und des Lebens. Fürwahr, es erfordert einen ungewöhnlichen Fond von Geist, neunundsiebzig Stücke zu schreiben, von denen ein Drittel Originalarbeiten und zwei Fünftel Repertoirestücke geworden sind, und immer wieder etwas Neues, Fesselndes und Spannendes zu bringen, um die mit jedem Stücke sich steigernden Ansprüche des Publicums zu befriedigen. Es ist wahr, daß Shakespeare und Schiller bessere Dramen geschrieben haben, als die Birch-Pfeiffer, und daß man an ihre Erzeugnisse nicht den höchsten künstlerischen Maßstab legen darf, aber schon in der großen classischen Periode unserer Literatur war Kotzebue neben Schiller und Goethe ebenso gut für die Bühnen eine Nothwendigkeit, wie die Birch-Pfeiffer heutzutage, wo wir noch dazu keinen Goethe und keinen Schiller mehr am Leben haben. Sie amüsirt das Publicum, sie füllt die Theaterkassen, und die Bedingung einer idealen Kunstrichtung ist eben nur eine gefüllte Theaterkasse. Daß wir aber keinen Ueberfluß, wir wollen gar nicht sagen an guten, sondern nur brauchbaren neuen Bühnenstücken haben, möge eine statistische Notiz beweisen. Von hundert im letzten Vierteljahr bei der General-Intendanz in Berlin eingereichten Stücken waren erst zwei, die für die Bühne brauchbar waren, und dabei wird jedes Stück von sechs Personen gelesen.

Uebrigens gehörte von Seiten einer Frau ein wahrhaft männlicher Muth dazu, weniger um die Spießruthenhiebe der Kritik zu ertragen, als sich durch dieselben aus dem einmal betretenen Wege nicht irre machen zu lassen. Schon dieser Muth der Ueberzeugung muß uns Achtung einflößen. In Frankreich hätte diese Frau mit ihrer Productionsfähigkeit ihren Platz unmittelbar neben Scribe erhalten, und ein französisches Journal nannte sie jungst auch „un auteur français que le hasard a fait naître en Allemagne.“

Wenn jede Kritik gegen die Birch-Pfeiffer ein Pfeil gewesen wäre, es existirte von ihr schon längst kein Härchen mehr. Und wenn die Gegner nur die Gegner ihres Princips, nicht ihrer Erfolge gewesen, wenn sie nur bei dem Papier geblieben wären! Aber nein! Am Morgen der Ausführung eines Stückes ließ ihr der vormärzliche Polizeipräsident von Berlin, Herr v. M., sagen, daß eine Partei sich gebildet, mit der Absicht, das Stück am Abend auszupfeifen. Die Verfasserin möge sich dadurch nicht abschrecken lassen, es seien alle Vorkehrungen dagegen getroffen worden. Es waren aber keine Vorkehrungen nöthig. Das Stück war „Dorf und Stadt“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ganz
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_694.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)