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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Bastei, nach ihm die Christiansburg genannt, nun schon lange nicht mehr zugänglich. Das ehemalige Zeughaus, die beiden Casernen, das Commandantenhaus sind sehr ansehnliche Häuser, das letztere noch ein Bau des letzten Markgrafen Alexander, der noch einmal Besitzer der beiden Fürstenthümer (Ansbach und Baireuth) diese an die Krone Preußen abtrat und mit seiner Gemahlin, der bekannten Lady Craven, nach England ging, wo er 1806 starb.

Die breite, gut gehaltene Fahrstraße brachte uns von hier weiter bergauf durch freundliche Gartenanlagen auf das Rondal, ein nach Westen scharf vorspringendes, mehr als halbrundes Befestigungswerk, jetzt ein prächtiger Altan, der hinsichtlich der Kühnheit seines Baues und der überraschend reizenden Aussicht auf das Städtchen, das liebliche Mainthal und die Berge zu beiden Seiten desselben wenig Nebenbuhler haben dürfte. Mein Freund hielt uns einen historischen Vortrag über die Bergfeste und deutete die einzelnen Punkte der vor uns liegenden reichen schönen Landschaft. Als wir uns lange gelabt, gingen wir östlich durch ein festes Thor und betraten den Haupttheil der Akropolis, „die obere Burg“, auch „das Schloß“ und „der schöne Hof“ genannt.

Der „schöne Hof“ auf der Plassenburg.

Niemals bin ich von einer Bauanlage so überrascht worden, wie von diesem Hofe. Ich hatte einen Hof erwartet, wie ich ihn auf vielen noch erhaltenen Burgen und alten Schlössern gesehen, und ich erblickte einen in ungewöhnlicher, südländischer Ornamentik und großartiger Architektur prangenden wohlerhaltenen Kunstbau, der den geräumigen, hellen, regelmäßig viereckigen Hof umschließt. In jeder Ecke erhebt sich ein Thurm, an der Nordseite fallen sechs dicke alte Säulen in byzantinischem Styl ins Auge, am interessantesten aber sind die an den Stockwerken der übrigen innern Seiten übereinander sich hinziehenden Bogenlauben (Bogen- oder Laubengänge, Arcaden) mit reicher Arabesken- und Portraitssculptur. An der Westseite, durch die wir eingetreten waren, zeigte uns eine Inschrift den Eingang zu den kolossalen Weinkellern. Wie unser Geschichtskundiger versicherte, war er einst mit vollen Stückfässern dicht besetzt, die an Größe und Dauerhaftigkeit dem berühmten Heidelberger Fasse nichts nachgaben. Diese Fässer voll Wein, die Gemäldegallerie und das Archiv mit der Bibliothek waren die drei berühmtesten Sammlungen der Plassenburg. Die Gemälde bestanden zumeist aus den Bildnissen sämmtlicher Personen des hohenzollernschen Fürstenhauses; das Archiv war einen der reichsten in Deutschland, und der berühmte originelle Ritter Lang mehrere Jahre dessen Vorsteher. Sie sind alle ausgewandert, die Fürsten, die Hofleute, die Weinfässer, die Urkunden und die Bilder, aber es herrschte nichts desto weniger reges Leben auf dem schönen Hofe und in den Gemächern, das Leben der zahlreichen hantirenden Sträflinge. Es fiel uns sogleich auf, wie reinlich, gesund und wohlgenährt die Leute aussahen.

„Nahrhafte Kost, frische Bergluft und mäßige Arbeit stärken sie, und die schönen Räume wirken unbewußt erheiternd auf ihr Gemüth,“ sagte mein Freund. In der That mögen Züchtlinge kaum noch irgendwo so fürstlich schön und gesund wohnen.

Der Director der Anstalt nahm uns mit urbaner Freundlichkeit auf und ließ uns durch seinen ersten Unterbeamten herumführen. Wir traten in die Arbeitssäle, wo einst Fürsten banketirt, in Küche und Backhaus, in die Schlafzimmer, und fanden überall die musterhafteste Ordnung und Reinlichkeit, die mich ungemein befriedigten. Die Aufseher hatten gar nicht so bärbeißige Gesichter, wie sie mich in andern Strafanstalten verletzt; man sah es den Sträflingen an, daß sie sich nach ihren Umständen wohl befanden. Es ist eine schöne Blüthe der fortschreitenden Gesittung, wenn der Verbrecher mit Humanität behandelt wird und man ihn fühlen läßt, daß man den Menschen noch in ihm ehrt, während er seine der Gesellschaft schuldige Sühne büßt. Dies ist ein besseres Mittel ihn zu bessern, als Schläge und Predigten.

Wir widmeten der schönen Kapelle an der Ostseite des Hofs, in welcher noch (katholischer und protestantischer) Gottesdienst gehalten wird, und den meist öden Fürstengemächern einige Aufmerksamkeit. In einem derselben gab ein aus der Wand hervorragender steinerner Frauenkopf unserm Freunde Gelegenheit zu interessanten historischen Excursen:

Die Sage giebt ihn für ein Bild der weißen Frau aus, die auf der Plassenburg eigentlich ihren Stammsitz hat und von hier aus in die übrigen brandenburgischen Fürstenschlösser, zunächst nach Baireuth, eingewandert ist. Die hohenzollernsche Familiensage behauptet bekanntlich, die jugendliche Wittwe des letzten Besitzers der Herrschaft Plassenburg aus dem Hause Orlamünde, des Grafen Otto II., Kunigunde, habe ihre beiden Kinder ermordet, um die Gemahlin Albrecht’s des Schönen von Hohenzollern, Burggrafen von Nürnberg, zu werden, welcher einer alten Erbverbrüderung gemäß mit seinem Bruder Johann II. die Erbschaft Plassenburgs 1338 antrat, und sie sei es, die als weiße Frau umwandle und dem von seinen Söhnen gefangen gehaltenen Markgrafen Friedrich dem Aeltern Nachts in diesem seinem Schlafgemach aus der Wand tretend erschienen sei, um den unglücklichen Fürsten zu trösten.

Seitdem uns Forscher wie die Gebrüder Grimm und ihre Schüler das deutsche Alterthum erschlossen, wissen wir, daß der Ursprung dieser und andrer Sagen ein mythischer ist. Die weiße Frau ist die alte Göttermutter Frigga, die sich als Winter- und Sommergöttin, als dunkle und glänzende (Holle die Dunkle, Bertha die Helle) manifestirte, als erstere wohnte sie in Höhlen und Bergen, z. B. im Hörselberge, als letztere in Schlössern; sie war zugleich Lebenspenderin und Todesverkünderin, und in letzterer Eigenschaft hat sie sich in den Fürstenschlössern erhalten. Wie allen Göttersagen in ihrer Verdunkelung wurden auch dieser bestimmte Persönlichkeiten untergeschoben. In Böhmen führt die weiße Frau sogar noch den Namen Bertha.

Was das Steinbild betrifft, welches über der Lagerstätte den gefangenen Markgrafen Friedrich aus der Wand ragt, so mag es wohl Denkmal einer schönen Trösterin sein, die den einsamen Fürsten unter dem Namen der weißen Frau besuchte, und es hat sich die Tradition erhalten, daß sie ein damals auf Plassenburg lebendes Fräulein Barbara von Rosenau gewesen sei. Das tragische Schicksal des Markgrafen Friedrich des Aeltern bildet den interessantesten Theil der Geschichte der berühmten Burg und wäre für ein Drama ein würdiger Stoff, und die geheimniß- und liebevolle Theilnahme des Fräuleins von Rosenau an diesem Schicksal, die aus Kummer darüber starb, erscheint auf dem dunkeln Grunde als helle poetische Blume.

Urkundlich ist die Plassenburg im 12. Jahrhundert erbaut und zwar von der reichen und mächtigen Familie Andechs-Meran,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 653. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_653.jpg&oldid=- (Version vom 21.10.2022)