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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

womit die Briefe an Fano’s Mutter, die Briefe, welche Albrecht noch immer in der Tasche trug, unterzeichnet waren … der Gedanke durchschoß unsern Gefangenen, nachdem er eine Minute lang das Wappen angestarrt hatte, wie ein Blitz, und augenblicklich zog er sein Taschenbuch hervor, in welchem er jene Briefe untergebracht hatte, bis er Muße und Lust gewinnen würde, sie zu durchlesen. Diese Muße war ihm ja jetzt in vollem Maße vergönnt, und so nahm er und entfaltete das kleine Packet und begann darin zu lesen. Die Briefe waren in italienischer Sprache geschrieben; sie waren sehr zärtlich, aber auch sehr kurz, mit einer großen und unbehülflichen Handschrift auf dickes, unbeschnittenes Papier geschrieben; auch waren ihrer sehr wenige, etwa vier oder fünf; und obwohl Albrecht den Inhalt verstand, machten sie ihm doch den Eindruck, als habe der Schreiber darin mit ziemlicher Mühe ein etwas seltsames Italienisch zusammengestellt. Albrecht rief die Schildwache an.

„Sag’ Er mir einmal, guter Freund,“ sagte er, „was bedeutet der Namenszug auf seiner Patrontasche da?“

Der Mann holte sich die Patrontasche von seiner Rückseite nach der Vorderseite herüber und betrachtete sie eine Weile sehr aufmerksam.

„Was wird’s bedeuten?“ versetzte er dann – „den Namen vom Gnädigsten!“

„Und wie lautet der Name?“

„Cosimus.“

„Cosimus? Ist das Alles?“

„Ich glaub’ halt schon. Der Feldwebel drin wird’s wissen.“

„Ruf’ Er den Feldwebel einmal her.“

Die Schildwache sah den Gefangenen ein wenig überrascht, daß dieser in so bestimmtem Tone Befehle ertheile, an, dann rief er: „Feldwebel … kommt einmal heraus! Der Musjeh drin will Euch etwas sagen.“

„Na, was will Er denn?“ fragte der Feldwebel, auf der Schwelle der Wachtstube erscheinend.

„Ich möchte wissen,“ hub Albrecht an, „was der Namenszug da auf den Patrontaschen bedeutet.“

„Das bedeutet Cosimus der Zwanzigste.“

„Cosimus der Zwanzigste … ich danke Euch, Feldwebel. Wart Ihr schon lange hier im Dienste?“

„So ein Jährle oder zwanzig!“

„Zwanzig Jahre … und wißt Ihr, ob vor der Zeit Euer Serenissimus …“

In diesem Augenblick wurden die beiden Kriegsmänner von einer plötzlichen Aufregung ergriffen, die Albrecht hinderte, seine Frage zu enden. Die Schildwache eilte mit langen Schritten, sich neben die Thüre der Wache strack und stramm auszustellen. Der Feldwebel eilte eben dahin – der Mann auf dem Posten erhob ein ganz entsetzliches, an den alten Mauern wiederhallendes Gebrüll:

„Wache …“

Das „heraus“, welches er folgen lassen wollte, wurde aber kurz abgeschnitten durch eine gebietende Handbewegung, welche eine schmale Hand und ein graziös erhobener Arm machten – die Hand nämlich und der Arm Aglaë’s, der jungen Gräfin, welche in diesem Augenblicke in ihrem Jagdcostüme, den Büchsenspanner, der der Ankläger Albrecht’s geworden, hinter sich, in den Schloßhof trat. Sie wehrte entschieden und, wie es schien, etwas mißmuthig die ihr zugedachten militärischen Honneurs ab und wandte sich einem Theile des Gebäudes zu, den sie nicht erreichen konnte, ohne ziemlich dicht an dem Fenster vorüber zu gehen, in welchem Albrecht lag.

Albrecht’s erste Bewegung war, sich rasch in den Hintergrund seiner Gefangenzelle zurück zu ziehen – es war ihm in der ganzen Welt nichts unangenehmer, als von der jungen Gräfin in seiner demüthigen Situation erblickt zu werden. Dieser ersten Bewegung aber folgte der Gedanke, daß, wenn er so glücklich sein könne, nur ein paar Worte mit der jungen Dame zu wechseln, es ihm vielleicht gelinge, ihre Vermittlung zu gewinnen, um aus eben dieser demüthigen Lage heraus zu kommen. Deshalb blieb er, wo er war, und als er sah, daß Aglaë, während sie an ihm vorüberging, einen raschen Blick auf ihn warf, sagte er:

„Meine gnädigste Comtesse, würden Sie, wenn ein Graf Albrecht von Werdenfels Sie ersuchte, ihm eine Audienz zu gewähren, diese Bitte abschlagen?“

„Graf Albrecht von Werdenfels?“ fragte sie erstaunt stehen bleibend.

„Das ist mein Name,“ versetzte er mit einer leichten Verbeugung.

„Und Sie wünschen mich zu sprechen?“

„Es ist der heißeste Wunsch meines Herzens, natürlich aber eine Audienz, die nicht durch dies Sprachgitter hier geführt würde und nicht Ew. Erlaucht zwänge, in einer Ihrer unziemlichen Situation zu verharren.“

Sie schien einen Augenblick nachzudenken.

„Sind Sie wirklich …“ begann sie dann.

„Der jüngere Sohn des Grafen Gebhard von Werdenfels,“ unterbrach er mit einer so sichern und vornehmen Haltung, daß Aglaë keinen Zweifel mehr in sich aufsteigen fühlte und dem Feldwebel winkte.

„Der Herr,“ sagte sie diesem, „verlangt mich zu sprechen, führ Er ihn nach oben in meine Zimmer.“

„Erlaucht, ich bin für den Mann verantwortlich,“ versetzte der Feldwebel, die Hand an der Blechmütze.

„Ich befehl’s Ihm,“ entgegnete die junge Dame sehr entschieden, „auch kann Er im Vorzimmer bleiben.“

Damit wandte sie ihm wie dem Gefangenen den Rücken und schritt auf die nächste Thüre zu, die über eine kleine Treppe in das Innere des Schlosses führte. Nach fünf Minuten stand der Graf von Werdenfels in einem kleinen, altfränkischen, mit schweren und massiven Möbeln besetzten Gemach. Er hatte Zeit sich darin umzusehen, denn es dauerte eine Weile, bis die junge Gräfin, gefolgt von einer alten, dueñamäßig aussehenden Dame in breiten Poschen und hohem gepuderten Toupê durch eine weit offen gerissene Flügelthüre eintrat.

„Was haben Sie mir zu sagen?“ fragte die Gräfin, an einem Tische stehen bleibend, wie um anzudeuten, daß sie der Audienz keine lange Dauer wünsche, oder vielleicht auch um der Nothwendigkeit überhoben zu sein, auch Albrecht zum Sitzen einzuladen.

„Meine gnädigste Erlaucht,“ sagte Albrecht mit einer Verwirrung, die ihn jetzt zum zweiten Male bei dem Anblick der schönen Gräfin überkam, „ich weiß in der That nicht, wie ich beginnen soll. Wenn ich in diesem Augenblicke meine ganze kühle Ruhe und Geistesgegenwart hätte, so würde ich vor Allem zuerst davon reden, daß ich Ihre gütige Vermittlung in Anspruch nehme, um sofort aus einer Gefangenschaft befreit zu werden, die, gegen eine Person meines Ranges und meiner Herkunft verhängt, eine schwere Rechtsverletzung ist. Ich bin auf einer Reise nach Wien begriffen, bin mit Empfehlungsschreiben an den Reichsvicekanzler ausgerüstet und würde unmittelbar beim Kaiser Beschwerde erheben, wenn mir nicht Genugthuung gewährt würde. Aber Alles das liegt mir in diesem Augenblicke nicht am Herzen …“

„Und was liegt Ihnen denn am Herzen, mein Herr Graf?“ unterbrach ihn Aglaë mit einem kalten und fast ironischen Tone, unter welchem sie doch eine große Verlegenheit und innere Bewegung nicht ganz zu verbergen vermochte.

„Am allermeisten das,“ antwortete Albrecht, „vor Ihnen einen thörichten Pagenstreich zu entschuldigen, den ich zwar nicht begangen habe …“

„Sie haben ihn nicht begangen? “ rief Aglaë lebhaft aus.

„Nein, es hat ihn ein Anderer ausgeführt, der Zeit hatte zu entfliehen, während ich von Ihrem Anblick gefesselt stand und unter Ihren Augen zu fliehen meiner unwürdig hielt … aber ich nehme die volle Verantwortlichkeit für das, was geschehen ist, auf mich!“

„Nun, dann werden Sie auch keine Ursache haben, sich zu beschweren,“ fiel Aglaë ein.

„Ich wollte ja eben bemerken, daß ich in diesem Augenblicke weit weniger an eine Beschwerde denke, als an die Hoffnung, in Ihren Augen etwas gerechtfertigter und Ihrer Achtung werther dazustehen, wenn Sie mich angehört haben. Es ist mir unerträglich, Ihnen als ein Mensch ohne Besonnenheit und Vernunft zu erscheinen, als ein Abenteurer vielleicht, der sich durch seinen Leichtsinn in eine lächerliche Situation gebracht hat – ja, in eine wirklich lächerliche – die schlimmste von allen …“

(Fortsetzung folgt.)



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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_644.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)