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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 41.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Die drei Großmächte.

Sittenbild aus dem vorigen Jahrhundert.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Der untersetzte, dicke Mann, der einen großen rothen Kopf und ein wulstiges Unterkinn hatte, trat zu der jungen Dame heran.

„Was hast Du, mein Kind, was giebt es da, wer ist dieser fremde junge Mann, mit dem Du sprichst?“ sagte er mir einem rauhen und tiefen Baßtone.

„Mein gnädigster Papa,“ antwortete sie, einen zornigen Blick auf Albrecht werfend, „dieser Fremde hier scheint sich einen Spaß mit Ihrem Bilde erlaubt zu haben, den ich Ihnen selbst überlassen muß zu beurtheilen.“

„Einen Spaß – mit Unserem Bilde – ei, das wäre!“ rief der Reichsgraf von Glimmbach, der um seiner Kurzsichtigkeit willen jetzt näher an den Galgen herantrat, aus; „doch nicht etwa mein Bild an den … alle Wetter, Aglaë, ist das wirklich mein Bild, was da hängt?!“

„Es ist Ihr Bildniß, Papa!“

„Da soll doch gleich das Wetter drein schlagen!“

„Und wer hängt denn hier?“ rief jetzt ein großer, starker Mann, der sich vor allen Andern durch den ungeheueren Haarbeutel, der seine Schultern bedeckte, auszeichnete – er war an die andere Seite des Galgens getreten.

„Das ist ja ein Sacrilegium … ein Sacrilegium! …“ fiel eine schrille Stimme ein, die einem mageren Herrn mit einem langen, abenteuerlichen Gesichte gehörte, in welchem Albrecht sofort die schiefe, spitze Nase des hochwürdigen Prälaten erkannte, „… es ist ein kirchenschänderisches Sacrilegium! Unser Conterfei an dem Galgen!“

Der dicke Reichsgraf war unterdeß an der andern Seite um den Galgen gegangen uns brach jetzt in etwas ans, was einem zornigen, donnerartigen Auflachen glich.

„Und die Magnificenz.“ schrie er, „die fürsichtige, wohlweise, ist hier in gleicher Art verhöhnt worden!“

Die Magnificenz der freien Reichsstadt Großlingen, welche eben noch mit einem gewissen unterdrückten Spottlächeln dem Prälaten von Triefallen seine Erhöhung angedeutet hatte, stand jetzt beim Anblick des eigenen Conterfeis wie an den Boden geheftet.

„Welcher Elende hat solche höllische Bosheit verübt?“ schrie er auf mit einem Tone, der dem Wuthkollern eines Puters glich.

„Es ist Hochverrath an uns und unserer landesherrlichen Autorität!“ rief der Reichsgraf jetzt.

„Es ist ein Sacrileg!“ fiel der Prälat ein.

„Es ist ein crimen laesae majestatis!“ donnerte der Bürgermeister.

„Und der Bösewicht, der es gethan hat –“ erhob der Reichsgraf seine Stimme.

„Den soll man auf das Rad flechten.“ brüllte der Bürgermeister, der jetzt alle Anderen an Zorn übertraf.

„Allermindestens an denselben Galgen hängen!“ schrillte die erhobene, scharfe Stimme des Prälaten.

„Der Bösewicht ist hier!“ fiel der Büchsenspanner der jungen Dame ein, indem er auf den vollständig vernichtet dastehenden Albrecht, dem er keinen Augenblick mehr von der Seile gewichen war, deutete, „dies ist der Bösewicht!“

Der kleine Schenkwirth mit dem wedelnden Zopfe, der sich neugierig in die Nähe gedrängt, hatte in diesem Augenblick nichts Eiligeres zu thun, als durch heftiges Kopfnicken sein Zeugniß wider den Schuldigen abzulegen, da er in der peinlichsten Angst schwebte, daß man ihm diesen ungeheuerlichen Frevel sonst schuld geben könne.

Die junge Comtesse Aglaë hatte während dieser ganzen Scene sich an der Seite ihres Vaters gehalten und dabei Blicke voll Bestürzung und Betroffenheit bald auf die Redenden, bald auf Albrecht geworfen. Diese Blicke aber waren es, die dem letzteren Ruhe und kaltes Blut zurückkehren ließen. Er richtete sich keck auf und sah mit männlicher Haltung dem entgegen, was kommen werde.

„Nehmt doch die Bilder ab …“ sagte Aglaë jetzt beschwichtigend, „es ist ein schlechter Spaß, den man sich erlaubt hat, und am besten wäre, keinen Lärm darüber zu machen …“

Aber der Reichsgraf hörte sie nicht. Während ein paar Jäger hinzusprangen und sich anschickten, die Bilder abzunehmen, rief er aus: „Das ist der Bösewicht?! das ist der Monsieur?! Warum faßt man ihn nicht? Man ergreife ihn. Man führe ihn ab. In den Thurm mit ihm! In den festesten Thurm auf Hohenklingen!“

Mehrere Arme streckten sich nach Albrecht aus. Er schüttelte sie mit einer kräftigen Bewegung ab.

„Ich kann selbst gehen.“ sagte er stolz und trotzig. „Ich bedarf keiner Führer.“

Er wandte sich sofort, um zu gehen, herzlich danach verlangend, diesem Auftritt ein Ende zu machen und von der Stelle zu kommen.

In diesem Augenblicke aber erhob der regierende Bürgermeister von Großlingen seine Stimme. „Halten zu Gnaden, Herr Graf.“ rief er, „ich muß doch gegen eine solche einseitige Verhaftung Protest einlegen. Der Galgen steht just auf der Grenzmarke der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_641.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)