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der Oberfläche anlangt. Die Fortpflanzung findet den ganzen Sommer hindurch, vom Mai bis in den November hinein statt, und da die Thiere Hermaphroditen sind, d. h. weibliche und männliche Geschlechtsorgane stets vollständig auf einem einzigen Individuum ausgebildet sind, so befruchten sie sich immer wechselseitig und legen mehrere Hunderte von Eiern unter dürre Blätter, sowie in die Erde, an Mauern und Hecken. Nichts ist leichter, als sich solche Eier zu verschaffen; man braucht nur einige Schnecken in einem feuchten Kasten mit Salatblättern zu füttern und man wird fast regelmäßig Morgens an der unteren Fläche dieser Blätter Häufchen von verhältnißmäßig großen, runden Eiern finden, welche eine höchst dünne Kalkschale besitzen und in deren Innerem ein kleiner, mit bloßen Augen nur unter günstigen Umständen sichtbarer Dotter in einer sehr großen Menge wasserhellen Eiweißes schwimmt. Die Entwickelungszeit dieser Eichen dauert 14 Tage bis 3 Wochen. In Zeit von 2 Monaten ist bei gutem Futter das ausgeschlüpfte Schneckchen schon zu mehr als halber Größe herangewachsen.

Die großen rothen und grauen, nackten Waldschnecken (Arion empiricorum und hortensis), welche man häufig zur Herstellung schleimiger Fleischbrühe benutzt, namentlich für Brustkranke, sowie die graumarmorirten sehr großen Kellerschnecken (Limax maximus), die sich an einzelnen Orten ziemlich häufig finden, kommen doch fast nie in solcher Menge vor, daß sie erheblichen Schaden zufügen könnten; doch sind sie ebenso unangenehme Gäste, als die großen Weinbergsschnecken mit dem gelbbräunlichen Gehäuse (Helix pomatia), und die Busch- und Strauchschnecken (Helix nemoralis und hortensis) mit gelber oder röthlicher, häufig mit braunen Binden gezierter Schale, die an Zierbüschen und Obstbäumen zuweilen nicht unerheblichen Schaden anrichten.

Die Feinde der Ackerschnecken sind nicht gering an Zahl. Kröten und Blindschleichen nähren sich fast ausschließlich von ihnen; Maulwürfe, Spitzmäuse, Enten, Hühner, Dohlen, Krähen, Elstern und Raben stellen ihnen eifrig nach, und selbst der goldschimmernde Laufkäfer verschmäht sie nicht. Ihr bester Jäger ist, wie schon angeführt, in Gärten die Kröte, und das beste Mittel, um sie zu hegen, Einfassungen von Buchs um die Beete zu pflanzen, in deren dichten, immergrünen Blättern sie sich leicht verbergen können. Auf Grasplätzen sammelt man sie leicht, indem man ein nasses Bret die Nacht hindurch auf das Gras legt und durch Begießen die Feuchtigkeit in der Umgegend erhält. Auf Gartenbeeten kann man sie sammeln, indem man frische Kürbisschnitte umherlegt, welchen sie begierig nachziehen. Nur hat diese Sammelmethode den Uebelstand, daß sie erst im Herbste angewendet werden kann, wenn die Kürbisse der Reife nahe sind, und daß gerade im Frühjahre die Schnecken durch Benagen der jungen Pflänzchen den meisten Schaden thun.

Soll ich Ihnen auch von den Regenwürmern (Lubricus agricola) reden, die ein heimliches Leben unter der Erde führen, nur bei warmem Regenwetter hervorkommen und dann stets noch die Vorsicht brauchen, daß sie mit einem Theile ihres Hinterleibes in ihrem Loche stecken bleiben, um bei der geringsten Erschütterung der Erde schnell in dasselbe sich zurückziehen zu können? Sehr schädlich sind sie gerade nicht, aber doch sehr gefräßig, und die humusreiche Erde genügt ihnen nicht allein, „sie suchen nach vermoderten Vegetabilien,“ wie ein Beobachter sagt, „und wenn sie deren nicht finden, so präpariren sie sich ihren Fraß, indem sie, was ihnen vorkommt, in ihre Löcher herunterziehen. Jedermann weiß, daß die Strohhalme, Federn, Blätter, Papierstreifen, welche man des Morgens auf den Höfen und in den Gärten in der Erde stecken sieht, als wären sie von Kindern hineingepflanzt, während der Nacht von den Regenwürmern verschleppt werden. Wenige jedoch werden gesehen haben, wie mit so schwachen Werkzeugen ein Wurm im Stande ist, so große Gegenstände zu überwältigen. Wenn man jedoch den Widerstand erprobt hat, den der Wurm dem entgegensetzt, der ihn aus dem Loche hervorzuziehen versucht, so wird man sich über die Muskelkraft eines nur aus Muskeln und Haut bestehenden Thieres nicht so sehr verwundern. Ein starker Strohhalm wird in der Mitte gefaßt und so scharf angezogen, daß er zusammenknickt, und so in’s Loch hinabgezogen; ein breite Hühnerfeder mit der Fahne war ohne Schwierigkeit in ein enges Loch gezerrt; ein an der Spitze gefaßtes grünes Blatt von einer Himbeerstaude zerreißt.“ Jungen Setzlingen wird der Regenwurm auf diese Weise besonders schädlich, indem er sie in sein Loch hinabzieht. Die Laufkäfer, die Skolopender und Tausendfüße, besonders aber die Maulwürfe sind die gefährlichsten Feinde der Regenwürmer.

Eines Vorurtheiles muß ich hier noch erwähnen. Gärtner haben mir öfters Regenwürmer gezeigt, an deren Leib der sogenannte Gürtel, ein rother, mehrere Linien breiter Ring, besonders angeschwollen war. „Da sehen Sie, der ist gewiß mit dem Spaten mitten von einander geschnitten worden und wieder zusammengeheilt.“ Ich weiß nicht, ob Regenwürmer, wie andere niedere Thiere, einen verlorenen Theil wieder zu ersetzen vermögen; es liegen keine weiteren Erfahrungen darüber vor. Aber das weiß ein jeder Naturforscher, daß jeder Wurm einen solchen Gürtel besitzt, der besonders zur Begattungszeit stark anschwillt und in dem Fortpflanzungsgeschäfte eine wesentliche Rolle spielt. So viel Hunderte von Würmern auch bei dem Umgraben eines Gartenbeetes zerschnitten werden, so habe ich doch nie einen vernarbten oder in der Reproduction begriffenen Wurm gefunden und glaube deshalb, daß die getrennten Theile sehr bald sterben und zu Grunde gehen.

An feuchten, dumpfigen Orten, unter Rinden und im Moose, in Kellern und unter der Erde finden wir häufig kleine, schlangenartige, aus sehr vielen Ringen zusammengesetzte Gliederthiere, welche einen deutlichen Kopf mit Augen und Fühlhörnern besitzen und auf einer Unzahl von Beinen umherlaufen, weshalb man sie auch Tausendfüße (Myriapoden) genannt hat. Es sind gewissermaßen Mitteldinge zwischen Krustern und Insecten; denn während sie einerseits, wie diese letzteren, durch vielfach im Körper verzweigte Luftröhren athmen, besitzen sie gegliederte Anhänge oder Beine an allen Ringen des Körpers in derselben Weise, wie die Krebsthiere. Die großen Skolopender der südlichen Gegenden sind ihres giftigen Bisses wegen berüchtigt; die kleineren, bei uns lebenden Arten können mit ihren schwachen Kieferzangen zwar ein kleines Insect bewältigen und, wie wir eben sahen, den Regenwurm erfolgreich angreifen, aber nicht einmal die Haut des Menschen verletzen. Sie erscheinen also eher als nützliche Thiere, wenn auch einige Arten, wie besonders der gelbliche Julus mit blutrothen seitlichen Tupfen, gern an gefallenes Obst und gelbe Rüben geht, in welche er Höhlungen bohrt.

Der sogenannte elektrische Tausendfuß leuchtet in der That nicht nur in der Dunkelheit mit schwachem Glühen, sondern läßt auch eine leuchtende Spur zurück, wo er kriecht. Man findet ihn besonders gern in Miststätten, in alten, feuchten Ställen und Gewölben, wo er Nachts nach Nahrung umherschleicht. Ein preußischer Husarenlieutenant mußte eines Tages im siebenjährigen Kriege auf einer Streife in einem alten Gemäuer übernachten, wo er auf einem Bündel Stroh am Boden schlief. Es war eine schaurige, kalte Regennacht; der Wind heulte grauslich und schüttelte die morsche Thüre gewaltig. In der Nacht wurde das Heulen so stark, daß der Lieutenant aufwachte. Er sah zu seinem Schrecken an dem Boden, an den Wänden, selbst an der Decke leuchtende Streifen und Züge, die, seltsam in einander verschlungen, hie und da einige Aehnlichkeit mit hebräischen Lettern boten. Jetzt ward es dem tapferen Lieutenant doch etwas unheimlich zu Muthe; er glaubte vielleicht in den leuchtenden Zügen, deren Bedeutung er leider nicht enträthseln konnte, sein eigenes „Mene tekel“ zu erblicken, das ihm aus einem Versehen der höllischen Hofkanzlei in alttestamentlicher, ihm unverständlicher Schrift zugefertigt wurde. Seine aufgeregten Sinne ließen ihn auch schon den bekannten Schwefelgeruch verspüren, und in dem Heulen des Sturmes glaubte er den höllischen Chor der Dämonen zu hören, die der Empfangnahme seiner armen Seele entgegenjauchzten. Da indessen unser Lieutenant zur Armee des alten Fritz gehörte, so ermannte er sich sehr bald, griff nach seinen Waffen, tappte aber dabei auf einen der Lichtstreifen, der sich vor ihm zu bewegen schien. Er fühlte etwas, wie einen leichten Stich, und bemerkte nun, daß die leuchtende Materie an seinen Fingern hängen blieb. Jetzt war alle Furcht verschwunden. Er schlug Licht, sah bei dem Scheine der Laterne einiges Gewürm, das auf dem Boden umherkroch, fing einige Exemplare davon auf und schickte sie in einer Federspule eingeschlossen dem Pastor Götze, nicht dem berüchtigten Hauptpastor, den sein Streit mit Lessing so bekannt gemacht hat, sondern dem Pastor Götze in Magdeburg, der in jener naiven Zeit lebte, wo ein Pfarrer sich noch mit Eingeweidewürmern, Insecten und mikroskopischen Thieren beschäftigen durfte, ohne daß die Stillen im Lande ein Aergerniß an seiner Frömmigkeit nahmen. Der Pastor Götze, ein gewiegter Naturforscher, dessen Name noch heute einen vortrefflichen Klang besitzt,

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