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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

neue Bruderrolle übernehmend, oft allein an Margaret’s Seite seinen Eintritt in die fashionable Gesellschaft machte, änderte sich dieses Verhältniß nicht, in dessen Reinheit und Offenheit er sich vorläufig glücklich fühlte. Meinte er doch mit jedem Tage unverhohlener in des Mädchens Auge zu lesen, was ihm Worte nur hätten sagen können, und hätte er doch überdies kaum gewußt, wie eine nähere Erklärung mit ihr herbeizuführen.

Da wurde ihm eines Morgens ein Brief von John von der Post gebracht. Einige Mal hatte er schon durch des alten Frost’s oder Margaret’s Vermittelung Grüße von dem Abwesenden erhalten, und mit einiger Verwunderung über diese jetzige directe Zuschrift beseitigte er den Umschlag. Er las:

„Liebster Freund!

Wir sind hier auf diesem prächtigen Stück Erde, das mir recht wohl gefallen könnte, wenn ich eben kein New-Yorker Kind wäre, bald zu Ende; wir – das heißt zuerst der alte Mr. Burton, der einen Theil seiner Besitzungen bereits verkauft hat, und den Rest verwalten lassen will, bis sich ein weiterer Käufer findet, und sodann Harriet und ich, von welchen Herrschaften ich weiter unten reden werde. Sie sind, wie ich durch Harriet weiß, mit den Vorfällen in der Familie bekannt, und so erzähle ich Ihnen denn, daß Curry, der geistliche Bock, während der Nacht durch Burton selbst aus dem Schlafzimmer von dessen sauberm Weibe geholt, von einigen handfesten Negern festgehalten und dann durch den Sheriff nach dem County-Gefängniß gebracht worden ist. Der alte Gentleman hat sich durch die Entdeckung wie durch Harriet’s Entfernung so aus seiner gewöhnlichen Natur treiben lassen, daß er, ohne Schonung gegen Mrs. Burton, den klaren Sachverlauf zu Protokoll gegeben hat. Kaum ist aber die Sache ruchbar geworden, als sich auch ein Mob bildet, um das Gefängniß zu erbrechen und den Strafact in die eigene Hand zu nehmen; der Sheriff erläßt ein rasches Aufgebot an alle bessere Bürger, aber erst als das Gefängniß bereits gestürmt und der heilige Mann in den Händen des Volks, gelingt es, ihn halbtodt der kurzen Execution am nächsten Baume zu entziehen. Jetzt sitzt er in Nashville hinter Schloß und Riegel und sieht dem Zuchthause entgegen. Mrs. Burton hat sich über die ersten Schwierigkeiten durch Ohnmachten forthelfen wollen, der alte Herr aber hat noch dieselbe Nacht ihre sämmtlichen Sachen zusammenpacken lassen und sie selbst am Morgen mit der Postkutsche zu ihren Verwandten geschickt. Der Scheidungsproceß ist bereits eingeleitet, und die Entscheidung wird schnell genug erfolgen.

Als wir hier ankamen, war nun freilich der Gemüthszustand des alten Gentleman nicht eben der brillanteste, er hatte, seit er am Tage der Vorfälle von seinem Advocaten gekommen, keinen Schritt wieder aus dem Hause gethan, und als ich in der ersten passenden Stunde ihm den Vorschlag machte, mir Harriet zur Frau zu geben und mit uns nach New-York überzusiedeln, schien ich nur seinen halben Wünschen entgegen zu kommen. Er ist schneller auf meine Ideen eingegangen, als ich gehofft hatte, und was ein unermüdlicher New-Yorker zur Verwirklichung thun konnte, das habe ich gethan.

Nun aber, liebster Freund, kommt die Hauptsache.

Ich war mit Harriet schon, ehe wir New-York verließen, in Ordnung gekommen; als ich aber heute die Erwähnung unserer nahen Abreise benutzte, um sie zu nähern Festsetzungen über unsere Vereinigung zu bestimmen, erklärt sie mir, daß sie nicht eher an etwas wie Hochzeit denken werde, ehe nicht Ihr Verhältniß mit Margaret zur vollen Reife gediehen und Ihre Vereinigung bestimmt sei; beide Hochzeiten müßten zusammen gefeiert werden.

Jetzt, bester Freund und künftiger Bruder, frage ich Sie doch um Gotteswillen, wie steht es? Sie sehen, daß mir plötzlich Hände und Füße gebunden sind – melden Sie mir umgehend den Stand der Dinge, und was Sie durch einen raschen Entschluß vorher noch zu ordnen vermögen, das thun Sie – wenn nicht Ihret-, so doch um meinetwillen. Soll ich mich in Ihrer Sache an den Vater wenden, wenn Sie nicht gleich den Muth dazu finden können, so sagen Sie es, oder disponiren Sie in irgend einer Weise über mich; ich gehe jetzt für ihre allerbaldigste Schwagerschaft mitten durch den Höllenpfuhl.

Ihr John Frost.“ 

Reichardt hatte die letzten beiden Sätze der Zuschrift dreimal durchgelesen; endlich legte er sie bei Seite, stützte den Kopf in beide Hände, und ein Schauer, aus Seligkeit und Bangen gemischt, überkam ihn. Plötzlich aber, wie zu einem Entschlusse gelangt, erhob er sich und blickte nach der Uhr. Es war noch über eine Stunde bis zur Mittagszeit im Frost’schen Hause. Behutsam riß er das erste Blatt des Briefs herab, faltete den Rest zusammen und dann rasch nach seinem Hute greifend verließ er die Office, in dem vordern Zimmer hinterlassend, daß er binnen einer Stunde wieder zurück sein werde.

Er hatte den Weg nach seiner jetzigen zweiten Heimath eingeschlagen und traf Margaret am Piano. Mit einer leichten Verwunderung in ihren Zügen erhob sich das Mädchen, als sie den Eintretenden erkannte, die sich noch zu erhöhen schien, als Reichardt herantrat und das bewegte Auge, ohne sogleich das erste Wort finden zu können, auf sie geheftet hielt.

„Ich habe soeben einen direkten Brief von John in Bezug seines Verhältnisses zu Harriet erhalten, der mich veranlaßt, Sie einige Minuten allein zu sehen, Miß Margaret,“ begann er endlich, „und ohne Sie mit dem übrigen Inhalte zu plagen, bitte ich Sie nur, diese beiden Schlußsätze aufmerksam zu lesen.“

Er reichte ihr mit leise bebender Hand den Brief, mit dem Finger die genannte Stelle bezeichnend. Sie warf noch einen kurzen, fast forschenden Blick in sein Gesicht und neigte dann den Kopf nach der Schrift – Reichardt hielt sie fest im Auge. Plötzlich schoß ein tiefes Roth in ihre Wangen, sich von hier aus über Stirn und Hals verbreitend: sie wandte sich, die Hand mit dem Briefe sinken lassend, rasch ab und schritt nach dem Fenster. Einen Augenblick nur stand Reichardt unschlüssig, im nächsten wußte er, daß jetzt der Augenblick da sei, sich volle Klarheit zu schaffen, und kühn im innern Drange schritt er ihr nach.

„Margaret, Sie wenden sich von mir?“ fragte er, an ihre Seite tretend, und die volle Tiefe seiner Empfindung zitterte in seiner Stimme, „bin ich ein Thor gewesen, daß ich einer Hoffnung Raum gab und nicht floh, als ich noch die Kraft dazu hatte?“

Sie blieb wortlos in ihrer Stellung.

„Margaret,“ begann er dringender, „sehen Sie mich an und reden Sie ein Wort zu mir, ich kann nicht so von Ihnen gehen, ohne daß Alles, was ich bis jetzt mein Glück und meine Zukunft genannt, über mir zusammenbricht; sagen Sie mir, bin ich Ihnen nichts – nichts als der gewöhnliche Gesellschafter gewesen? – Margaret!“ und aller Drang seines Herzens, die ganze Weiche seines Gefühls lag in dem Tone dieses letzten Wortes.

Da hob sie langsam den Kopf; noch glühte ihr Gesicht, und um den frischen Mund bebte es wie ein Widerspiegeln ihrer erregten Seele, aber aus ihrem tiefen, feuchtglänzenden Auge blickte dem Harrenden eine ganze Welt von Liebe entgegen und ließ es wie einen urplötzlichen Rausch über ihn kommen. Er hatte sie umschlungen und wußte kaum, wie es geschehen, er bedeckte sie, die widerstandslos in seinen Armen hing, mit Küssen und fand sich erst wieder, als sie, eng an ihn geschmiegt, das Gesicht an seiner Brust geborgen hatte. Bald aber, wie sich zusammenraffend, erhob sie den Kopf und faßte seine beiden Hände. „Gehen Sie jetzt,“ sagte sie fast ängstlich, „gehen Sie, Vater kann jeden Augenblick hier sein!“

„O, er soll bald Alles wissen – ich fürchte ja die bösen Geister nicht mehr,“ rief Reichardt im überquellenden Bewußtsein seines Glücks, „aber,“ setzte er plötzlich in deutscher Sprache hinzu, „sag’ ein mal nur „Max“ zu mir, Margaret, und ich gehe!“

Ein Lächeln voll tiefer Seele breitete sich über ihr Gesicht.

„Geh jetzt, Max!“ erwiderte sie deutsch und auf’s Neue von einem dunkeln Roth übergossen, barg sie den Kopf an seiner Schulter. – Den Rückweg nach der Office machte Reichardt fast nur mechanisch. Sich gewaltsam von den immer neu aufsteigenden Erinnerungen an die eben durchlebte Scene losreißend, hatte er alle seine Gedanken auf den nächsten, schwersten Schritt gerichtet, der sich als unmittelbar folgend aus dem jetzt vollbrachten entwickelte. Es wäre ihm unmöglich gewesen, zum Mittagstisch zu bleiben und dem alten Frost ruhig unter die Augen zu treten; eine Frage über sein Ausbleiben konnte nicht fehlen, und ehe er sich mit einer Lüge

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_547.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)