Seite:Die Gartenlaube (1861) 534.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

einen Act der Billigkeit, daß ich seine Forderung an die Versicherungsgesellschaft mit zur Liquidation kommen lasse, da die Nachricht von dem beabsichtigten Betruge gewissermaßen durch die Vermittelung seines Geschäfts an uns gelangt sei. Der alte Black hat, soweit es sein Interesse betrifft, bereits seine Zustimmung gegeben und wird dafür unter Einlegung seines Capitals als Partner in Johnson’s Geschäft treten, aus welchem der Vater, der ohnedies nicht viel mehr von dieser Welt zu hoffen hat, ausscheidet.

Jetzt fragt es sich, was sollen wir thun?’ Reichardt war mit aufmerksam gehobenem Kopfe und sichtlichem Interesse der letzten Mittheilung gefolgt. „Die Forderung läßt wohl eine doppelte Auffassung zu, Sir,“ sagte er jetzt, während sich sein Gesicht höher färbte. „Tritt uns Johnson nur als Geschäftsmann gegenüber, so halte ich sein Verlangen für eine reine Absurdität. Er hat durch Geschäftslässigkeit verfehlt, was wir durch Glück und ein rasches Benutzen der günstigen Chance gewonnen – das ist das einfache und allein richtige Verhältniß in der Sache, das für den Kaufmann wohl jedes weitere Wort unnöthig macht. Anders vielleicht mag sich dieses gestalten, wenn Johnson als Freund Ihres Hauses Ihre persönliche Rücksicht beansprucht, hier aber hört natürlich jedes Urtheil eines Dritten auf.“

„Gut, und was würden Sie in dem letztern Falle an meiner Stelle thun?“ fragte der alte Herr lächelnd.

Nur einen Augenblick ging es wie eine leichte Verlegenheit über Reichardt’s Gesicht. „Ich glaube nicht, Mr. Frost,“ erwiderte er dann, „daß ich die Verhältnisse genug kenne, um mich nur in die angedeutete Lage versetzen zu können.“

Frost nickte, während sich der frühere eigenthümliche Zug seinem Lächeln wieder beigesellte. „Ich will Ihnen gestehen,“ sagte er, „daß ich nicht die geringste Neigung hätte, von der gesunden kaufmännischen Ansicht, welche Sie soeben ausgesprochen, abzuweichen, wenn ich nicht Rücksicht auf Black nehmen möchte, einen alten, treuen Arbeiter, dessen ich mich schon seit Beginn meiner Carriere entsinne und der mehr werth ist, als vielleicht alle drei Johnsons zusammen. Das, was unser Geschäft verlieren muß, wenn wir Johnson zur Liquidation seiner Forderung zulassen, steht in keinem Verhältniß zu den Folgen, welche dessen Verlust für ihn und somit für Black’s alte Tage haben könnte – sie würden fast sicher den Fall des Geschäfts bringen. Indessen lasse ich gern der begründeten Meinung eines Vertrauensmannes, wie Sie es durch Ihre neue Stellung geworden sind, ihre Geltung, und so werde ich das Opfer, was zu bringen ist, auf mein Privat-Conto nehmen. Sobald Johnson kommen sollte, weisen Sie ihn zu mir!“

Er nickte leicht und wandte sich nach seinem Zimmer. Reichardt’s Brust aber war bei dem Ende des Gesprächs weit geworden und hob sich jetzt unter Empfindungen, wie er sie bisher in dem Maße noch nie gekannt. Er meinte in diesem Augenblicke sich für den Mann, der von ihm gegangen, wie für die ihm anvertraute Stellung in jede Gefahr stürzen zu können und lange noch stand er, mit dem Lächeln tiefster, glücklichster Befriedigung vor sich hinsinnend, ehe er, langsam den Kopf hebend, sich seinen neuen Arbeiten zuwandte.

Es war Mittag, als sich die Thür nach dem Vorderzimmer öffnete und John geräuschvoll eintrat. „Ich bin wirklich so sehr mit andern Dingen beschäftigt gewesen, Will, und bin es noch, daß ich kein Wort von der ganzen Sache weiß,“ hörte ihn Reichardt sagen; „wenn Vater mit dem Cassirer hat sprechen wollen – hier ist er, reden Sie zu ihm!“

Der Dasitzende blickte auf und sah in William Johnson’s Gesicht, welcher, hinter dem jungen Frost eingetreten, soeben wie in unangenehmer Ueberraschung den Kopf nach dem Deutschen wandte. „Mr. Frost hat jedenfalls von Ihrem wirklichen Cassirer gesprochen!“ sagte der Letztere, das Gesicht kurz nach seinem Begleiter kehrend.

„Das ist er, Mr. Reichardt, Sir!“ erwiderte John mit einem Lächeln, das nicht ohne einen Anflug von Schadenfreude war, „Mr. Bell hat seinen Platz jetzt in der Marine Bank. Machen Sie Ihr Geschäft ab, und ich werde einstweilen nach dem meinigen sehen!“ Er schritt rasch nach dem Vorderzimmer, Johnson in sichtlichem Kampfe mit sich selbst zurücklassend. Reichardt hatte nur einen Blick in das sich ihm wieder zuwendende Gesicht geworfen, meinte aber Alles, was in der Seele dieses gedemüthigten Mannes vorging, mitzufühlen, und hätte in seiner glücklichen, gehobenen Stimmung nicht noch eines Sandkorns Schwere neuer Demüthigung hinzufügen können. „Wenn es sich um die Versicherungs-Angelegenheit handelt, Sir,“ sagte er in freundlichem Tone. „so bin ich allerdings davon unterrichtet, indessen finden Sie Mr. Frost in seinem Zimmer, und Sie sind bereits erwartet.“ Zwischen Johnson’s Augenbrauen machte sich jetzt ein eigenthümliches Zucken bemerkbar, als wisse er nicht, welche Miene anzunehmen. „Dank Ihnen, Sir,“ versetzte er endlich, schien aber augenscheinlich noch eine Frage auf den Lippen zu haben. Wie in einem raschen Entschlusse indessen wandte er, den Kopf zurückwerfend, sich plötzlich ab und öffnete die Thür zu Frost’s Zimmer, kaum war er verschwunden, als sich auch John’s Gesicht wieder in der vordern Thüröffnung zeigte. „So!“ rief dieser halblaut, nach einem vorsichtigen Rundblick eintretend, „mich auch noch um anderer Leute Dinge zu kümmern, wenn ich selbst nicht weiß, wo mir der Kopf steht! Für’s Erste habe ich mit Ihnen zu reden, Reichardt, und zwar sehr ernsthaft,“ setzte er die Stirn runzelnd hinzu, „es ist längst Mittag, und so werde ich Sie nach Ihrem Boardinghause begleiten.“

„Doch nichts Gefährliches?“ fragte Reichardt, sich lächelnd zum Gehen fertig machend.

„Kommt auf die Umstände an, Sir!“ war die Antwort, mit welcher Jener dem Deutschen nach dem Ausgange der Office voranging. Auf der Straße angelangt schritt er, wie um ein Gespräch im Gehen zu vermeiden, seinem Begleiter immer um einen halben Fuß voraus, und Reichardt konnte sich endlich einer leichten Spannung, was der Grund dieses ungewöhnlichen Benehmens sei, nicht erwehren. Sie fanden den Parlor des Boardinghauses, wie gewöhnlich während der Mittagszeit, leer, und der Deutsche zog zwei Stühle zum Kaminfeuer, schweigend die Mittheilungen des Andern erwartend. Ohne sich aber zu setzen, legte John die Hand auf die Schulter seines Gesellschafters und sah diesem scharf in die Augen. „Sie haben Ihren Entschluß, uns zu verlassen, aufgegeben,“ begann er, „und ich weiß nur, daß ein Gespräch mit Harriet einen bedeutenden Antheil daran hat. Reichardt,“ fuhr er fort, während eine stille Gluth in sein Auge trat, „ich bin soeben dabei, mir das Glück oder Unglück meiner ganzen Zukunft zu gründen. Sagen Sie mir, was Sie zu Ihrem ersten plötzlichen Entschlusse und zu dem jetzigen schnellen Aufgeben desselben bewogen hat. Sie sind es mir durch Ihr gestriges Versprechen schuldig, und ich weiß, daß Sie mich, Ihren besten, aufrichtigsten Freund, nicht belügen werden.“

Reichardt sah verwundert in das erregte Gesicht des Sprechenden. „Was kann denn mein Entschluß mit Ihrem Glück oder Unglück zu thun haben?“ fragte er. „Sprechen Sie Ihre Gedanken aus, John, und ich will Ihnen so ehrlich antworten, als Sie es nur wünschen können.“

„Weichen Sie mir nicht aus,“ rief der Andere, wie ungeduldig, „zeigen Sie mir die rechte Ehrlichkeit und antworten Sie mir gerade und offen!“

Ein tiefes Roth stieg langsam in das Gesicht des Deutschen. „Sie wissen nicht, was Sie von mir, der sich noch selber kaum klar ist, verlangen,“ erwiderte er nach einer Pause, „demohngeachtet will ich ohne Rücksicht gegen mich Ihrer Forderung genügen; erkennen Sie aber dann, John, daß das, was ich zu sagen habe, viel besser unausgesprochen geblieben wäre, so wissen Sie, daß Sie selbst mir keine Wahl gelassen haben.“

(Schluß folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_534.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)