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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

von ihrer Hand liegen vor mir, und diese genügen, um ein helles Licht auf das unglückselige Verhältniß zu werfen.

So lange die Leidenschaft sie gefangen hält, d. h. fünf ganze Jahre, ist Wilhelmine unaufhörlich bemüht, Herrn von Döring gegen die Beschuldigungen zu vertheidigen, die von allen Seiten gegen seinen Charakter erhoben worden. Sie will nichts von allem glauben, klammert sich mit der ganzen Kraft ihrer Seele an diese Liebe, und dennoch ist sie nicht glücklich.

Bald nachdem das Verhältniß mit Döring angeknüpft war, schreibt sie:

„Danzig, den 16. Mai 1843.

„… Leider geht es mit meiner Gesundheit schlecht. Die schnelle Veränderung des Wetters und das überhaupt etwas strenge Klima hier hat einen sehr nachtheiligen Einfluß auf meinen Körper gehabt; ich sehe bleich und elend aus, und Ihr würdet Euch über die Veränderung, die mit mir vorgegangen ist, nicht wenig wundern. Zu allen meinen großen Anstrengungen kommt nun auch noch das schrecklichste Heimweh, was Sie sich denken können, bester H…., und es bedarf all meiner Vernunft, all meiner Fassung, um den unglückseligen Spleen nicht überhand nehmen zu lassen. Sie wissen ja, was ich für ein Gewohnheitsthier bin, und fühlte ich auch die Nothwendigkeit mich einmal von Allem loszureißen, so wußte ich auch im Voraus, daß ich an dieser Umwälzung aller meiner Verhältnisse lange zu kämpfen haben würde. Nun, es mußte so sein, mein Geschick mußte eine andere Wendung nehmen, und bezahlte ich diesen Kampf auch mit meinem Herzblut, er war nothwendig, denn wie es bisher war, stand kein Glück zu erwarten. Ich fühle es wohl, daß ich an einem ernsten Wendepunkte meines Lebens stehe, und wie mein Schicksal sich in der nächsten Zukunft noch gestalten wird, das muß noch zur Klarheit in mir werden. Nur predigt mir nicht von Ruhe vor, für mich giebt es hier keine. Ich muß fort, unaufhaltsam fort, und was mir in den Weg tritt, reiße ich mit mir. Ob nun der Strom meines Lebens zu einem Abgrunde führt, oder sich noch ruhig in die Sandfläche der Alltäglichkeit verlaufen wird – wer kann es wissen? Jetzt eile ich mit einer kranken Brust von Anstrengung zu Anstrengung, von Aufregung zu Aufregung, von Triumph zu Triumph, und jeder Schritt führt, Gott sei Dank, näher dem Grabe. Ich habe Alles, und die Welt beneidet mich, und doch habe ich mir den Tod nie sehnlicher gewünscht, als eben jetzt.“


„Königsberg, 18. Juni 1843.

„Liebe theure Freundin! Nehmen Sie meinen herzlichen Dank für Ihre freundlichen Zeilen vom 13. d. M., die seit gestern in meinen Händen sind. Ihr Gebet zu Gott, daß er meinem Herzen endlich Ruhe schenken möge, wird wohl nicht eher in Erfüllung gehen, als bis dies Herz ganz stille steht, denn leider sehe ich immer mehr ein, daß ich Phantomen nachjage, nie erreichen werde, wornach ich strebe, und so ewig unbefriedigt bleiben werde. Darum, liebe Freundin, je eher dies unruhige Herz aufhört zu schlagen, je früher geht mein heißester Wunsch in Erfüllung.

… „Wünschen Sie mir ja nicht mehr Prosa in mein Leben, liebe Freundin, es ist davon so viel darin, daß sie mich fast erdrückt, und mache ich hier und da einen extravaganten Streich, so ist es nur, um nicht in der ewigen Prosa zu versumpfen. – Das Leben lastet schwer, schwer auf mir, und gewaltsam strebt meine Seele aus dem lästigen Kerker hinaus!“


„Zürich, 11. September 1843.

„Nehmen Sie meinen aufrichtigen, herzlichen Dank, theure Freundin, für Ihr liebevolles Schreiben vom 25. v. M. Bin ich doch überzeugt, wie es aus Ihrem wohlwollenden Herzen in die Feder geflossen ist, und wie Sie es treu und wahr mit mir meinen. Geben Sie sich aber keinen zu bangen Sorgen um mich hin, und sein Sie überzeugt, daß der Schritt, den ich thun werde, das Resultat einer reiflichen Ueberlegung sein wird, indem ich für alle Fälle mit mir einig bin und in meinem Innern abgeschlossen habe. Sie werden gewiß die Freude haben, mein Herz bald auf irgend einem Wege zur Ruhe kommen zu sehen. Mein Loos falle wie es wolle, so bin ich ja der innigen Theilnahme treuer Freunde gewiß, die mich nicht im Glück, viel weniger im Unglück verlassen würden, wenn das Letztere wirklich über mich kommen sollte. Ich werde sehr bald zu Ihnen zurückkehren, und dann muß sich mein Geschick auf die eine oder andere Weise rasch entscheiden. Wendet es sich auch nicht nach Eurem Wunsch und Willen, so werdet Ihr nur nicht durch zu große Bedenklichkeiten, die, ich weiß es ja, aus liebender Sorge für mich entstehen, ein Glück verkümmern, das ich nun eben für mein Glück erkannt habe. Ich sollte meinen, es wäre kein ganz verfehlter Lebenzweck, dem besten, liebenswürdigsten und liebenswerthesten Menschen sein durchaus nicht vom Glück begünstigtes Dasein erleichtern zu helfen, statt ihm die Hand zu entziehen, die er voll Zuversicht und Vertrauen ergriffen hat, und um so weniger werde ich mich jetzt aus ängstlicher Sorge für meine Zukunft von ihm lossagen, da er unglücklich ist und keine Freundeshand, als die meinige, auf dieser Welt hat. Ich werde nur nach seinem Willen handeln, und nur sein Wille kann mich von ihm trennen. Bis jetzt habe ich zu allen meinen Handlungen mich bestimmen lassen und habe nicht selten Ursache gehabt, zu bereuen, daß ich nicht meinem eigenen Willen gefolgt bin. Diesmal nun bin ich fest entschlossen, so selbstständig zu handeln wie möglich und mich nur dem Willen des Einen unterzuordnen, dem ich aus voller Ueberzeugung mein Geschick in die Hand gegeben habe. Ich glaube durch diese Handlungsweise Niemandem zu nah zu treten, da durch sie keiner Pflicht, die ich sonst noch zu erfüllen habe, Eintrag geschehen wird. Meine Mutter ist eine alte Frau von 63 Jahren, die allerdings jetzt Ruhe und Sorglosigkeit allem Andern vorzieht und wohl auch in ihrer Aengstlichkeit zu weit geht, denn meine Zukunft ist ja in jedem Fall gesichert, und wäre es nöthig, würde ich mich einzuschränken wissen und mir gern jede Entbehrung auferlegen, ehe ich mich von den theuersten Pflichten lossagte. Sein Sie daher ganz außer Sorge, liebe Freundin, Sie werden sehen, daß ich nichts thue, was nicht reiflich überlegt ist. Ich werde den 28. bis 30. in Dresden eintreffen – wie lange ich bleiben werde, kommt auf die Umstände an. Meine Reise in die Schweiz beschränkt sich nur auf Zürich, da mein Gastspiel mich bis Mitte des Monats aufgehalten hat. Meine Schwester Betty hat die ganze Tour gemacht und ist erst gestern nach vierzehntägiger Abwesenheit zurückgekommen. Ich habe mich in der fürchterlichsten Hitze schrecklich plagen müssen und habe heute zum elften und vorletzten Male gesungen. Das sind die Freuden, die ich von solcher Reise habe.“

Wilhelmine kehrte nach Dresden zurück, allein die Ruhe, nach der sie sich sehnte, wurde ihr nicht zu Theil. Das Verhältniß zu Herrn von Döring spann sich im stürmischen Wechsel von Qual und chimärischem Glücke jahrelang fort. „Was ist unergründlicher, als das Herz eines Weibes, wenn es liebt?“ schrieb sie später, als der Wahn verflogen war, „und ich liebte ihn treu und innig. Trotz aller Täuschungen, die er mir bereitete, hielt ich seine Reue immer wieder für wahr, seine Thränen für echt, seine Zerknirschung für aufrichtig.“ Ihre Liebe schien nur zu wachsen in den Schmerzen, die er ihr verursachte, und jedes Mißtrauen gegen ihn empfand sie im nächsten Augenblicke wie ein unverzeihliches Unrecht. Im Juni 1846 schreibt sie aus Nürnberg:

… „Gott sei Dank! mein Glaube an diesen einen Menschen hat mich nicht betrogen, und nicht zu hart möge mich die Strafe heimsuchen, die ich darum verdiene, daß ich einem schnöden Argwohn gegen ihn auch nur einen Augenblick Raum in meiner Seele gönnen konnte! In welchem Zustande ich nach Leipzig kam, nachdem ich mir noch zwei Tage lang den fürchterlichsten Zwang in Hannover auferlegen mußte, werden Sie begreifen, der einen so tiefen Blick in mein Inneres gethan hat. Ich war todtkrank an Leib und Seele. Meine Schwester war meiner Aufforderung sogleich gefolgt, und ich fand nicht nur sie, sondern auch Döring dort und war schon den Tag vorher von ihnen erwartet worden. Ich habe nun eine ernste Auseinandersetzung mit Döring gehabt, und es hat sich denn herausgestellt, daß nur schwarze Verleumdung in den Hauptsachen sich an ihn gewagt, daß er unbesonnen, aber nicht schlecht und verrätherisch war und nur bis jetzt den Muth nicht hatte, mir seine Unbesonnenheit einzugestehen. Er hat weder gespielt, noch den Fleiß meiner Hände verkauft, denn ich habe Alles selbst gesehen, und gesehen, wie hoch und heilig er diese kleinen Gaben der Liebe hielt. Fluch also über die Menschen, die ihre Lust nur am Bösen finden und sich nicht schämen, das Reinste und Heiligste zu betasten! Und doch muß ich diesen Menschen wieder danken, denn sie haben es dahin gebracht, was sie freilich nicht bezweckten, daß mein Glaube an den Mann, für den mein Herz die treueste und reinste Liebe hegt, für dieses Leben unerschütterlich fest steht, und nichts mich wankend machen wird in dem Entschluß, mein ganzes Leben mit all seinen edelsten Kräften nur ihm

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