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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

besten Hoffnungen opfern? No, Sir!“ fuhr er kopfschüttelnd fort, während ein leises Roth in Reichardt’s Gesicht stieg. „Sie sind nicht der Mann, der sich von so einem Steine aus seiner Straße sprengen ließe – ich habe Sie in schwierigeren Verhältnissen gesehen, Mann, und kenne Sie! – Und so soll ich wohl auch glauben,“ fuhr er, scharf in des Andern Gesicht blickend, fort, „daß Sie nur wegen des Cassirers Ihre Farbe verloren haben, während Ihre Verhältnisse doch sonst die angenehmsten sein könnten, daß Sie wie in stillem Harme beinahe schon eine ganz spitze Nase bekommen, nur weil Sie dem Ladestock in Ihrer Office den Gefallen thun müssen, sich über ihn zu ärgern? No, Sir!, das dürfen Sie dem Meißner nicht sagen –“

„Aber Sie haben doch gehört, daß es eben diese Verhältnisse sind, die mich so peinigen!“ unterbrach ihn Reichardt, ohne einen Anflug von Verlegenheit ganz unterdrücken zu können.

„Ich kann mir ja wohl denken,“ fuhr der Andere fort, ohne auf den Einwurf zu achten, „daß Sie nicht jetzt schon eine Zukunft aufgeben würden, die vor kurzem noch ein lebendiges Paradies für Sie war, wenn nicht eine ganz bestimmte gewichtige Ursache dafür vorhanden wäre – ich werde Ihnen aber natürlich nicht abfragen, was Sie verschweigen wollen – immer laufen lassen, was sich nicht halten läßt – und so sagen Sie mir nur wenigstens, ob Sie schon andere Aussichten haben, oder was Sie sonst zu thun gedenken.“

„Sie gehen zu rasch, Meißner, so weit bin ich noch lange nicht,“ versetzte Reichardt, in das Glas vor sich sehend, als wolle er des Andern Blick vermeiden, „weiß ich doch noch nicht einmal, wie ich meine Stelle aufkündigen soll, ohne wie ein Narr oder ein Undankbarer zu erscheinen.“

„Das mögen wirklich Viele für die richtigen Bezeichnungen halten,“ erwiderte der Kupferschmied trocken, „ich sehe aber, wie kalt Sie die Dinge betrachten, und es wird sich freilich wenig gegen die Unmöglichkeit, in Ihren jetzigen Verhältnissen zu bleiben, sagen lassen.“

„Es ist so, Meißner!“ sagte der junge Mann, mit voller Bestimmtheit dem Blicke des Fragers begegnend, „ich habe mich gegen Sie ausgesprochen, so weit es möglich war, und so lassen Sie das abgethan sein.“

„Gut! aber Ihr ferneres Unterkommen ist damit nicht abgethan,“ warf der Andere, sich jetzt ereifernd, ein, „und danach haben Sie zu sehen, ehe Sie zur Kündigung gehen. Mr. Frost, denke ich, wird wenig Lust haben, Ihrer Ausdauer ein großes Zeugniß auszustellen; der Geschmack zum Porterspielen wird Ihnen jetzt wohl auch vergangen sein; Bekanntschaften haben Sie schwerlich schon genug, um etwas Anderes ergreifen zu können – “

„Ich weiß Alles, was Sie sagen wollen,“ unterbrach Reichardt den Sprechenden und ließ den Kopf schwer in die Hand sinken, „ich habe mir den größten Theil davon schon selbst gesagt, und doch werde ich mich dem Glück oder Unglück überlassen müssen -“

„Gut, so sind wir damit fertig – ein anderes Bild!“ rief der Kupferschmied, mit einer eigenthümlichen Mischung von Aerger und Humor. „Das gnädige Fräulein vom Schiffe ist wieder hier, wenn Sie es noch nicht wissen – sie scheint aber jetzt im Ernste eine gnädige Frau geworden zu sein.“

„Wer – Mathilde?“ fragte Reichardt überrascht aufsehend. Der Andere nickte. „Ich begegnete ihr gestern Mittag am Broadway, wie sie in Sammt und Seide einen alten Gentleman mit sich schleifte. Ich hätte gern gesehen, was sie bei meinem Anblicke für ein Gesicht ziehen würde, aber sie bogen in’s Prescott-Haus ein, eben als ich mich bemerkbar machen wollte.“

Reichardt sah, wie von einem Gedanken berührt, in des Erzählers Augen. „Und Sie sind sicher, daß Sie sich nicht getäuscht haben?“ fragte er.

„Ich denke, wenn man fast eine Viertelstunde braucht, um sich zu überzeugen, ist man ziemlich sicher!“

Reichardt schien noch immer seinen früheren Gedanken zu verfolgen. „Ziehen Sie Ihren andern Rock an, Meißner,“ sagte er endlich, „wir machen ihr einen Besuch!“

„Ich?“ rief der Kupferschmied sich wie entsetzt von seinem Stuhle erhebend, „soll mich der Himmel bewahren! In meiner Bekanntschaft mit ihr steht nichts von einem Vergiß mein nicht; sie hat mir auf dem Schiffe meine Gedanken über ihre Verhältnisse vom Gesicht ablesen können.“

„Aber ich versichere Sie, daß sie gegen mich mit der größten Freundlichkeit von Ihnen gesprochen hat!“

„Das ist ihre Sache, ich mag aber solche Frauenzimmer nicht, die auf Spekulation nach Amerika gehen und sich da lieber einen reichen Graubart einfangen, als zu leben und zu arbeiten wie die andere Jugend –“

„Meißner!“

„Nun ja, das ist ein Punkt, in dem wir noch niemals übereingestimmt haben, also lassen wir die Sache, und Sie gehen allein. Werden wenigstens gleich hören können, was aus dem Menschen geworden ist, den Sie damals in St. Louis – – Sie wissen ja! – Dummes Zeug!“ unterbrach sich der Redende, als Reichardt’s Gesicht sich in der plötzlich wachgerufenen Erinnerung verfärbte, „wir hätten längst irgend eine Andeutung, wenn nicht Alles in Ordnung wäre! – aber noch eins,“ fuhr er fort, als sich der Andere erhoben hatte, und faßte dessen Hand, „ich habe eine Art Ahnung, was Sie so schnell zu der Gnädigen treibt – thun Sie keinen raschen Schritt, der Sie aus Ihrer jetzigen Stellung bringen könnte, Reichardt! Ich weiß nicht, welche Mücken Ihnen im Kopfe stecken; aber wenn Sie mit dem alten Herrn wie mit dem jungen so stehen, wie Sie sagten, so kann es doch gar nichts geben, was sich nicht ausgleichen ließe – denken Sie daran, wie schwer das erlangt wird, was sich so leicht aufgeben läßt!“

Reichardt drückte mit warmer Empfindung die ihm gebotene Hand. „Sie sind ein lieber, treuer Freund, Meißner, und Sie wissen, wie ich es anerkenne,“ sagte er, „wenn ich Ihnen aber auch Alles zeigen wollte, was in mir lebt, so würden Sie meine Gefühlsweise doch eben so wenig verstehen, als ich oft die Ihrige; glauben Sie mir, was ich thun werde, muß ich thun, um meiner selbst willen!“

„So gehen Sie denn Ihren Weg – ’s ist schon richtig, daß wir nicht Einer wie der Andere sind; der Herrgott wird ja aber wohl Kostgänger von meiner Sorte auch nothwendig haben!“ erwiderte der Kupferschmied, und man wußte nicht, war es Aerger oder Weichheit, was in seinem Tone klang. „Wenn Sie aber einmal wieder Ihren Vortheil „Ihrer Gefühlsweise“ halber weggestoßen haben, und Sie wissen nicht mehr wie sich zu helfen, so denken Sie wieder daran, wo der Kupferschmied zu Hause ist!“

Er nickte kräftig mit dem Kopfe, stürzte den Rest seines Bieres hinab und geleitete dann schweigend den Andern nach dem Ausgange des Zimmers.

Reichardt wanderte schnellen Schritts durch die Straßen. Noch war er sich nicht völlig klar, welchen Zweck er bei dem rasch unternommenen Besuche verfolgte; die Verhältnisse, welche er antraf, sollten ihn erst zurechtweisen – er wußte aber, daß dem neuen, trostlosen Bilde seiner Zukunft gegenüber, wie es Meißner vor ihm aufgerollt, die Nachricht von Mathilde’s Anwesenheit ihn wie eine neue Hoffnung, wie ein Ausgangspunkt seiner jetzigen Kämpfe berührt hatte; er wußte, daß er auf dem Wege war, möglicherweise Alles von sich zu werfen, was ihn bisher gequält, und damit auch alles Glück seines Herzens, alle Befriedigung durch seine jetzige Stellung; aber dies Glück war schmerzlicher für ihn geworden, als jede äußerliche Plage, und alle geschäftliche Befriedigung wollte er gern opfern, wenn er nur fortkommen konnte aus diesem Wirrsale mit sich selbst, das ihn aufzureiben drohte.

Er hatte kaum einen raschen Blick in das Fremdenbuch des „Prescott-Hauses“ gethan, als ihm auch schon die Einzeichnung: „Fonfride and Lady“ entgegenblickte; ohne langes Besinnen sandte er seine Karte nach dem angemerkten Zimmer, und die rückfolgende Einladung brachte ihn schnell vor die ihm bezeichnete Thür. Von innen klang ihm eine leicht hingeworfene Cadenz entgegen, die aber alle seine Nerven in Erregung setzte, und mit leise bebendem Finger klopfte er.

Es war Mathilde, und doch war sie es auch nicht, welche dem Eintretenden lächelnd entgegenkam. Trotz ihrer augenscheinlichen Ungezwungenheit lag etwas in ihrer Haltung, in der Art ihrer Bewegung, selbst in ihrem Blicke, was an die „große Dame“ erinnerte und ihre ganze Erscheinung in einer Weise verändert hatte, wie es Reichardt in den wenigen Monaten seit ihrer Trennung kaum für möglich gehalten. Als er ihre Hand ergriff, die sich nur mit einem leichten, flüchtigen Drucke um die seine schloß, mußte er unwillkürlich an das Wiedersehen zwischen ihnen auf der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_498.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)