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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Türr ist sehr mittheilsam und ob er gleich mit ungarischem Accent und etwas mühsam Deutsch und höchst unvollkommen Französisch spricht, erzählt er doch in diesen Sprachen mit Anmuth und in anziehender Weise. Alles, was er sagt, zeigt eben nicht von einer besondern Tiefe der Anschauung, aber von Geradsinnigkeit und klarem Verstande. Er erzählte, durch Fragen und Bemerkungen der Gesellschaft veranlaßt, die kriegerischen Begebenheiten im südlichen Italien von der Abfahrt der „Tausend“ nach Sicilien bis zum Einzug Garibaldi’s in Neapel und entzückte die Zuhörer durch die einfache, ungekünstelte Darstellung, in welcher Garibaldi immer und immer den Vordergrund einnahm. „Von Allem, was ich gewirkt habe,“ erklärte Türr, „schlage ich nichts als meine Theilnahme an dem Zuge nach Sicilien hoch an,“ und er sprach den Vorsatz aus, diese verwegenste aller Unternehmungen, von denen die Geschichte und selbst die Sage meldet, ausführlich für die Mit- und Nachwelt zu beschreiben. Die Landung zu Marsala stellt Türr als das Ergebniß eines Gedankens dar, der plötzlich in dem Kopfe Garibaldi’s entstand, als er mit seinen Genossen in Altamo anhielt, um das kleine Heer mit dem Nothdürftigsten, an dem es auf den beiden Schiffen fehlte, zu versehen. Die neapolitanischen Kreuzer, versicherte Türr, kamen zu spät, um die Landung zu verhindern, ohne jedes Einverständniß ihrer Anführer mit den Patrioten. Mit einem angenehmen Humor schilderte Türr den Zustand und namentlich die Bewaffnung des heldenmüthigen Häufleins, das seinem Führer in den sichern Tod folgte.

„Wir thaten bis Palermo keinen Schuß,“ erzählte er, „aus dem guten Grunde, weil wir nicht schießen konnten. Von den Gewehren, über welche wir verfügten, wollte keines losgehen. An dem einen fehlte der Hahn, das zweite war verrostet, an dem dritten war der Lauf verstopft, kurz wir mußten uns auf Bajonnetangriffe verlegen und haben bei Calatasimi zweitausend fünfhundert Mann regelmäßiger Truppen, die gute Gewehre und Artillerie hatten, zum Weichen gebracht.“ Wenn Garibaldi anführt, und die neuangeworbenen jungen Leute, vom feindlichen Feuer erschreckt, ein wenig stutzen, ruft ihnen Garibaldi, der immer vorangeht, seinen Hut schwenkend, mit einer Art Gutmüthigkeit die Worte zu: „Vorwärts, vorwärts, Jungen, das ist kein Feuer,“ (avanti, avanti, ragazzi, questo non e fuoco) und es war die Wirkung unbegreiflich, unglaublich, welche diese einfache Ansprache aus dem Munde Garibaldi’s hervorbrachte. Türr war es, dem Garibaldi in der Nacht, wo er Bosco bei Palermo umging, einen Stern zeigte und zu ihm sprach: „Dieser Stern hat mir in Amerika geleuchtet, morgen sind wir in Palermo.“ Als sich Garibaldi anschickte, sich allein ohne ein Heer nach Neapel zu begeben, stellten ihm seine Kampfgenossen und unter diesen Türr die Gefährlichkeit dieses Schrittes vor, da St. Elmo und mehrere Punkte in der Stadt selbst von Soldaten Franz II. besetzt waren. „Das Volk von Neapel ruft mich, und ich komme,“ gab Garibaldi auf die Vorstellungen seiner Freunde zur Antwort; und diese wußten, daß jeder weitere Versuch, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, unnütz wäre, und sie folgten ihm, um mit ihm die Gefahr zu theilen, vor welcher sie ihn gewarnt hatten. Kaum angelangt in Neapel, erhielt Garibaldi einen Besuch des Befehlshabers der Festung von St. Elmo, der ihm anzeigte, daß die Soldaten in der Festung dem Bourbon ergeben sind und, von der Ankunft des Freischaarenführers unterrichtet, die Stadt beschießen wollen.

„Sagen Sie ihnen, daß wir hinauf schießen werden, wenn sie herunter schießen,“ versetzte Garibaldi zum Erstaunen seiner Freunde, die wohl wußten, daß es mit dem Hinaufschießen einige Schwierigkeiten haben würde, zumal weder Soldaten noch Gewehre oder gar Kanonen bei der Hand waren. All dieses nun und noch Anderes erzählte Türr so einfach, wie es sich zugetragen, und man sah es der kleinen Gesellschaft an, mit welchem lebhaften Interesse sie zuhörte. Dem Schreiber dieser Zeilen bleibt der angenehme Abend, den er in Gesellschaft Türr’s zugebracht hat, unvergeßlich.

Ganz anders als Türr stellte sich der General Bixio dar. Es ist ein ernster, schweigsamer Mann; die soldatische Entschiedenheit spricht aus jedem Zoll seiner kräftigen gedrungenen Gestalt, aus den fest gezeichneten Umrissen seines sonnverbrannten Angesichts. Er ist scheu, fast schüchtern in größerer Gesellschaft, und man sieht es ihm an, daß er sich besser im Gebraus der Schlachten, als innerhalb der Formen des Salonverkehrs befindet. Seine Gedanken schienen von ganz anderen Dingen eingenommen, als von den trefflichen Musik- und Gesangstücken, welche von den hervorragendsten Künstlern in diesem Fache vorgetragen wurden. Das ist ganz und gar der Mann, von dessen Ungestüm im Kampfe die geschlagenen neapolitanischen Truppen viel zu erzählen wissen und auf den der Vers des unsterblichen Lenau paßt:

„Die Feinde zählt kein tapfrer Mann.“

Das ist ganz und gar der Mann, unter dessen Leitung die calabresischen Freiwilligen, welche sich anfangs ein wenig zaghaft erwiesen, zu Helden sich herausgebildet haben, der in eine Kirche hineinritt, wo seine Schaar lagerte, um sie zu wecken, da sie zur festgesetzten Stunde nicht wach und zum Marsch bereit war. Schon als Knabe zeigte sich Nino Bixio von einem eben so unerschütterlichen als heftigen Charakter. In einem Alter von sechs Jahren zog er seine Schuhe von den Füßen und warf sie einer Magd in seiner Eltern Hause an den Kopf, die es gewagt hatte, ein verletzendes Wort über seine Familie auszusprechen. Es kam vor, daß er, ebenfalls noch in einem zarten Alter, Obst stahl und sein Vater, der dahinter gekommen war, ihn mit der Frage anließ:

„Weißt Du, was dem geschieht, der gestohlen hat?“

„Es werden ihm die Hände verbrannt,“ antwortete der Junge, und ohne sich weiter zu bedenken, legte er die Hände ins Feuer, dem der Vater zum Schaden der Truppen Franz II. sie entriß. Italien wurde in dem kleinen Scävola einer der wackersten Freiheitsmänner erhalten.

An Stoicismus wird Bixio von Niemandem überboten, und er gestattet der von ihm angeführten Mannschaft eben nicht allzugroße Bequemlichkeiten. Er hatte die Einschiffung der kühnen Gesellen zu besorgen, die Garibaldi nach Sicilien folgten; und es fand sich, daß die beiden Schiffe so stark beladen wurden, daß die mit dem Seewesen wenig vertrauten Truppen das Untersinken befürchteten. Eines der Fahrzeuge hatte bereits so viel Leute und Dinge aufgenommen, daß ihm die Fluth bis nahe an den Saum drang, und noch kamen nach der von Bixio gemachten Anordnung Personen auf das Verdeck.

Ein ungarischer Freiwilliger, von der auf dem Schiffe herrschenden Unruhe ergriffen, nahm sich’s heraus, einen Mann zurückzustoßen, der an Bord steigen wollte; da griff Bixio, damals Capitain, durch das vermessene, undisciplinirte Thun des Freiwilligen in Zorn versetzt, nach einer Muskete und schlug den Mann vor den Kopf, daß derselbe zurücktaumelte und sich’s weiter nicht beikommen ließ, die Einschiffung zu stören.

Der General erzählte diesen Vorgang seinem Bruder, dem ehemaligen Minister, der diese Aufwallung als gefährlich bezeichnete, „da so ein Ungar, um die Mißhandlung zu rächen, gelegentlich einen Schuß auf den Beleidiger thun könnte.“

„Nicht doch,“ entgegnete der General, „die ungarischen Freiwilligen sind wackere Leute und haben mir immer viel Sympathie gezeigt. Sie haben nur den Fehler, daß sie gar zu große Ansprüche machen; wenn man auf ihre Forderungen achten wollte, gäbe man ihnen jeden Tag frisches Stroh zum Lager.“

„Unglaubliche Anmaßung, die man nicht genug zurückweisen kann!“ versetzte lächelnd der ältere Bruder. Was soll aber General Bixio, ein Mann mit solcher Anschauung, im Salon?




Die Königin und der Wald.

„O Wald, mein Wald, wie lieb’ ich Dein Grün!
Weit mehr als den Königssaal!
Ich liebe nichts so sehr, als ihn
Und Dich, mein Eh’gemahl.

5
O, legt mir nun der Tod auf’s Herz

Die Hand so knöchern und kalt,
Schließt mich nicht ein in Stein und Erz,
Begrabt mich im grünen Wald.

Wenn die Mönche singen, die Glocken geh’n,

10
Das macht mir den Schlaf so bang.

Laßt über mein Grab die Zweige wehn,
Waldvöglein fliegen mit Sang!“




Doch als sie schlief zum Sterben ein,
Da hielten sie ihr nicht Wort,

15
Sie legten in einen ehernen Schrein,

In steinerne Gruft sie dort.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_492.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)