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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

und Räuber ohne Ansehen der Person. Noch leben in der Erinnerung und Sage des Volkes und in volksthümlichen Dichtungen diese seine Thaten. An mancher Mallstatt am steinernen Tisch saß „der Mann im Bart“, unerwartet erschienen, zum Schrecken der Vorgeladenen, die einen anderen Vorsitzer erwartet hatten, und oft ließ er improvisirte Gerichtsschranken ziehen; überwiesene Landfriedensbrecher kamen niemals mehr weit von dieser Stätte; er sorgte dafür, daß sie dem Lande und Volke nicht mehr schadeten. Keine Fürbitte ihrer vornehmen Angehörigen vermochte jemals in solchem Fall das Herz dieses sonst so milden Menschen zu rühren. Andere Richter und Fürsten fürchteten den Haß und die Rache der Verwandten und Verbündeten solcher Landfriedensbrecher, und die Gerechtigkeit drückte oft ein Auge zu; der Graf im Bart kannte keine Furcht und keine Rücksicht, als die auf Gott, das Gesetz und das Volk, dessen Schirm zu sein, sein Amt war. Oft suchte er mit einer auserlesenen Schaar seiner Tapfersten die adeligen Wegelagerer auf und überfiel sie in ihren Schlupfwinkeln; oft zog er ganz allein durchs Land und trat plötzlich im Wald unter gelagerte Haufen solcher schädlichen Leute, ohne daß einer ihn antastete. Es war die niederwerfende Macht seiner Persönlichkeit und seines Charakters, jene Macht, welche so geheimnißvoll und unwiderstehlich auf die Masse der Menschen wirkt.

In jener Zeit, in welcher die Vaterlandsliebe unter den Deutschen, unter Groß und Klein, so sehr krankte, der Gemeingeist schwand, und besonders die Fürsten, aber auch die Städte des Reichs nur für sich selbst sein wollten und nur das Ihre suchten, da leuchtete der Graf im Bart als ein Vorbild eines echten Fürsten des Reiches, und der Kaiser hatte an ihm in allen großen Vaterlandsfragen einen Halt und Sprecher auf den Reichsversammlungen und auf den Fürsten- und Städtetagen. „Ein deutscher Fürst,“ pflegte Eberhard zu sagen, „hat zwei Pflichten, die erste, daß er sich an seinen Kaiser und die Reichsstände halte, und mit ihnen den gemeinen Nutzen des Vaterlandes befördern helfe; die zweite, daß er für seiner Unterthanen Wohlfahrt sorgfältig sei.“

Die Berichte aller deutschen Zeitgenossen rühmen einstimmig seine Einwirkungen in die allgemeinen deutschen Angelegenheiten. Er war berufen und that das Seine, das verwirrte Reich zum Frieden, zu einer festeren Verfassung bringen zu helfen, er war die Seele der Einigungen und Bündnisse der Zeit. Nie blieb er aus, wenn der Kaiser zur Heeresfolge rief, und erhielt mehr als einmal des Kaisers besonderen Dank für seine Bereitheit zur Reichshülfe, gegen den Burgunder, nach Italien, gegen die Ungarn und Türken. Er war einer der ersten Fürsten, der in den schwäbischen Bund trat und mit Nachdruck für denselben thätig war, jenen Bund, der so viel that für Frieden und Ordnung im Reiche. Des Grafen Beitrittsurkunde wurde zum Grunde gelegt bei den andern Fürsten, welche noch hinzu kamen. Er war der Erste, der dem Könige Maximilian eine treffliche Zahl Hülfsvölker in die Niederlande führte und die oberdeutschen Städte nach sich zog; er berieth mit ihnen zu Ulm diese Sache. Er hatte das gleiche Vertrauen des Königs, des Erzkanzlers und der Reichsstände. Er bewirkte die Verlängerung des schwäbischen Bundes. Er war der gewählte oberste Feldhauptmann desselben. Wie viel er darin that, dafür zeugte am lautesten, daß die Bundessachen stockten, als sein persönlicher Einfluß aufhörte durch seinen frühen Tod. Kaiser Maximilian sandte ihm das goldene Vließ und den Antrag, ihn zum Herzog zu machen, ihn und seine Nachfolger.

Da nahm der Graf erst nach längerem Bedenken und Unterhandeln die Herzogswürde an, unter der ausdrücklichen, vom Kaiser zugestandenen Bedingung, „daß seinem Land und dessen drei Ständen ihre verfassungsmäßigen Rechte auf’s Neue und für alle künftigen Zeiten gewährleistet und gesichert werden.“ So sollte nach dieses Fürsten Willen sein geliebtes Württemberg im Falle des Aussterbens des Mannsstammes, der damals nur auf wenigen Augen ruhte, als Freistaat, vom Geiste der Verfassung, die er feststellte, belebt, ein ungehemmtes und unbelastetes Dasein haben, unmittelbar unter dem Kaiser.

So ausgezeichnet und fruchtbar Eberhard’s Thätigkeit für die Verbesserung und Befestigung des deutschen Reiches war, und so schön seine Liebe zum gemeinsamen deutschen Vaterland hervorleuchtete: so thätig und so voll Liebe war er für sein Heimathland Württemberg. Die Lust seines Lebens war Thätigkeit für das Wohl des Volkes, und wie von den größten Fürsten mächtigster Reiche das so oft mit Uebertreibung gerühmt wird, war er in seinem Lande Tag und Nacht in Arbeit, ohne daß das eine Uebertreibung des Lobes wäre. Bis zu dem Geringsten im Haushalt seines Landes und seinen Hofes umfaßte seine unermüdete Thätigkeit Alles von den wichtigsten Regierungssachen an. Einfachst war er in seiner Lebensweise, manchem verwöhnten Adeligen und Bürgerlichen oft ärgerlich sparsam; er war es, um viel thun und geben zu können für das Beste von Land und Volk, für seine neuen Anstalten und Einrichtungen, ohne dadurch Land und Volk zu belasten. So viel er Neues schuf im Lande, so zahlte doch das Volk unter ihm weniger als unter seinen Vorfahren und Nachfolgern. Das unter ihm zu einem Ganzen vereinigte Württemberg hatte weniger zu steuern, als vor ihm jeder einzelne Theil des in zwei Hälften getheilten Landes. Die Mittel dazu waren die höchste Einfachheit in seinem eigenen Haushalt und die durch ihn erst hervorgerufene Entwickelung mancher zuvor unbenutzter innerer Hülfsquellen des Landes, aber auch der Ruhm seiner Persönlichkeit im Reiche.

Es ist bös in der Geschichtschreibung, daß man gewöhnlich Alles, was zur Zeit der Regierung eines Fürsten, aber durch Andere Gutes geschieht, auf den Fürsten selbst zurückführt und nur seinen Namen dafür nennt, als hätte er es gethan, ja gar allein gethan, und daß man das Böse nur seinen Räthen zuschreibt und diese dafür nennt. Der Graf im Bart ist einer der Wenigen, von welchen erweislich ist, daß das Gute, welches unter ihm geschah, entweder zuerst und allein von ihm ausging, oder durch ihn geschah, wenn der Gedanke von einem seiner Räthe kam, wenigstens so durch ihn geschah, daß er thätig dabei mitwirkte, und daß er gerade diese Räthe sich aussuchte, und ihren Rath nicht bloß verlangte, sondern auch unverlangt, selbst dann und da, wo es ihm unbequem oder unangenehm war, ihn hörte, sich ihm fügte, sich unter ihn beugte. Das geschah urkundlich mehr als einmal. Der edle Mensch und die Liebe zu Volk und Vaterland waren größer in diesem Fürsten als sein Selbstgefühl, als die Vorstellung von seiner Fürstenwürde; größer die Ehrfurcht vor der Wahrheit, vor der Freimüthigkeit einsichtsvoller, erfahrener Männer, als der Glaube an seine eigene Einsicht und Ansicht. Niemand war weiter entfernt als er, an eine Art besonderer Erleuchtung der Geburt und des Thrones zu glauben.

Während die Fürsten um ihn her nach Unumschränktheit trachteten und dafür arbeiteten, arbeitete der Graf im Bart an der Freiheit seines Volkes und an der Beschränkung der Fürstenmacht. Sein eigenes Beispiel in der Jugend, und was er täglich an seinen zwei Vettern vor Augen sah, machte es ihm zur unerschütterlichen Ueberzeugung, daß Unumschränktheit heillos sei für Fürst und Volk, und brachte ihn zu dem Entschluß, „der Willkür feste Riegel vorzuschieben“, und sein Volk „dagegen und gegen die Verschwendung seiner Nachfolger zu schützen.“

Seine zwei Kinder waren ihm frühe gestorben. Als seine Nachfolger waren seine zwei Vettern in Aussicht, Graf Eberhard der jüngere und dessen Bruder Heinrich. Dem Letztern hatte er die überrheinischen Herrschaften des Württembergischen Hauses in Verwaltung gegeben. Der hauste in der Grafschaft Mömpelgard so, daß der Graf im Bart ihm erklärte, er habe nicht zur Regierung eines Dorfes, geschweige eines Landes sich tüchtig gezeigt.

Als seine Frevel und tollen Streiche sich mehrten, seine früher nur zeitweise Geistesabwesenheit in völlige Geisteszerrüttung zum Verderben von Land und Leuten überging: da, um den Namen und das Wohl Württembergs zu wahren, rief der Graf im Bart ihn nach Stuttgart und ließ ihn, als er ihn so sah, wie er war, in einen Ring geschlossen, auf die Feste Hohenurach gefangen führen. Eigenhändig, mit Hammer und Beißzange, zerschlug der Graf im Bart in Gegenwart der Ehefrau und seiner zwei Kinder, worunter der nachmalige Herzog Ulrich, das silberne Siegel des Geisteszerrütteten, damit derselbe nichts mehr rechtskräftig verfügen, dem Volke nicht mehr schaden könne.

Dieses Unglücklichen älterer Bruder war von der Narrheit der Verschwendung besessen und in einem wüsten Leben an Leib und Seele verkommen. Und der sollte der Nachfolger des Grafen im Bart werden. Gegen den, gegen seine und seiner Gesellen Willkür, hatte der Graf im Bart frühzeitig eine Schutzmauer aufgerichtet. Durch Vertrag, den der Kaiser bestätigte, hatte er eine Regimentsordnung gemacht, wie es nach seinem Tode gehalten sein solle. Dieser leichtfertige Vetter sollte nur unter der Bedingung zur Regierung kommen, daß er einen Landhofmeister und einen Ausschuß von Zwölfen aus den drei Ständen, aus Adel, Prälaten

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