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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 29.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Ein Deutscher.

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Die Morgendämmerung des nächsten Tages hatte sich kaum erst durch einen leicht bedeckten Himmel Bahn gebrochen; Reichardt streckte sich noch in seinem Bette und wartete, daß die im Kamin aufgebauten Kohlenstücke in rechten Brand gerathen sollten, als plötzlich die Thür aufsprang, und John Frost mit einem lachenden: „Richtig, hier haust er!“ eintrat. „Bleiben Sie liegen!“ rief er, als der junge Deutsche in wortloser Ueberraschung auffuhr, „dehnen Sie sich noch einmal und empfinden Sie, was es heißt, ein warmes Bett zu haben; ’s ist Manchem in der letzten Nacht nicht so gut geworden. Bei Gott, Reichardt,“ lachte er auf, „wenn ich Sie nicht schon lieb gehabt hätte, so würde ich Sie von heute an in mein Herz schließen – so eine Teufelsgeschichte!“

„Aber sagen Sie doch um Gotteswillen, was mir die Ehre verschafft, Sie in meiner Hütte zu sehen,“ begann Reichardt, „jetzt, wo kaum erst Milch und Bäckerwagen ihre Besuche machen –“

„Sollen Alles hören, Sir! bleiben Sie nur in Ihrer Ruhe, und ich werde ’s mir auch so bequem machen, als es sich thun läßt,“ erwiderte der junge Amerikaner, sich einen Stuhl zum Feuer und sich langsam eine Cigarre anbrennend; „die Sache ist die, Sir, daß ich soeben von der Polizeistation komme, wo ich unsern Freund Johnson nebst fünf oder sechs Andern recognoscirt habe. Unser kleines Zimmer im Astorhause ist letzte Nacht, etwa zwei Stunden nachdem Sie mich von dort weggezogen, von der Polizei überrumpelt, – die ganze Gesellschaft aber aufgehoben und nach dem Stationsgebäude abgeführt worden. Es muß ein ganz ungeheurer Verrath stattgefunden haben, mag der Teufel wissen, durch wen. Der Polizei-Capt’n hat den Schlag und das Paßwort gehabt, und der hintere Ausgang, zu dem nur Wenige den Weg von außen wissen, ist so besetzt gewesen, daß die armen Kerls die Ratte im Sack haben spielen müssen. – Well, Sir,“ fuhr er lachend fort, „ein großer Theil von den Uebelthätern hat sich durch herbeigeholte Verwandte und Bekannte noch während der Nacht legitimiren können und ist vorläufig entlassen worden; unser Johnson aber und noch einige mit ihm fürchteten nichts mehr, als daß der Streich zur Kenntniß ihrer Verwandten käme, und so wurde denn eine Botschaft an mich abgeschickt. Ich aber saß gerade irgendwo, nur nicht zu Hause, in einem allerliebsten Eckchen, und die glatte, patente Gesellschaft mußte die lange Nacht auf der Pritsche verbringen. – Bei Jingo,“ rief er, plötzlich aufspringend, „was meinen Sie, Reichardt, wenn wir Beide darunter gewesen wären? An den Kopf wär’s allerdings nicht gegangen, aber ich gestehe Ihnen jetzt ganz offen, daß ich lieber zwei Finger verlieren, als meinem Vater als arretirter Spieler unter die Augen treten möchte – und wenn jetzt mein erster Weg mich nach Ihrem Boardinghause geführt hat, trotztem es wohl die ungelegenste Zeit zu Besuchen ist, so mögen Sie daraus sehen, wie ich an Sie gedacht habe. – Aber,“ lachte er plötzlich wieder auf, „hätten Sie doch die Gesichter gesehen, als ich vor einer Stunde, nachdem ich beim Nachhausekommen den Hülferuf gefunden, in das Stationshaus trat. Ein strahlendes Licht in tiefster Finsterniß ist gar nichts gegen den Effect, den meine Erscheinung machte. Johnson ist trotz mancher unangenehmen Seite immer noch ein ganz leidlicher Junge – seinen Hochmuthsteufel in Bezug auf Sie werde ich ihm auch noch austreiben – und es hat mir wirklich wohlgethan, ihn für so manche Grobheit, die er gestern Abend hat anhören müssen, jetzt aus seinem Elende zu reißen – ja,“ unterbrach er sich plötzlich, „dabei fällt mir aber etwas Anderes ein. Wir haben morgen Danksagungstag, und es ist eine alte Sitte in unserm Hause, daß wir Kinder, meine Schwester und ich, einige unserer genauesten Bekannten Abends zur Vertilgung eines Truthahns bei uns sehen. Dazu sind Sie also jetzt feierlichst eingeladen, denn ich hoffe, Reichardt, daß ich Sie jetzt zu meinen genauesten Bekannten zählen darf!“ Er hatte sich mit ausgestreckter Hand nach dem Bette gewandt; der junge Deutsche aber war mit beiden Füßen zugleich unter seiner Decke hervor in’s Zimmer gesprungen.

„Erst muß darauf der nöthige Kratzfuß folgen!“ rief er mit einem Lachen, in dem sich seine ganze innere Genugthuung aussprach: „im Uebrigen aber kann ich Ihnen nicht mehr sagen, als ich schon gethan,“ setzte er hinzu, Frost’s Hand ergreifend, „disponiren Sie über mich, Sir!“

„All right, Sir. ich, bedarf auch keiner Worte mehr,“ gab Frost mit einem kräftigen Händedruck zurück, „jetzt aber vergessen Sie das Nächste nicht und fahren Sie in Ihre Hosen!“ – Eine Stunde später saß Reichardt auf seinem Arbeitsplatze in der Office. Er war einer der Ersten, und als er langsam seine Bücher aufschlug, meinte er die Sauberkeit und Accuratesse seiner Zahlencolonnen selbst noch nie so bemerkt zu haben, wie heute, glaubte er noch nie so zufrieden mit seiner Stellung wie jetzt gewesen zu sein. In ihm lebte ein Gefühl, als sei ihm ein unerwartetes Glück geworden, oder er habe eine fröhliche Nachricht erhalten, und wenn er, in seine Arbeit versenkt, bisweilen aufblickte, um sich zu besinnen, was ihn in eine so glückliche Stimmung versetzt, war es doch nichts, als die Einladung in das Frostsche Haus für morgen Abend. Als er sich aber endlich ertappte, wie er vor

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_449.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)