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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Fertigkeit schlug. Auch schmucke Jägerbuben, die zum Forsthause gehörten, widerstanden nicht der lockenden Musik und den teil kecken Mädeln; ja selbst der alte, aber noch rüstige Oberförster führte sein dralles Ehegespons zum Reigen. Da herrschte keine vornehme Abgeschlossenheit zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Alle waren von unbefangener Lust und rein menschlichem Gemeinsinn beseelt. Mit harmlosestem Frohsinn nahm die Frau Oberförsterin den Tanz vom Jägerburschen und von dem dickbeschuhten, ja wohl gar barfüßigen Holzknechte an, während sich der Oberförster mit einem schmucken Sennermädel drehte. Ich, der ich nicht tanzen kann, beschränkte mich auf das Zusehen, noch mehr aber auf’s Zuhören; denn Citherklang ist schon an und für sich, noch dazu aber mit so frischer Ursprünglichkeit und in so passender Umgebung von Menschen und Natur vorgetragen, für mich das Non plus ultra von Musik, und gern will ich mich für ein solches Bekenntniß ob meines kindlichen Standpunktes auf diesem Gebiete belächeln lassen. Habe ich doch ein Recht, meinen Genuß eben so hoch anzuschlagen, als die in höhern Sphären Schwelgenden.

Als das improvisirte Tanzvergnügen sein Ende genommen, ging ich mit der Försterfamilie auf deren freundliche Einladung in die hirschgeweihgeschmückte Unterstube, um dort in ihrem Kreise den Abendimbiß einzunehmen. Suppe, geräuchertes Wildpret und Schmarren, dazu ein Maß frisches Bier, mundeten köstlich nach dem weiten Marsch. Außerdem wurde das Mahl durch manche interessante Jagdgeschichte gewürzt, denn da man mich als so ein zur „grünen Farbe“ gehöriges Stückchen zu nehmen anfing, wurde selbst der eine Bursche, ein schon ziemlich bejahrter, finsterer, aber kernfester, wettergebräunter Jäger, gesprächiger, als er sonst wohl sein mochte. Eh er aufthaute, hatte er mich wenigstens mit fast mürrischem Blicke, dem jedoch bei näherer Betrachtung eine gewisse Gutmüthigkeit nicht fehlte, betrachtet. Es war spät geworden, denn die Uhr im großen, dunkeln Nußbaumgehäuse hob schnarrend aus und verkündete durch zehnmaligen Kuckuksruf die vorgerückte Stunde. Durch die kleinen Fenster schien hell der Mond herein, und Nebel durchzogen die vor dem Hause liegenden Thalschluchten. Auf einmal hörte man den fernen Schrei eines Hirsches. Hoch horchte ich auf, und selbst auf die daran gewöhnten Jäger verfehlte der markige Ton nicht seinen anziehenden Zauber auszuüben. Alle wurden ruhig und lauschten dem geliebten Klänge. Ich öffnete das Fenster, durch welches der frische Waldeshauch einströmte, um den Ruf des fern stehenden Brünstigen deutlicher vernehmen zu können. „’s ist der Vierzehner, der oben auf der steilen Eck unter der Geiswand steht,“ sagte jetzt Seph, so hieß der alte Bursche, der so zu sagen ein Inventar in der Försterei geworden war; denn seit vierzig Jahren hat er schon drei Herren in demselben Forsthause gedient. „’s bleibt doch der schönste Brunftplatz dort oben, den wir hier in der Gegend haben; da könnst halt,“ fuhr er zu mir sich wendend fort, „was schauen, wenn Du länger da bliebst und mit aufstiegst. Ja, was war das halt für ’n Anblick, als ich vor acht Jahren von dem obern Pürschhaus aus den mörderischen Kampf der beiden Hirsche mit ansah, wovon die über der Thüre hängenden Geweih’ herrühren.“ Da mir diese schon beim Eintritt aufgefallen, da sie augenscheinlich im Kampfe unzertrennlich in einander verwirrt worden waren, wie das je zuweilen vorkommt, so waren mir diese Andeutungen eines Augenzeugen des geschehenen Kampfes von höchstem Interesse, und ich wendete daher meine ganze Beredsamkeit auf, den Veteran der Jägerei zu einer umständlichen Erzählung zu bewegen. Es gelang mir leichter, als ich vermuthet hatte. Nachdem ich das Fenster wieder geschlossen hatte, denn es war draußen empfindlich kalt, und die Flamme im Kamin frisch angeschürt worden war, setzten wir uns wieder an den großen achteckigen, geschnitzten Ahorntisch, und Seph fing an zu erzählen. Mit vollster Spannung hörte ich zu, während sich die Andern, die diese Geschichte allerdings nicht das erste Mal vernehmen mochten, einem sanften Schläfchen überließen.

Es war, wie gesagt, vor acht Jahren gewesen, als unser Seph vom Pürschgang nach einem alten Gemsbock erfolglos abgestanden und beim Niedersteigen das sogenannte hohe Pürschhaus erreicht hatte. Dort hatte er, ermüdet von der Jagd, sich auf die Matte gelegt und dem sinkenden Tag in’s umschleierte Auge geblickt. Wer da gesehen hat, wie wunderbar erhaben ein anbrechender Abend in den Alpen wirkt, wenn die scheidende Sonne die silberbemoosten Tannen, die saftigen Almen, so wie die starren, zerklüfteten Felsenwände mit ihren schneebedeckten Häuptern überglüht, während über das Drunterliegende bereits der dämmernde Schatten seinen Schleier zieht, unter dem die aufsteigenden Nebel wogen, der wird es selbst von einem dort lebenden Gebirgsjäger begreiflich finden, daß er sich zuweilen gern in solche Anschauungen versenkt. Die Sonne war bereits hinter den zackigen Gebirgsriesen verschwunden gewesen, und schon hatte sich unser Waidmann zum weiteren Niedersteigen gerüstet, als ihn der Schrei eines Hirsches wiederum gefesselt. Der Schall war von der gegenüberliegenden sogenannten steilen Eck, einem freien, nur mit wenigen alten Tannen bestandenen suhlenreichen Platze, herübergekommen. Dieser ist nach drei Seiten von steilen Felsenwänden und wäldigen Schluchten – das Ganze hieß die „Geiswand“ – umschlossen, während die vierte, offene Seite als eine Klippe ein mächtiges Thal hoch überragt, welches tief unten in seinem Bette einen rauschenden Gebirgsbach führt.

Der Hirschschrei ließ unsern Seph sofort das Auge dorthin wenden und, da es ziemlich weit hinüber war, das Fernglas, das in dortiger Gegend meist jeder Jäger bei sich führt, zur Hand nehmen. So konnte er einen starken Zwölfender beobachten, der eben aus der Suhle getreten war und nun das mit sich geführte Wild zusammengetrieben hatte. Dann, gleichsam als Herrn des Platzes sich zeigend, war er hingetreten, um doppelt mächtig seinen gewaltigen Ruf ertönen zu lassen, der grollend die abendliche Ruhe durchtönt hatte. Nachdem dem rollenden Echo wieder die tiefe Gebirgsstille gefolgt war, die nur durch das Rauschen fallender Sturzbäche oder bisweilen durch das Rollen eines vom Tritt des Wildes sich losbröckelnden und hüpfend der Tiefe zueilenden Steines unterbrochen wird, war der Schrei eines andern, aber ebenfalls drüben stehenden Hirsches und zwar aus den Schlüften unmittelbar an der Geiswand erschollen. Gleich wie ein elektrischer Schlag hatte es da den platzbeherrschenden Hirsch herumgerissen, und mit schnaubender Wuth hatte er dem nahen Nebenbuhler geantwortet. Jetzt war der andere auf freier Stätte erschienen und hatte mit kecker Stirn und Stimme den Gegner abermals gefordert. Wüthend hatte dieser das zackige Geweih zur Erde gesenkt und mit demselben die auf der Erde liegenden, faulenden Stämme zerfetzt, so daß die Stücke in der Luft umherflogen. Dann war er schnaubend und gurgelnd dem Eindringenden entgegengestürzt, der, nicht minder kampfbegierig, wiederum jenem zugestürmt, so daß sie sich etwa in der Mitte des Platzes getroffen hatten. Prasselnd waren sie mit den Geweihen zusammengeflogen, und indem der unberechtigte Buhler dabei auf die Vorderläufte niedergestürzt, wäre er beinahe verloren gewesen. Doch rasch sich aufraffend, war er flüchtig geworden, und zwar nach der offenen Seite hin. Verfolgt, hatte er, jedenfalls um dem gefährlichen Terrain am Abhange auszuweichen, sich wieder gestellt, so daß abermals der Zwölfer mit wüthender Kraft klirrend in die Stangen des andern Hirsches gerannt war, ohne aber diesmal den Widersacher zu stürzen. Dennoch war dieser augenscheinlich schwächer gewesen, denn im Drängen war er rückwärts gewichen, ohne daß beide mit den Köpfen auseinander gekommen. So hatten sie sich Kopf an Kopf gedrängt, und selbst wenn einer oder der andere zu Fall gekommen, waren dennoch die Geweihe, wie mit eisernen Zangen gehalten, aneinander gefesselt geblieben.

Lange hatten sie so mitsammen den Kampfplatz behauptet, obgleich sie immer weiter dem abschüssigen Hange der überragenden Klippe nahe gekommen. Keiner war gewichen, keiner Sieger geblieben. Endlich war der Schwächere gestrauchelt und zum Unterliegen gekommen. Durch die Anstrengung, sich wieder emporzuraffen, und durch den unausgesetzten Druck des nunmehrigen Siegers, der wohl jetzt gern von ihm gelassen hätte, wäre er nicht so fest angeschmiedet gewesen, war der Niedergekämpfte in's Rutschen gekommen, dem sich der Sieger vergeblich entgegenstemmte. Erst langsam, dann schneller, hatten die beiden Hirsche immermehr dem abschüssigen Hange sich genähert, bis der Liegende an einem Latschengebüsche momentan Halt gefunden. Hier hatte er mit seinen letzten Kräften versucht, sich nochmals aufzurichten, war aber dadurch von seinem letzten schwankenden Hort, dem zähen Geäste, losgelassen geworden und beim abermaligen Weitergleiten, das jetzt in erschreckender Geschwindigkeit begonnen, hatte er seinen Ueberwinder mit zu Boden gerissen. Aller Gegenwirkung unfähig, waren nun die beiden mächtigen Thiere in rasender Schnelle der letzten Klippe entgegengerollt. Gleich einer gewaltigen Lawine hatten sie Aeste, Geröll und lose liegende Felsblöcke mit sich fortgerissen, die in weiten Sprüngen polternd und prasselnd in die schon nächtig

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_438.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)