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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

dem Kopfe. „Jetzt kommen Sie eine halbe Stunde mit mir,“ sagte er mit halbgedämpfter Stimme, „und dann wird sich das Uebrige finden.“ Er faßte leicht Reichardt’s Arm und führte ihn nach dem zweiten Zimmer. „Hier will ich Sie gleich dem Mr. Bell, unserm allgeachteten Cassirer vorstellen, unter dessen Leitung Sie wahrscheinlich arbeiten werden,“ fuhr er fort. „Mr. Bell, dies ist Mr. Reichardt, der erste junge Mann, dem der alte Black bei Johnson’s ein rühmliches Zeugniß ausgestellt hat, den er nicht aus seinen Händen lassen will, der sich indessen zu Ihrer Disposition stellen wird.“

Der Angeredete legte langsam und sorgfältig die Feder aus der Hand, hob ein graues, scharfes Auge und ließ einen langen, prüfenden Blick über die ganze Erscheinung des Vorgestellten laufen. Dann erst neigte er grüßend den Kopf. „Soll mich freuen, Sir,“ sagte er, „wenn wir uns recht verstehen lernen!“

„Ich hoffe das, Mr. Bell,“ erwiderte Reichardt, freimüthig seinem Blicke begegnend, „wenigstens soll mein Eifer das Gegentheil nicht verschulden!“ Der Cassirer antwortete nur durch ein neues Kopfneigen und nahm, wie zum Zeichen der Entlassung, seine Feder wieder auf.

„Kommen Sie weiter!“ sagte Reichardt’s Begleiter und schritt diesem voran durch das Vorzimmer nach dem Ausgange. „Jetzt kennen Sie Ihren nächsten Vorgesetzten, wenn ich so sagen darf,“ fuhr er fort, als Beide neben einander die Treppe hinabstiegen, „und ich hoffe, Ihren früheren Worten nach, daß Ihnen die nöthige Grundlage für die vorkommenden Arbeiten nicht fehlen wird. Der Mann hat Eigenthümlichkeiten, die Sie schnell entdecken werden, ist aber noch lange kein Black. Mit dem übrigen Personale mache ich Sie später bekannt, und nun,“ schloß er, den leichten Ton wieder anschlagend, den Reichardt zuerst an ihm kennen gelernt, „lassen Sie uns eine Flasche Wein mit einander trinken und von einigen andern Dingen reden!“ Er nahm einen rascheren Schritt an, und schweigend gingen die beiden jungen Männer neben einander dem Broadway zu.

In Reichardt’s Herzen sang und klang es wie Jubelstimmen, und doch war es ihm, als dürfe er seinem neuen Glücke noch kaum trauen, als müsse Alles zuletzt auf einen Irrthum hinauslaufen. Konnte er sich doch nicht den entferntesten Grund für die Freundlichkeit, welche ihm geworden, denken; denn daß man ihn in Saratoga zum Tanze hatte fiedeln sehen, gab sicher die wenigste Ursache dafür, und die zeitweisen Andeutungen des alten Handelsherrn, welche auf eine nähere Bekanntschaft mit Reichardt’s Thun und Können hinwiesen, machten ihm die ganze Angelegenheit nur noch räthselhafter.

„Kommen Sie hierher!“ rief jetzt der junge Frost, die Stufen zu dem Eingange des „Astorhauses“ hinaufspringend. Er schien hier völlig bekannt zu sein und schritt seinem Begleiter durch eine Reihe von Zimmern voran, bis ihnen ein schwarzer Aufwärter entgegentrat, welcher indessen beim Erkennen des Voranschreitenden eine Seitenthür aufriß. „Eine Flasche Wein und Cigarren, Dick!“ rief der letztere, und kaum hatten sich Beide in dem nur mittelgroßen, mit bequemen Divans, gepolsterten Lehnsesseln und kleinen marmornen Tischen elegant ausgestatteten Raume niedergelassen, als auch schon der Schwarze den Tisch mit zwei Gläsern besetzte, die Champagnerflasche mit einer Schnelle entkorkte, welche seine häufige Uebung verrieth, und eine Spiritusflamme für die Cigarren entzündete. „Der Amerikaner scheint kaum einen anderen Wein zu kennen als Champagner – ich weiß, daß er in Deutschland für den Morgen nicht gebräuchlich ist!“ sagte der junge Frost wie entschuldigend, als er die Gläser füllte, „indessen ist er jedenfalls besser, als der Essig, den man selbst in unsern bessern Hotels noch immer als Rheinwein vorgesetzt erhält, und nun brennen Sie eine Cigarre an, trinken Sie auf eine glücklichere Zukunft, und dann beantworten Sie mir einige Fragen so ausführlich als Sie können. Ich habe genug von Ihnen gehört, um Sie als einen ganz vorzüglichen jungen Mann zu achten, dessen Freundschaft ich mir gern erwerben möchte. Demohngeachtet ist mir Einzelnes in dem Interesse, was mein Vater und speciell meine Schwester an Ihnen nehmen, noch dunkel, und dennoch scheint mir gerade dies mein eigenes Interesse am lebhaftesten zu berühren. Aber trinken Sie!“

Die Gläser klangen zusammen, und schweigend, aber mit sichtlicher Spannung sah dann Reichardt einer weitern Aeußerung seines Gesellschafters entgegen, zu welcher dieser soeben den rechten Anfang zu suchen schien.

„Sie haben, so viel ich weiß, Miß Harriet Burton kennen lernen,“ begann endlich der junge Frost, die Champagner-Perlen in seinem Glase verfolgend und nur dann und wann einen kurzen Blick in Reichardt’s Gesicht werfend, „und um gleich offen Farbe zu zeigen, sage ich Ihnen, daß ich dem Mädchen mehr zugethan bin, als alle den fashionablen Puppen, wie sie hier unsere Gesellschaft bilden. Harriet ist mit meiner Schwester Margaret erzogen worden, und mein Umgang mit jener war ein völlig zwangloser und vertraulicher; aber erst als ich erfuhr, daß sie mit irgend einem mir unbekannten Menschen verheirathet werden solle, wurde ich mir bewußt, wie sehr ich an diesem frischen, kecken Charakter hing, von dem wohl in mir selbst mehr Verwandtes leben mag, als sich für meine Stellung recht eignen will. Indessen ließ sich damals, wo noch nicht einmal eine entfernte Andeutung wärmerer Gefühle meinerseits gefallen war, nichts thun, als mit möglichst bester Miene zu resigniren, und ich hatte mich schon gefaßt gemacht, bei Harriet’s nächstem Wiedererscheinen in unserm Hause den unglücklichen „Beau“ einer Mrs. Soundso vorzustellen, als mir Margaret mittheilt, daß die projectirte Verbindung sich wieder zerschlagen habe, dann von Ihnen und Ihrer Mitwirkung bei dem Bruche, wie von Ihrer gezwungenen Abreise von dort zu reden beginnt, die ganze Angelegenheit aber in einer Weise behandelt, daß ich wohl neue Hoffnungen schöpfen durfte, aber in den verschiedenen Lücken und Unklarheiten auch allerhand Märchengeheimnisse ahnen mußte, in die sich nicht wohl eindringen ließ. Daß Sie nur dabei eine ziemlich interessante Persönlichkeit wurden, ist wohl nur natürlich, und ich gestehe Ihnen eben so offen, daß Ihre Entfernung aus Harriet’s Heimath mich mit einer gewissen Befriedigung erfüllte, da mir Ihre Verhältnisse zu dem Mädchen durchaus unklar geblieben waren. So traf ich Sie mit meiner Schwester zwei Monate später vor Johnson’n Hause, die Straße fegend; Margaret’s Theilnahme, Sie in einer solchen Lage zu sehen, war mir völlig erklärlich, und mein eigenes Interesse trieb mich an, Erkundigungen über Ihre Stellung einzuziehen – befremdend aber war es mir, als ich am nächsten Tage meinen Papa, der sich sonst nicht von schnellen Eindrücken hinreißen läßt, Ihrer erwähnen höre – meine Schwester hatte vorher ein Gespräch von einer vollen Stunde in seinem Cabinet mit ihm gehabt – als ich den Auftrag erhalte, unter der Hand Nachricht über den Grad Ihrer allgemeinen Zuverlässigkeit einzuziehen, und daneben einzelne Worte fallen, die auf eine ganz bestimmte Kenntniß Ihres Wesens und auf die Art hindeuten, wie Sie sich im Süden gestellt oder zu Harriet gestanden haben – was weiß ich? Ich bin kein Mensch, der sich die Kenntniß dessen, was ihm anscheinend vorenthalten werden soll, erzwingen mag. Eins nur wußte ich, daß Ihre ganze Erscheinung und die Weise, in welcher Sie mir begegnet, einen Eindruck auf mich hervorgebracht hatten, der mich ohne Weiteres zu Ihrem Freunde gemacht; und so beschloß ich, das Nöthige in Ihrem Interesse zu thun, in Bezug auf meine eigenen Angelegenheiten aber mich an die directe Quelle, an Sie selbst, zu wenden. – So,“ fuhr er fort, die Gläser neu füllend, „und nun sprechen Sie sich so offen aus, als ich es selbst gethan, kehren Sie sich auch nicht daran, daß mir irgend eine Eröffnung weh thun könnte – ich will nur klar sehen; besonders aber möchte ich wissen, wie weit Ihre eigene Aufrichtigkeit gegen mich geht.“

Reichardt hatte den Blick unverwandt auf dem Gesichte seines Gesellschafters ruhen lassen, und diesen traf beim Aufsehen ein Auge voll so warmer Empfindung, daß er wie unwillkürlich die Hand nach dem jungen Deutschen ausstreckte. „Well, Sir, werden Sie ohne Rücksicht gegen mich reden?“ fragte er.

„Lassen Sie mich Ihnen einfach sagen,“ erwiderte Reichardt, die gebotene Hand fassend, „daß kein Gefühl gegen Miß Burton, das Ihnen nur die leiseste Unruhe machen könnte, in mir lebt oder jemals gelebt hat; daß nur die Sorge für meine Selbsterhaltung und der jungen Lady Musikliebe mich in ihre Nähe brachte, und daß bei allem Uebrigen, was durch mich in Bezug auf ihre Verhältnisse geschah, ich fast nur als ein Werkzeug des Zufalls wirkte. Verlangen Sie die Einzelnheiten, so will ich sie Ihnen geben, so weit meine Kenntniß reicht; zugleich aber nehmen Sie mein Wort als ehrlicher Mann, daß das Räthselhafte, was Ihnen das Interesse von Mr. und Miß Frost für einen unbedeutenden Menschen, wie ich bin, bieten mag, für mich in demselben Maße besteht und daß ich noch bis zu diesem Augenblicke fürchte, meine

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