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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

verabscheuen, aber hier dorrt dieser Sand und dieser magere, grüngelbe Rasenboden ja im zweimeiligen Belagerungskreise der ewigen Stadt.

Wiederum kam mir eine ganze Heerde von Priestern in violettfarbenen Röcken entgegen, da stand ich an der gelben Tiber, vor der Brücke, welche zur Engelsburg führt. Drüben stieg die imposante Masse des Grabmals des Trajan in die Höhe, wie ein ungeheurer Riese, dem der Kopf fehlt, und auf der Mauer saßen französische Soldaten, und die rothen Beine baumelten in der Luft. Da kam ein Wagen über die Brücke gefahren, der Wagen kam vom Vatican; es war eine glänzende, rothe Carosse, über und über vergoldet, mit vier schwarzen Pferden bespannt, welche rothes Zaumzeug hatten. Voran ritten zwei Stallmeister, auch auf schönen, schwarzen Pferden, neben und hinter der vergoldeten Carosse päpstliche Nobelgardisten in ihren glänzenden Uniformen, den blinkenden Helm auf dem Haupte. In dem Wagen saß der Papst, Pio Nono, allein im Fond, ihm gegenüber zwei Priester in violettfarbenen, seidenen Gewändern; der Papst trug ein weißes, goldgesticktes Gewand, auf dem Haupte ein kleines goldgesticktes Käppchen. Der Wagen fuhr ganz nahe an mir vorüber. Pio Nono sah blaß, alt und bekümmert aus. Sein Gesicht erschien dick und aufgedunsen.

Armer, alter Pio Nono! Er dachte wohl an jene Zeit, wo sein Name zum Stigma der italienischen Nationalitäts- und Freiheitsbestrebungen geworden war, wo der Jubel von Tausenden fröhlicher Herzen ihn umbrauste, wenn er ausfuhr, wo „Evviva Pio Nono!“ und „Evviva l’Italia!“ dasselbe war. Und heute? Gleichgültig sahen ihn die Bewohner der Via Fontanella vorüber fahren. Niemand grüßte ihn, kein „Evviva!“ erschallte, nur hie und da kniete ein zerlumpter Bettler auf dem schmalen Trottoir in den Staub.




Ein Deutscher.

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Der alte Kaufmann sah, als verfolge er einen Gedanken, prüfend in das Auge des vor ihm sitzenden Reichardt. „Die kaufmännische Laufbahn ist für einen jungen Menschen ohne Vermögen vielleicht die undankbarste, welche ihm unser Land bietet,“ sagte er nach einer Weile langsam, „und unter Hunderten, die als junge, hoffnungsreiche Clerks begonnen, werden siebenundneunzig alt und grau am Pulte, wenn sie es nicht vorziehen, irgend ein Kleingeschäft auf dem Lande zu beginnen und zu verbauern, während kaum drei durch Glück oder besondere Befähigung sich den Weg in die große Geschäftswelt bahnen. Jeder andere Beruf giebt mehr Aussicht zur Erlangung einer Selbstständigkeit, zur spätern Gründung einer Häuslichkeit als der des unvermögenden Clerks im Bank- oder Großhandelshause. Ihnen aber muß schon der Anfang doppelte Schwierigkeiten bieten – Sie kennen noch nichts von den Eigenthümlichkeiten des amerikanischen Geschäfts, Sie werden, trotz Ihrer guten Hand und Ihres geläufigen Englisch, von denen mir irgendwo eine Probe unter die Augen gekommen, ganz neu zu lernen haben, während eine andere Branche, wie die Musik, Ihnen sogleich Erfolg und bestimmte Aussichten eröffnen würde.“

Reichardt saß einige Secunden wortlos. Der reiche Handelsherr vor ihm, den keine Beziehung an den armen, unbekannten Deutschen knüpfen konnte, hatte schon einmal von Gründen geredet, die ihn wünschen ließen, Reichardt nützlich zu sein. Jetzt wollte er wieder eine schriftliche Probe von dessen Englisch unter den Augen gehabt haben – die Begegnung mit Margaret’s Bruder und dessen eigenthümliche Erkundigungsweise nach seiner Stellung trat daneben vor die Seele des jungen Mannes. Aber nur wie im Fluge berührten die Gedanken sein Gehirn, und kaum wurde er sich der selbstgestellten Frage, was dem Alles zu Grunde liegen könne, bewußt.

„Ich habe mich in den letzten zwei Monaten jeden Abend ernstlich mit der amerikanischen Buchführung und der kaufmännischen Correspondenz beschäftigt,“ erwiderte er jetzt, seine Erregung beherrschend, „und wenn ich auch vielleicht noch nicht im Stande bin, alle Schwierigkeiten, welche sich mir entgegenstellen werden, recht zu würdigen oder meine Zukunft in ihrem wahren Lichte zu erkennen, so weiß ich dennoch, daß Alles, was in mir lebt, auf meine alte Branche hinweist, daß ich die Kraft fühle, mich durch jede Schwierigkeit hindurchzuarbeiten, und daß in dieser Ueberwindung meine einzige, wahrste Befriedigung liegen würde. Ich habe die Musik zur Verschönerung müßiger Stunden geliebt und gepflegt. Seit ich sie aber habe zum Broderwerb in’s Joch spannen müssen, ist es mir völlig klar geworden, daß ich am wenigsten zum wirklichen Musiker geschaffen bin. Kaufmann könnte und würde ich ganz und mit allen meinen Seelenkräften sein – Musiker immer nur wie ein Mensch, der aus seiner Heimath getrieben in einem fremden Lande irrt.“

Frost senkte wie nachdenkend den Kopf. „Well, Sir,“ begann er endlich, „ich habe gesagt, daß ich Ihnen nützlich zu sein wünsche, und ich werde sehen, was sich thun läßt, wenn ich auch auf die Art Ihrer Wünsche nicht ganz vorbereitet war.“

In diesem Augenblicke sprang die Thür auf, und mit raschem, elastischem Schritte trat der junge Frost ein, einen Blick leichter Ueberraschung auf den jungen Deutschen werfend.

„Hier ist Dein Mann, John!“ rief ihm der Alte entgegen, „es ist aber nicht viel mit ihm zu machen, er will als Kaufmann leben und sterben.“

„Vorläufig doch nur leben!“ lachte der Eingetretene, dem sich erhebenden Reichardt die Hand bietend. „Nun?“ wandte er sich dann an seinen Vater. Eine Frage und eine Antwort schien in den Blicken Beider gewechselt zu werden. – Jedenfalls handelt es sich erst um die Zustimmung!“ sagte der Letztere und drehte den Kopf wieder nach dem Deutschen. „Mein Sohn ist der Ansicht, daß wir selbst noch eine Arbeitskraft gebrauchen könnten,“ fuhr er fort. „Ich habe es für meine Pflicht gehalten, Ihnen die volle Wahl in ihren Entschließungen zu lassen, und wünschte, Sie hätten nur mehr Gelegenheit gegeben, etwas für Sie zu thun. Wollen Sie eine Stellung in unserem Geschäfte, die sich eben nur nach Ihren Leistungen richten kann, annehmen, so treten Sie in die Reihe der übrigen Clerks, und Sie haben sich Ihre Zukunft selbst zu schaffen –“

Reichardt that einen Schritt gegen den Sprechenden und faßte im Drange seiner Gefühle dessen Hand, während er den Thränen nicht wehren konnte, die hell in seine Augen traten. „Mr. Frost, Sie machen einen so glücklichen Menschen, wie Sie es vielleicht selbst nicht ahnen,“ sagte er, „ich weiß nicht, wodurch ich mich Ihrer Güte würdig gemacht haben könnte, aber ich weiß, daß ich Ihr Vertrauen rechtfertigen werde –“

All right, Sir! ein einfaches Engagement ist keine so große Sache,“ erwiderte Jener, des jungen Mannes Hand schüttelnd. „Bringen Sie heute Ihre Angelegenheiten in Ordnung und treten Sie morgen ein. Sollten Sie aber etwas Geld brauchen, so sagen Sie es dreist, und es steht Ihnen ein Vorschuß zu Diensten.“

„Ich danke Ihnen für die neue Freundlichkeit, Mr. Frost, aber ich habe nur eine Bitte,“ gab Reichardt zurück. „Ich habe unserm Buchhalter, Mr. Black, eine dreitägige Kündigung zugesagt, und wenn er mich auch jetzt nicht halten könnte, so möchte ich doch den alten Mann für sein Vertrauen nicht zuletzt noch eine Täuschung erleben lassen –“

„Und da wollen Sie noch drei Tage die Straße fegen?“ rief der alte Kaufmann lachend, aber mit großen verwunderten Augen den Deutschen anblickend. „Ich sehe, Sie sind in mehrfacher Beziehung eine Ausnahme von unsern jetzigen jungen Leuten, und ich will Niemand hindern, sein Wort halten –“

„Es handelt sich nur darum, einen ordentlichen Menschen in meinen Platz zu schaffen,“ fiel Reichardt, dem das Blut in die Backen gestiegen war, dem Redenden in’s Wort.

All right, Sir!“ winkte Frost, noch immer lachend, „machen Sie die Angelegenheit mit meinem Sohne ab, der Sie in Ihre neuen Pflichten einführen wird, sobald Sie frei sind!“ Er wandte sich dem Fenster zu, und John, welcher mit sichtlichem Interesse der letzten Verhandlung gefolgt war, winkte dem jungen Manne mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_430.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2022)