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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

und da und dort, noch zwei von die Officiers, allesammt von die Pferd gestürzt und zusammengeritten.“

Die Sache hatte leider ihre volle Begründung. Der Zusammenprall der beiden Regimenter vorhin war zu heftig gewesen, und die vor der Front ihrer Züge und Escadrons befindlichen Officiere des Szekuli’schen Regiments, darunter auch dessen Oberst, waren die nächsten Opfer hiervon geworden. Jetzt, wo das Regiment auf weichem Wiesengrund dahintrabte und der Staub die Aussicht nicht mehr behinderte, konnte man deutlich hinter demselben diese Verletzten, von je zwei oder einem Husaren unterstützt, gewahr werden. Auch erschien in dem nämlichen Augenblicke beinahe noch der Adjutant des Obersten von Szekuli, um dem König Bericht von dem Sturz seines Regimentschefs abzustatten, bei welcher Benachrichtigung übrigens von dem Obersten die Ursache des erlittenen Unfalls, großmüthig genug, einem Fehltritt seines eigenen Pferdes zugeschrieben wurde.

Szekuli, ebenfalls ein nach dem zweiten schlesischen Kriege aus dem österreichischen in den preußischen Dienst übergetretener Ungar, doch von ungleich besserem Schlage als Naditschzander, stand zur Zeit bei Friedrich in nicht geringem Ansehen. Der Zorn des Königs kannte deshalb auch jetzt keine Grenzen mehr, er nahm sich kaum Zeit den Adjutanten zu Ende zu hören, sondern stürmte querfeldein zu dem in der Verfolgung des abziehenden Feindes mittlerweile ziemlich nahe herangekommenen Ziethen’schen Regiment hinüber.

„Herr General-Wachtmeister,“ donnerte er schon auf zwanzig Schritt auf den ihm zum Rapport entgegensprengenden Ziethen ein, „vermag Er seine Leute in der Attaque nicht besser zusammenzuhalten? Das ist ja eine schändliche Negligence und Unordnung, die in seinem Regimente eingerissen. Ist so etwas erhört, nur auf dem Manöverplatz ein ganzes Regiment mit sämmtlichen Officiers über den Haufen zu reiten? – Das Regiment,“ kehrte er sich zu der lautlos haltenden Front der Husaren, „ist das Brod nicht werth! Plumpes, unbearbeitetes Bauernvolk! …“

Weiter gelangte der König in seiner Strafrede nicht. Im heftigsten Affect war Ziethen noch zwei Schritt näher auf ihn zugeritten. Das Antlitz des alten Kriegsmanns glühte, seine Augen schienen Blitze zu sprühen, sein ganzer Körper bebte. Voll Wuth stieß er seinen Säbel in die Scheide. „Wenn wir denn jetzt nichts mehr taugen,“ rief er dem starr vor Staunen auf ihn blickenden Monarchen zu, „so haben wir doch vormals unsere Schuldigkeit gethan, und als man uns brauchte, waren wir gut genug!“

Eine Minute und darüber hielten sich der König und sein General so gegenüber. In athemloser Spannung harrten die Theilnehmer dieser Scene des Ausgangs derselben, von Moment zu Moment erwartete jeder den Verhaftsbefehl aus Friedrichs Munde zu vernehmen. Ganz im Gegentheil sänftigte sich jedoch die erste zornige Aufwallung in des Monarchen Zügen fast ebenso schnell, als sie über dieselbe aufgestiegen war. Sein Pferd herumwerfend, entgegnete er in weit gemäßigterem Tone als vorhin auf diese ihm trotzig gebotene Herausforderung nur: „Ja, damals wart Ihr gut, aber durch Eure Vernachlässigung taugt Ihr jetzt durchaus zu Nichts!“

Damit kehrte der König dem General den Rücken und ritt langsam die Front des Regiments hinunter. Er schien es nicht zu bemerken, daß Ziethen, nach Uebergabe des Befehls an seinen Oberstlieutenant von Zedmar, sich seiner Suite angeschlossen hatte. Im Begriff, zu dem vorigen Standort zurückzureiten, wandte er sich jedoch im Sattel und winkte den Naditschzander zu sich. „Höre Er,“ redete er denselben an, „ich habe Ihm heute früh die Gelegenheit sich zu zeigen, versprochen und ich will Ihm Wort halten. Er soll an des gestürzten Obersten von Szekuli Stelle für heute dessen Regiment commandiren. Die Disposition zu dem statthabenden Manöver kennt Er, besondere Instructions habe ich dem nicht hinzuzufügen. Er braucht nur die Ideen, und Intentionen über die Verwendung der Husaren auszuführen, die Er neulich vor mir und dem General von Winterfeld explicirt hat. Um Ihm für einen gelegentlichen coup de main freie Hand zu lassen, soll Er übrigens nur im mittelbaren Anschluß an das Winterfeld’sche Corps, in dem Verhältniß als Partisan und Parteigänger operiren.“

Der neue Befehlshaber glaubte dem Könige durch die nachträgliche Ausführung der vorhin gegen das Ziethen’sche Regiment gescheiterten Absicht einen besonderen Beweis seiner Geschicklichkeit liefern zu können; allein das Prinz Heinrich’sche Corps war nach der disponirten Zeitbestimmung mittlerweile bereits auf dem Manöverfelde angelangt, und die Lage der Dinge hatte sich dadurch natürlich sehr geändert. Auch verlor Naditschzander, um ja vor jedem Fehlschlag gesichert zu sein, mit den Vorbereitungen zu der beabsichtigen Attaque so viel Zeit und zersplitterte seine Kräfte so sehr, daß darüber das Ziethen’sche Regiment nicht nur Gelegenheit erhielt, sich aus dem Defilé heraus und an seine Infanterie heranzuziehen, sondern, der Unterstützung jetzt gewiß, auch sicher sein konnte, überallhin mit Ueberlegenheit auf den Feind zu treffen. Umgekehrt befand sich die Abtheilung Naditschzander’s durch das von demselben angeordnete erneute Vorgehen bei 4000 Schritt von ihrem Hauptcorps getrennt, mit der natürlichen Rückzugslinie auf die Havel. Die wiederholten Befehle endlich, welche Winterfeld an seinen bisherigen Protégé gesendet hatte, sich unverzüglich wieder mit ihm in Verbindung zu setzen, waren von diesem im Hinweis auf die ihm überwiesene selbstständige Stellung abgelehnt und unberücksichtigt gelassen worden. Erwähnt muß übrigens noch werden, daß der Oberstlieutenant von Zedmar allgemein und mit Recht als Ziethen’s bester Schüler betrachtet wurde, und daß die so sehr gereizte Stimmung im Ziethen’schen Regiment wohl voraussetzen ließ, wie sehr die Officiere und Mannschaften desselben heute Alles aufbieten würden, sich wenn möglich selbst zu übertreffen.

Der König hatte wiederholt bei den Anstalten Naditschzander’s den Kopf geschüttelt, das Glas kam kaum von seinen Augen. „Ist denn der Kerl toll geworden?“ hörte man ihn zwischen den Zähnen murmeln.

Was vorauszusehen war, geschah. Lange bevor Naditschzander mit seinen Vorbereitungen zu Ende gekommen, warfen sich die Ziethen’schen Husaren auf seine Abtheilung. Der Angriff zeigte sich dabei so wohl berechnet, daß die aus dem zweiten Treffen herbeistürmenden Dragoner von Meinecke sich gleich von vorn herein von den Husaren von Szekuli getrennt befanden. Winterfeld besaß bei seinem Corps an Cavallerie noch die zwei Cürassier-Regimenter „Leibcürassiere“ und „Prinz von Preußen“, er schickte beide vor, um jenen zur Aufnahme zu dienen. Indeß bereits hatte auch die gesammte noch übrige Cavallerie des Prinzen Heinrich, zusammen 16 Schwadronen, mit in die Action eingegriffen. Attaque folgte nun auf Attaque. Auch die beiderseitige Infanterie war darüber auf einander getroffen, Staub und Pulverdampf machten jedes Erkennen der ferneren Vorgänge unmöglich. Endlich mit dem Seitens des General Winterfeld in der Richtung auf Seeburg angetretenen Rückzüge ließ sich die Lage der Dinge wieder ungefähr beurtheilen.

Der größte Theil der Cavallerie des Letzteren war von seinem Corps abgeschnitten und gegen Spandow zurückgeworfen, ein Theil des Ziethen’schen Husaren-Regiments nebst noch einem Dragoner-Regiment des Prinz Heinrich’schen Corps verfolgten dieselbe. Das Gros der Cavallerie dieses letzten Corps befand sich dagegen in der linken Flanke der Infanterie von Winterfeld, welche überdies in der Front von dem gesammten Fußvolk des Gegners, nach dem französischen Ausdruck, mit dem Bajonnet in der Rippe, gedrängt wurde. Von dem Szekuli’schen Regiment endlich entdeckte man einige Escadrons über das Defilé von Glatow hinaus, auf der Potsdam-Spandower Landstraße; weitere drei Escadrons desselben befanden sich hart unter dem Standort des Königs, an die Havel gedrängt, und weitab in der Richtung von Pichelsdorf schien nach dem lustigen Getümmel, das dort sichtbar wurde, der andere Theil des Ziethen’schen Regiments den Rest der Husaren von Szekuli in die dort gelegenen Sümpfe und Lehmgruben getrieben zu haben. Eben in diesem Moment löste sich aus dem bunt durcheinander treibenden Gewühl daselbst eine rasch querfeldein zurücksprengende kleine Abtheilung von vielleicht dreißig bis vierzig Reitern los; ein nicht enden wollendes Jubelgeschrei, untermischt mit den verschiedenartigsten Reitersignalen, tönte von dorther bis zu dem König herüber.

Die Situation konnte keinem Zweifel unterliegen. Den siegenden Feind in der Front und in der Flanke hätte Winterfeld auf der beinahe völlig ebenen Plaine bis Seeburg seinen Rückzug nimmermehr bis zu diesem noch eine gute Viertelmeile entfernten Dorfe fortsetzen können, ohne zuvor gesprengt und so gut wie aufgerieben zu werden. Auf dem Manöverfelde war dies ein unglücklicker strategischer Zug, auf dem Schlachtfelde wäre es eine totale Niederlage gewesen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_391.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)