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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

auf. „Wenn der vorüber läuft, thun’s die andern auch,“ dachte ich. Indessen ich täuschte mich sehr. Zwei andere passirten gleich nach jenem unter mir weg – jetzt kam der Vierte. Mit schwerfälligem Trabe näherte sich der Koloß meinem Baume, blieb bei demselben stehen, stieß ein lautes, fast triumphartig klingendes Geschrei aus und hob dann seinen Rüffel drohend nach mir empor. „Aha,“ dachte ich, „alter Kerl, beinahe hättest Du mich, allein die Natur ist Dir doch ein Bischen zu kurz gewachsen, obgleich Du ein recht ungeschlachtes Vieh bist.“

Das Unthier schien meine Gedanken zu errathen, denn kaum hatte ich sie gedacht, als es seinen furchtbaren Rüssel um den Stamm des Baumes schlang und denselben bedächtig schüttelte. Es war der größte Elephant der ganzen Heerde, selbst größer und mächtiger als der vorderste, von dem Pfeile getroffene, in Wahrheit ein wandelnder Berg. Er ließ mich auch gar nicht lange auf eine Probe seiner riesenhaften Stärke warten. Schon der erste Zug, den er an dem Baum that, versetzte diesen in eine sehr schwankende Bewegung; allein das war noch gar nichts im Vergleich zu dem, was folgte. Er schien nur erst probiren zu wollen, inwieweit der Stamm des Baumes ihm Widerstand zu leisten vermöge. Im nächsten Augenblicke schlang er seinen Rüssel abermals um den Stamm, etwa 12 Fuß hoch über der Erde, und entwickelte nun seine ganze gigantische Stärke. Der Baum zitterte und bog sich wie ein schwaches Rohr. Bei der vierten oder fünften Schwingung ließ ich meinen Rifle fallen, denn ich fühlte bald genug, daß ich entweder diesen, meinen treuen Gefährten, oder mich selber fallen lassen müßte, da ich nur durch möglichst festes Anpacken der Baumzweige mich noch halten konnte. Bis dahin hatte ich gehofft, dem Ungethüm eine Kugel durch’s Auge jagen zu können, aber die Bestie vereitelte mir durch ihr unmanierliches Gebahren diese Hoffnung gänzlich. Es wurde mir klar, daß ich in weniger als einer halben Minute von meinem luftigen Sitze herabgeschüttelt sein würde – etwa wie ein reifer Aepfel oder ein Maikäfer durch einen lüsternen Knaben von einem jungen Bäumchen abgeschüttelt wird – denn das wüthende Thier rüttelte und schüttelte jetzt die Eiche, als ob ein Orkan sie aus dem Boden reißen wolle. Meine Arme und Hände wurden starr und matt, mein ganzer Körper schmerzte, Schwindel erfaßte meinen Kopf, und der Athem fing an mir auszugehen.

In diesem verzweifelten Augenblicke, wo ich wußte, daß ich fallen mußte, kam mir einer jener glücklichen Gedanken zu Hülfe, die öfters die finstere Nacht der Seele eines in der äußersten Todesgefahr schwebenden Menschen wie Blitze erleuchten.

Fiel ich nämlich, so mußte ich unfehlbar, da ich die Richtung meines Sturzes dann nicht in der Gewalt hatte, zu Boden stürzen und würde ohne Gnade und Barmherzigkeit von dem wüthenden Elephanten zu Brei zerstampft worden sein; sprang ich aber herab, so war es möglich, den Rücken des Thieres zu erreichen und mich dort vielleicht festzuhalten. Freilich eine sehr unsichere Aussicht auf Rettung, aber es greift ja der Ertrinkende nach dem Strohhalm. Ich benutzte einen verhältnißmäßig ruhigen Augenblick, empfahl meine Seele dem Himmel und sprang in Gottes Namen von dem Baume herunter.

Der Sprung brachte mich glücklich auf den Hals des Elephanten, gerade zwischen Schultern und Kopf, wo ich mich mit der Kraft der Verzweiflung anklammerte.

Als die wilde Bestie den salto mortale begriff und meine schwache Last auf ihrem Körper fühlte, wickelte sie ihren Rüssel von dem Baume los und schlug damit nach mir, – jedoch ohne Erfolg; ich befand mich außer dem Bereiche des gefährlichen Werkzeugs. Der Elephant wiederholte dies Manöver fünf- oder sechsmal, konnte aber seine freundliche Absicht nicht in Ausführung bringen. Zwei- oder dreimal schlug er von der Seite nach mir, so daß die Schläge dicht hinter mir aufklatschten, und zweimal versuchte er es, mich von oben herab zu treffen, indem er den Rüssel senkrecht in die Höhe reckte und dann damit nach hinten schlug; aber auch diese Versuche gelangen nicht, der Rüssel war eben zu kurz, als daß er mich damit hätte erreichen können.

Ich hatte durch einen glücklichen Zufall gerade die Stelle des Rückens oder Halses eingenommen, welche das Thier mit dem Rüssel nur sehr schwer oder gar nicht zu erreichen vermag, und hütete mich wohl, diese Festung freiwillig zu verlassen. Uebrigens mochte die blinde Wuth, in der sich mein Gegner befand, ihm in diesem Momente nicht gestatten, weitere Versuche dieser Art anzustellen, indem es ihm sonst und im ruhigen Zustande wohl noch gelungen sein würde, meiner mit dem Rüssel habhaft zu werden. Kurz – sobald das Thier merkte, daß seine Rüsselschläge ohne den gewünschten Erfolg blieben, stieß es einen entsetzlichen Schrei aus und stürzte in wildem Laufe davon.

Die übrigen Elephanten waren aus dem Gesichtskreise verschwunden, wohin? das wußte ich nicht; sie waren nirgends zu sehen oder zu hören. – Mein riesiges Roß lenkte in einen offenen Weg ein, eine Art sandiger Straße, die durch den Wald führte und das ausgetrocknete Bett eines ehemaligen Flusses zu sein schien. Mit unglaublicher Schnelligkeit raste das Thier vorwärts, schnaubend und brüllend und hin und wieder den Kopf zornig aufwerfend. Ein paar Augenblicke später schimmerte das Wasser eines quer über unsern Weg fließenden Stromes im Abglanz der untergehenden Sonne. Das Ungethüm stürzte unaufhaltsam darauf zu und hinein, so daß das hoch aufspritzende Wasser mich vollständig durchnäßte.

Der Strom war nicht breit, und ein paar Secunden genügten meinem Reitpferde, ihn zu durchschwimmen. Das jenseitige Ufer war niedrig und sandig. Kaum eine Viertelmeile davon begann wieder dichter Waldwuchs, der nur durch eine Fläche sandigen Bodens von dem Flusse geschieden war. Der Elephant sprang mit Leichtigkeit die niedrige Uferbank hinauf, und galoppirte dann ohne Rast gerade auf den Wald los.

Jetzt bemerkte ich auch die Fährten seiner vorausgeeilten Begleiter, welche dieselben deutlich genug in dem weichen Sande hinterlassen hatten. Bei diesem Anblicke entschwand mir der Muth. Wenn der Elephant den Wald mit mir erreichte, war ich ohne Rettung verloren. Die Bäume standen so dicht, daß ich sofort durch deren Zweige von dem Rücken des Thierewürde abgestreift worden sein, und dann war ich hülflos der Wuth desselben preisgegeben. Ich verfolgte mit Anstrengung meiner ganzen Sehkraft die Fußspuren der voran-gelaufenen Elephanten, konnte indessen keine Oeffnung in dem Saume des Waldes entdecken, durch welche dieselben hätten eingedrungen sein können. Mein Riesengaul konnte sich wohl mit seinem kolossalen Cadaver leicht eine Bahn in den Wald brechen, da die Bäume verhältnißmäßig nur schwach waren und der Elephant sie mit Leichtigkeit wie Strohhalme geknickt und zur Seite gebogen haben würde; – aber ich? jedenfalls würde mich der erste beste Ast, wie die Sehne den Pfeil, von meinem Sitze geschnellt haben.

Aber es war keine Zeit da zu langem Ueberlegen und Nachsinnen über die Mittel zur Abwendung der drohenden Gefahr, denn mit reißender Schnelligkeit näherten wir uns den verhängnißvollen Bäumen. Noch ein paar Minuten, und ich hatte den Wald erreicht, damit zugleich aber auch das Ende des Daseins, so nicht ein Wunder mich errettete aus der Gewalt des grimmigen Feindes. Da durchzuckte mich der Gedanke, ob es nicht wohl gethan sein möchte, wenn ich mich von dem Elephanten langsam herabließe? Vielleicht würde er das Verschwinden meiner verhältnißmäßig geringen Last gar nicht gewahr, und renne auch ohne seinen Reiter in seinem tollen Eifer vorwärts. Die Furcht aber, daß er meinen Fluchtversuch dennoch entdecken und mir in diesem Falle sofort den Garaus machen werde, hielt mich von der Ausführung dieser Idee zurück.

Die Art und Weise übrigens, wie das Ungethüm nach dem Gehölze zusteuerte, sein kurzes, wüthenden Schnauben, ließen mich sicher genug darauf schließen, daß mein Elephant nur nach Rache dürste und noch etwas ganz Anderen beabsichtige, als sich nur seines Reiters durch das Eindringen in die verschlungenen Baumäste zu entledigen. Was ihm andere Jäger vielleicht Uebles zugefügt, dafür wollte er sich an mir Unschuldigem blutig revanchiren, denn ich war ja auch ein Mensch, und folglich – sein Feind.

Indessen war es höchste Zeit, daß etwas geschehen mußte, wenn ich mich nicht widerstandslos opfern lassen wollte. – In einigen Minuten längstens war der Wald erreicht und ich unrettbar verloren. Mit der größten Anstrengung, mit der Kraft der Verzweiflung, wie sie nur die Todesangst dem Menschen verleiht, hatte ich bis dahin meinen Sitz zu behaupten gewußt. Plötzlich belebte sich meine Seele mit neuer Hoffnung. Ich erinnerte mich nämlich, gelesen zu haben, daß die Elephantenführer in Indien ihre Thiere tödten, wenn dieselben plötzlich rasend werden und auf keine andere Weise zu bändigen und unschädlich zu machen sind.

Konnte ich nicht das auch thun? Versucht wenigstens mußte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_364.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)