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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

klappte und gleich darauf eine Schwarze seinen Arm berührend an ihm vorüberstrich. „Kommen Sie, Sir!“ sagte sie halblaut, ihm die Treppe hinab vorangehend. Der Deutsche folgte, und nach kurzem Gange durch die Gartenanlagen war ein von Schlinggewächsen überwucherter Pavillon erreicht. „Ich werde Sie führen,“ zischelte die Negerin, die Thür öffnend und seinen Arm fassend, „ich habe kein Licht mitnehmen dürfen!“ Sorgsam leitete sie ihn vorwärts und legte endlich seine Hand auf ein weiches Polster.

„Hier können Sie ruhig schlafen!“ schloß sie und war im nächsten Augenblick schon von seiner Seite verschwunden. Reichardt hörte nur noch, wie sich der Schlüssel im Schlosse drehte, und fand sich dann in einer Stille, welcher nur die totale Dunkelheit in dem Raume gleichkam. Prüfend ließ er seine Hand über das als Lager bezeichnete Polster gleiten – es schien ein breiter „Lounge“ zu sein, und ohne weiteres Bedenken nahm er darauf Platz. Seine Gedanken eilten nach der eben durchlebten Scene zurück, bald aber wurden sie durchkreuzt von der Erinnerung an den vorhergegangenen Schrecken, wirre Bilder von seiner nächsten Zukunft tauchten dazwischen in ihm auf; bald aber schmolzen die einzelnen Vorstellungen in einander und der tiefe Schlaf der Uebermüdung senkte sich über den Daliegenden.


Reichardt hätte wohl, von den geschlossenen Fensterladen getäuscht, bis weit in den nächsten Tag hineingeschlafen, wenn ihn nicht ein geräuschvolles Oeffnen der Tür geweckt hätte. Er fuhr rasch von seinem Lager auf, als er das einströmende Sonnenlicht gewahrte und in dem Oeffnenden den alten Mr. Burton erkannte.

„Haben Sie geschlafen bis jetzt?“ rief dieser. „Desto bester, so haben Sie das Frühstück nicht vermißt und können’s jetzt in Ruhe nehmen. Das war ja eine Teufelsgeschichte, Sir, wie ich höre. – Hier ist Ihr Hut, den ich an der Umzäunung aufgehoben habe; wünsche nur, daß Sie eben so gut als er aus der Affaire gelangt sind. Können sich übrigens beruhigen, der Nigger ist wieder da und war nur wegen irgend einer Geschichte seinem Herrn aus dem Wege gegangen – Sie thun aber dennoch wohl am besten, mit der nächsten Stage sich den Leuten hier aus den Augen zu machen – es giebt zu Viele darunter, die selbst Ihre unschuldig gemeinten Worte Ihnen zum Verbrechen anrechnen.

Wenn ich noch irgend etwas für Sie thun kann, so sagen Sie es gerade heraus, es wird mir eine Freude machen, Sir, da wir Sie doch einmal nicht hier behalten können. Ich werde Sie nach dem Hotel bringen, woher ich soeben komme, und in einer Stunde sollen Sie heil und ohne jede Beleidigung die Stadt im Rücken haben.“

Der Mann hatte die Worte in so eigenthümlich rascher Weise gesprochen, als habe er gewünscht ihrer so geschwind als möglich los zu werden. Reichardt neigte nur mit einem: „Very well, Sir“, ich habe nichts Anderes als meine Entfernung erwartet!“ den Kopf, brachte dann seinen Anzug in die nöthigste Ordnung, nahm seinen Hut und sagte: „Ich bin bereit, Sir!“

„Thut mir verdammt leid, Sir, kann’s Ihnen sagen,“ begann Burton, als Beide in die Straße getreten waren, „hätte Ihnen gern Harriet’s Wort gehalten, und dem Mädchen scheint der gestrige Spectakel noch mehr in die Nerven gefahren zu sein als Ihnen selbst – sieht heute Morgen aus, daß ich mich um sie geängstigt hätte, wenn ich ihre Natur nicht kennte. Ist zu lange im Osten gewesen und kann sich noch nicht recht in unser hiesiges Leben finden.“

Reichardt schritt, wortlos in’s Weite blickend, neben dem Amerikaner her, ohne den Begegnenden, die ihnen theils aus dem Wege zu gehen schienen, theils den Deutschen mit neugierigen Blicken musterten, Beachtung zu schenken, und sprang endlich mit einem Gefühle der Erleichterung die Stufen nach dem Hotel hinauf, wo der Wirth auf sie zutrat. Reichardt streckte ihm die Hand entgegen. „Ich habe Ihnen noch nicht für Ihre gestrige Hülfe danken können, und muß wohl auch für immer Ihr Schuldner bleiben,“ sagte er; „jetzt als letzten Liebesdienst schaffen Sie mir etwas zu essen, denn ich bin seit gestern Mittag noch ohne einen Bissen, und ziehen mir dann meine Rechnung aus!“

„Ist schon abgemacht mit der Rechnung!“ fiel Morton ein, „es versteht sich, daß Sie für diese kurze Zeit unser Gast hier waren!“

Fast hätte der Deutsche eine bittere Bemerkung über die ihm gewordene Gastfreundschaft gemacht; noch zeitig genug aber fiel ihm ein, daß er nicht in der Lage war, eine gut gemeinte Freundlichkeit zurückstoßen zu dürfen, daß jeder ersparte Dollar bei seinen geringen Mitteln von Wichtigkeit war, und so stammelte er etwas von Güte und Dank, drückte seinem Begleiter die Hand und ließ sich dann von dem Wirthe hinwegführen.

Eine Stunde später bestieg Reichardt die angelangte Postkutsche. Burton hatte, als Jener beim Frühstück war, sich jedem weitern Abschiede entzogen, und so war es nur der Händedruck des Hotelbesitzers, welcher den Deutschen nach dem Wagen geleitete.

„Halten Sie sich in Nashville nur so lange als durchaus nothwendig auf,“ flüsterte ihm Jener noch beim Einsteigen in’s Ohr, „jedenfalls wird die Nachricht von dem Geschehenen sammt Ihrem Signalement zugleich mit Ihnen dort ankommen!“ Reichardt nickte nur mit einem dankenden Blick und drückte sich in eine unbesetzte Ecke; er war nicht bange, sich zum zweiten Male durch sein Vertrauen auf die freien Institutionen des Landes in Gefahr zu bringen; aber ein Ekel vor den Zuständen dieses gepriesenen Südens überkam ihn, welcher sich als kräftiger Bundesgenosse dem erhaltenen Rathe beigesellte.

Es war bereits Nacht, als der junge Mann mit schwerem Herzen die Lichter von Nashville vor sich auftauchen sah. Er hatte einen Ueberschlag seines Geldes gemacht, aber trotz aller Pläne, mit welchen er seinen Geist abgequält, wollten seine Mittel nach keiner Seite hin ausreichen, und selbst wenn er sich seiner Habseligkeiten bis aus das Nöthigste hätte entäußern wollen, hätte er unter den obwaltenden Verhältnissen nicht einmal Zeit oder Gelegenheit dafür finden können.

Der Postwagen hielt endlich vor dem „City-Hotel“, Reichardt’s Gepäck ward abgeladen, und sein bisheriger Gefährte auf dem Verdeck führte ihn in das allgemeine Versammlungszimmer, wo er ein paar Worte mit dem Buchhalter sprach und dann den jungen Mann als „bestens empfohlen“ allein ließ. Als Reichardt sich in dem weiten, nur matt erleuchteten Zimmer allein sah, überkam ihm ein Gefühl des Alleinstehens, wie er es in diesem Maße selbst auf amerikanischem Boden noch nicht gekannt. Mit Macht suchte er aber die entmuthigende Empfindung zu unterdrücken und machte sich, um die Zeit bis zu dem versprochenen Abendbrode zu verbringen, an das Studium der Dampfboot-Anzeigen, welche in mächtigen Zetteln an den Wänden des Zimmers aufgehangen waren. Noch wußte er nicht wohin, und seine Aufmerksamkeit richtete sich auch weniger auf den Bestimmungsort der Boote als auf den Preis der Beförderung – mehr als für Zwischendeck konnte er nirgends bezahlen, trotz der heißen Dampfkessel und der unsaubern Gesellschaft, welche er dort zu erwarten hatte, und so wollte er eben über sein nächstes Ziel mit sich zu Rathe gehen, als sein Auge auf einen kleinern, bis jetzt übersehenen Zettel fiel und dort wie gebannt haften blieb. „Parlour-Opera! Third and last Night. Scenes from all the great Italian Operas in the most splendid costumes,“ bildete die ersten hervorstechenden Zeilen; das war es aber nicht, was seinen Blick gefesselt – gleich darunter präsentirte sich:„Matilda Heyer, the great Prima-Donna“, an der Spitze der übrigen Künstlernamen. Konnte es denn wohl zwei Mathilden Heyer geben? Wenn Reichardt sich das verunglückte Concert in New-York, nach welchem das Mädchen verschwunden war, vergegenwärtigte; wenn er daran dachte, daß sie damals noch von einem andern Anerbieten gesprochen, das sie nur ausgeschlagen, weil es Reichardt’s Mitwirken nicht erlaubte, so zweifelte er keinen Augenblick, daß er hier auf eine Spur der verlorenen „Schwester“ getroffen. Sein Auge suchte hastig das Datum der angekündigten letzten Vorstellung – es war bereits fünf Tage alt, und das Gefühl freudiger Ueberraschung, an welches sich unwillkürlich die unbestimmte Hoffnung auf einen augenblicklichen Halt geknüpft, machte einer unangenehmen Täuschung Platz. Noch starrte er auf den Zettel, als der Buchhalter eintrat, um ihn zu dem schnell bereiteten Abendbrod zu rufen.

„Wissen Sie wohl, wo die Truppe hier logirt hat?“ fragte der Deutsche, auf das Programm deutend.

„Sie wohnten hier im Hause, Sir!“

Reichardt’s Gesicht begann sich wieder zu beleben. „Und Sie wissen auch vielleicht, wohin sich die Gesellschaft von hier gewandt hat?“

„Sie wollten ursprünglich nach Memphis und New-Orleans.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_322.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)