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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ein Deutscher

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

„Nicht wahr, sie sind über Dich gekommen, wie das Rudel Wölfe über den Hirsch?“ begann Harriet, indem sie Reichardt’s Hände kräftig umschloß, während ihr Ton vor der innern Erregung bebte. „Ich ahnte es bei den ersten Worten, die mir in die Ohren fielen, als ich unser Haus betrat, und ich durfte doch nicht an Deiner Seite stehen. Ich konnte nicht schlafen, und als der Kies an die Scheiben rasselte, als ich die fliehenden Tritte auf der Treppe hörte, da wußte ich, daß es retten galt. Aber laß es nur,“ fuhr sie rascher fort, mit aufleuchtenden Augen den Kopf emporschnellend, „das ganze Gethier ist Deiner nicht werth, und Niemand soll Dich haben als Harriet, die Dich mit ihren Armen aufgefangen. Ich bin ja selbständig, ich kann verfügen über mich und was mein ist, und morgen will Harriet Dich ihren Mann nennen, will mit Dir alle die Niggers, Schlangen und Eidechsen hinter sich lassen – !“

„Harriet!“ rief Reichardt in fast erschrockenem Tone, aus seiner liegenden Stellung aufschnellend.

„Nun, und was ist es denn?“ erwiderte sie mit glücklichem Lächeln seine beiden Hände in den ihren vereinend.

„Harriet,“ erwiderte er, während sich ein Kampf der verschiedensten Gefühle auf seinem Gesichte abzuzeichnen begann, „das – das – geht nicht!“

„Geht nicht?“ erwiderte sie noch immer lächelnd; plötzlich aber schien ein fremder Gedanke in ihr aufzusteigen, etwas Ungeahntes, Schreckliches mit sich führend; ihr Gesicht begann einen Ausdruck von Angst anzunehmen, ihr Auge ward größer und sonderbar starr, ihre Hände lösten sich von den seinen. „Geht nicht?“ wiederholte sie, „und warum nicht?“

„Harriet!“ sagte Reichardt in bittendem Tone, sich langsam aufrichtend.

Eine Secunde lang schien ihr Blick bis auf den Grund seiner Seele dringen zu wollen. „Mein Gott,“ rief sie, während es in ihren Zügen wie Entsetzen zitterte, „mein Gott, er liebt mich nicht!“ und wie überwältigt von der hereinbrechenden Erkenntniß schlug sie die Hände gegen das Gesicht und fiel in sich selbst zusammen.

„Um Gotteswillen, Harriet!“ wollte Reichardt, von den peinlichsten Gefühlen bestürmt, wieder beginnen, während er eine Bewegung machte, ihre Hand zu ergreifen; sie aber schnellte in die Höhe. „Bleib’! rühr mich nicht an!“ rief sie den Arm abwehrend gegen ihn ausstreckend – „mein Gott, er liebt mich nicht!“ fuhr sie, klagend wie in bitterster Verzweiflung, fort, und jetzt erst schien plötzlich das Bewußtsein ihres äußern Zustandes über sie zu kommen. Wie in sich selbst zurückziehend deckte sie mit beiden Armen ihre Brust und warf einen hastig suchenden Blick um sich – von einem nahen Lehnstuhl riß sie einen weiten Shawl, der sie im nächsten Augenblicke schon vom Halse bis zu den Füßen dicht verhüllte – dann aber fiel sie mit einem leise jammernden „mein Gott, mein Gott!“ in die Polster des Stuhls.

Reichardt fühlte in diesem Augenblick, als habe er nur unter dem Einflusse des kältesten, undankbarsten Egoismus gehandelt, als habe er mit der warmen Hingebung des Mädchens nur für seine Zwecke gespielt; er hatte sich ihr zu Füßen stürzen, hätte wieder gut machen mögen, was seine Kälte gesündigt, und doch war es ihm zugleich, als würde er damit nur einen Betrug an ihr und an sich selbst begehen, als habe er doch kaum anders handeln können, als er gethan. Aber so wie jetzt konnten sie sich nicht einander gegenüber bleiben, ein Verständniß mußte angebahnt werden, um die eigenthümliche Lage, in welche sie Beide gerathen waren, zu beseitigen.

„Harriet, Sie haben mir noch nicht ein Wort erlaubt!“ begann er; sie hatte das Kinn auf die Brust gesenkt und schien ihn kaum zu hören. „Harriet, soll ich nicht reden?“ fuhr er fort.

Da hob sie langsam den Kopf. „Gehen Sie, Sir!“ sagte sie in einem Tone, der nichts mehr von dem Metallklang ihrer frühern Stimme verrieth, „zeigen Sie mir wenigstens so viel Achtung, daß Sie mich jetzt verlassen!“

Der Deutsche erhob sich traurig, er fühlte, daß er nichts mehr zu sagen habe; langsam, mit geneigtem Kopfe ging er nach der Thür; als er aber das Schloß in die Hand nahm, schien es wie ein Schauer über das Mädchen zu kommen. „Warten Sie an der Balkonthür,“ sprach sie mit hörbarer Anstrengung, „ich werde Jemand senden, der Sie sicher unterbringt!“

Eine Minute später stand Reichardt an der angegebenen Stelle – hinter sich ein verschmähtes, nun verschlossenes Paradies; vor sich eine Zukunft so dunkel, wie die Nacht um ihn. Er hätte sich am liebsten sofort losgerissen und den neuen Abschnitt seines Lebens, wie er sich ihm bot, begonnen, wenn er nur die geringste Nachricht über den Stand der Dinge in der Stadt gehabt hätte. Das Hotel war sicherlich bewacht, um ihn noch abzufangen, wenn er spät in der Nacht heimzukehren versuchte, und ohne sich muthwillig in Gefahr zu begeben, durfte er es nicht wagen, seinen augenblicklichen Zufluchtsort zu verlassen. Er hatte noch kaum lange seine unfreundlichen Gedanken verfolgt, als hinter ihm in dem Corridor, an dessen Ausgang er stand, eine Thür

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_321.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)