Seite:Die Gartenlaube (1861) 291.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

sich mit Young zu verständigen – jetzt ließ sich das thun, wenn auch dem „Molche“ dabei der Hals zugeschnürt wurde, daß er wohl gern für alle Zeiten sich von Reichardt’s Wege fern hielt. Reichardt blieb stehen, blickte wie scharf überlegend eine Weile vor sich hin, griff dann, wie noch immer mit seinen Gedanken beschäftigt, nach seinem Hute und verließ langsam das Zimmer. In der „Office“ des Hotels erkundigte er sich nach der Lage von Young’s Geschäftslocal, brannte sich eine Cigarre an und verfolgte dann den ihm angedeuteten Weg.

Der ganzen Erscheinung nach war es eine Art Commissions- und Speditions-Geschäft, wie es deren im Inlande zur Vermittelung des Weitertransports der Plantagen-Erzeugnisse und derartigen Geschäften überall giebt, welches Young betrieb. Reichardt trat in einen langen, theilweise mit Ballen und Fässern besetzten Raum, und wurde von einem hier beschäftigten jungen Manne nach einem durch rohe Breter abgetrennten Stübchen im Hintergrunde gewiesen. Young saß, als Reichardt die Thür öffnete, an einem hohen Schreibpulte, in die Durchsicht verschiedener Papiere vertieft und hob erst den Kopf, als er von dem Eingetretenen seinen Namen nennen hörte. Einen Augenblick schien er beim Anblicke des Deutschen überrascht; dann aber verzog sich sein Gesicht zu einem Lächeln, in welchem sich eine unverhehlte Befriedigung mit einem halbunterdrückten Hohne mischte. „Ah, Mr. Reichardt!“ sagte er, sich langsam auf seinem Schemel herumwendend, „nehmen Sie Platz, Sir!“

„Ich komme, Mr. Young,“ begann der Deutsche, sich auf dem nächsten Stuhle niederlassend, „um ein Verständniß zwischen uns zu versuchen, das für uns Beide nothwendig sein dürfte.“

„Ah, für uns Beide!“ versetzte mit affectirter Verwunderung der Amerikaner, während der Hohn um seinen Mund stärker hervortrat.

„Jawohl, für uns Beide, Sir!“ erwiderte Reichardt, langsam seine Cigarre zum Munde führend und eine leichte Wolke von sich blasend. „Sie hegen Wünsche in Bezug auf Miß Harriet Burton, Sir,“ fuhr er ruhig fort, „und halten mich für einen Stein in Ihrem Wege, den Sie in irgend einer Weise beseitigen müssen –“

„Nicht daß ich wüßte, Sir, oder mir auch nur vorstellen könnte, wie Sie sich in meinen Weg stellen könnten!“ unterbrach ihn Young, die Lippen geringschätzig kräuselnd.

„Wird Ihnen vielleicht klar werden, wenn Sie mich nur, wie es zwischen Gentlemen üblich ist, ausreden lassen wollen!“ entgegnete Reichardt, von Neuem seine Cigarre hebend. In Young’s Gesicht stieg eine leichte Röthe; der Erstere aber fuhr ruhig fort: „Ich möchte Ihnen nun zweierlei sagen, Sir. Miß Burton’s Verhältniß zu mir hat, wie es sich schon von selbst versteht, nichts als ihre Liebe für gute Musik zum Grunde und kann auch in der entferntesten Weise nicht andern Beziehungen im Wege stehen; demohngeachtet sind Ihre Bewerbungen um Miß Burton aus ganz bestimmten Gründen so vollkommen vergebliche, Sir, daß Sie durch Anfeindung eines armen Menschen, wie ich es bin, nicht allein auf einer ganz falschen Fährte laufen, sondern auch die größte Ungerechtigkeit begehen.“

Ein leichter Spott spielte jetzt um Reichardt’s Lippen; Young’s Gesicht hatte sich höher gefärbt, und nur mit Mühe schien er an sich zu halten. „Ich werde schnell zu Ende sein, Sir,“ fuhr der Erstere, zwei neue Wölkchen aus seinem Munde blasend, fort. „Die bestimmten Gründe nun, von denen ich sprach, liegen darin, daß Miß Burton genau von dem Verhältniß, welches Sie und Mr. Curry vereinigt, unterrichtet ist, daß sich die Lady nicht zum Preis für die Verschweigung einer Angelegenheit, die nur zwischen Ihnen und dem Prediger liegt, machen lassen will und daß sie jetzt nur abwartet, wie weit der Druck, welcher durch Curry’s Einfluß auf sie ausgeübt wird, gehen soll. Miß Burton empfindet es zugleich auf die unangenehmste Weise, daß das Wort, welches sie mir für meine Anstellung als Organist verpfändet, durch eine Opposition, deren Hauptleiter sie in Ihnen erblickt, zu nichte gemacht werden soll, und so dürften Sie mich vielleicht jetzt verstehen, wenn ich eine Verständigung um unser Beider willen für gut halte.“

Aus Young’s Gesicht war mehr und mehr alles Blut gewichen, seine Augen blickten starr auf den Sprecher, und seine Hände hatten sich wie unwillkürlich geballt. Eine Pause erfolgte, nachdem Reichardt geschlossen, und erst nach einer Weile schien dem Amerikaner ein bestimmter Gedanke zu kommen. Er stieg von seinem Schemel, ging nach der Thür und sah hinaus – der Deutsche hatte sich vorsichtig gerade aufgesetzt und beobachtete scharf jede seiner Bewegungen; Young aber nahm langsam seinen frühern Platz wieder ein, sah finster vor sich nieder und sagte: „Hat Ihnen Miß Burton den Auftrag gegeben, mir diese Eröffnungen zu machen?“

„Nicht im Entferntesten, Sir, und ich glaube auch nichts dem Aehnliches gesagt zu haben,“ erwiderte Reichardt, die Asche von seiner Cigarre schnellend. „Daß ich hierher kam, geschah aus keinem anderen Grunde, als Sie aus einem Irrthume zu reißen, unter welchem Sie augenscheinlich handelten, und so uns in das rechte Verhältniß gegenseitig zu setzen. Sie mögen zugleich versichert sein, daß es jetzt einzig in Ihrer Hand liegt, einen Eclat zu vermeiden – Miß Burton wünscht diesen gewiß eben so wenig als ich selbst. Der alte Mr. Burton wird morgen bei Ihnen sein, um Sie wegen der Organistenstelle zu meinen Gunsten zu stimmen; thun Sie dann, was Ihnen recht scheint; glauben Sie indessen, Sir, daß meine Stellung Ihnen gegenüber immer genau dieselbe sein wird, die Sie gegen mich einnehmen.“ Er warf einen Blick auf Young, der wort- und regungslos vor sich niederstarrte, erhob sich dann und verließ mit einem „Good evening, Sir!“ den Raum. Er fühlte sich frei und leicht, als er die Straße erreicht; er hatte in der ruhigsten Weise seine Absicht ausgeführt und wohl dadurch zumeist die rechte Wirkung erzielt. Jetzt hätte er am liebsten zu Harriet eilen mögen, um ihr die Botschaft zu bringen, auf welche sie sicher am wenigsten vorbereitet war; aber die Sonne war eben erst im Untergehen begriffen, und so nahm er, während die eben durchlebte Scene nochmals Wort für Wort an seiner Seele vorüberzog, seinen Weg wieder nach dem Hotel.

„Ein feiner Abend, Sir!“ empfing ihn der Wirth, welcher von der Veranda aus den prächtig gefärbten Himmel beobachtete, „werden morgen splendides Wetter haben. – Fiel mir eben ein,“ fuhr er fort, als Reichardt neben ihn trat, „ob Sie nicht gern einmal einen Ausflug machten. Ich denke morgen früh nach meiner Farm zu fahren; sie liegt ganz wunderhübsch dort hinaus zwischen den Bergen, und Alles zusammen ist es nur eine Spazierfahrt von zwei Stunden. Sie sind willkommen, wenn Sie mich begleiten wollen, Sir!“

Das Anerbieten kam dem jungen Manne ganz gelegen, er hätte sonst kaum gewußt wie die Zeit hinzubringen, die ihn von seinem morgenden Besuche bei Burton und der letzten Entscheidung über sein augenblickliches Schicksal trennte. Er sagte dankend zu, und der Hotelbesitzer, der sich für seinen jungen Gast zu interessiren schien, zog zwei Stühle herbei, ein Gespräch über Reichardt’s Heimath und die allgemeinen deutschen Verhältnisse einleitend. Reichardt’s Gedanken aber waren mehr bei dem, was sich aus seiner Zusammenkunft mit Young entwickeln konnte, als bei den neugierigen Fragen seines Wirths, und er war froh, daß schon nach Kurzem die Speiseglocke dem Gespräche ein Ende setzte. –

Es war zehn Uhr vorüber, als Reichardt das Hotel wieder verließ. Er nahm den nächsten Weg aus der Stadt, um auch gegen zufällige Begegnungen das Ziel seines Ganges zu verdecken. Eine laue, würzige Nacht lag über der Gegend, eine Nacht voller Sterne, wie sie der Deutsche in dieser Klarheit und funkelnden Pracht noch nie gesehen zu haben meinte. Von den fernen Akazien klang das eigenthümliche Geschrei der Locusts herüber, untermischt mit einzelnen Rufen der Ochsenfrösche. Um den Wandernden her lebte und raschelte es in Gras und Laub, summte es in der Luft, und je weiter Reichardt ging, je mehr fühlte er sich von dieser berauschenden Luft, von diesem eigenthümlichen Nachtleben erregt. Er hatte einen weiten Bogen zu machen, um nach Burton’s Haus zu gelangen, und als er endlich nach länger als einer Stunde seines langsamen Spazierganges die Hinterthür der Umzäunung erreichte, mußte er erst eine Weile stille stehen, um das Herzklopfen, das ihn plötzlich überkommen, zu beruhigen. Behutsam öffnete er endlich die Thür und wandte sich nach dem Laubgang, durch welchen ihn am Abend vorher Harriet geführt. Dunkel und still lag bald das Haus vor ihm, und nur in den beiden bezeichneten Fenstern machte sich ein schwacher Lichtschein bemerkbar. Eben als er sich nach dem Boden bog, um nach einigen Steinchen zu suchen, kam ihm der Gedanke, welchen Grund seiner Anwesenheit er wohl angeben könne, falls er durch irgend einen Zufall entdeckt werde. Heimliche Wege lagen so ganz außer seiner Denk- und Handlungsweise, daß er sich bei dem ersten Unternehmen dieser Art, das nicht einmal durch einen eigenen, innern Drang hervorgerufen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_291.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)