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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

in der rechten Hand eine Cigarre, in der linken ein Glas Bier, und unterm Kaiserstuhl steht ein Bierfaß.

Es that mir leid und es that später auch Rietschel leid, daß er diesen herben Scherz gebildet. Der Scherz und die Satire stehen innerlich schon im Widerspruch mit dem Ewigdauernden der plastischen Kunst, wie schon äußerlich ein im Bilde festgehaltenes Lächeln und Scherzen leicht zur Fratze wird. Und doch konnten wir uns nicht dazu entschließen, das einmal Gemachte wieder zu zerstören.

Ich hatte bei Eröffnung des Leipziger Museums einem dortigen Freunde vorgeschlagen, daß Leipzig ein Rietschel-Museum gründe und dadurch einen besonderen Besitz von Plastik gewänne, zumal Rietschel keinen Platz hatte, um seine Modelle aufzubewahren. Ich sprach auch mit Rietschel selbst davon, und es wäre ihm zu seinen Lebzeiten noch ein Erträgniß dadurch geworden. Freilich fand Rietschel die Gründung eines Rietschel-Museums zu stolz, und die Sache wurde überhaupt nicht weiter betrieben. Jetzt wird in Dresden ein Rietschel-Museum gegründet.

Wenn ich nun das genannte Relief dem Rietschel-Museum überliefere, so möchte ich, daß jedem Beschauer durch irgend ein Zeichen kundgegeben werde, wie dies nur ein momentaner Stimmungsausdruck Rietschel’s war, daß er vielmehr für die Einheit, Freiheit und Größe Deutschlands warm erglühte, aber eine zu stille, schreckhafte Natur war, um von den Unzuträglichkeiten, die jede große Umwälzung mit sich führen muß, nicht allzuhart, ja bis zur Ungerechtigkeit hart, berührt zu werden.

Jeder Panegyrismus, jedes Ausdeuten eines wirklichen Menschen zu einem allgemeinen und absoluten Ideal ist falsch und führt zur Lüge vor sich und vor Anderen. Ritschel hatte, offen gestanden, auch seine Fehler, und er war doch bei alledem ein ganzer, vortrefflicher, im vollsten Sinne des Wortes guter Mensch.

Als Rietschel des vielen Rauches wegen unsere Montagsgesellschaft nicht mehr besuchen konnte, kamen wir doch noch bei einem freundschaftlichen Mahle oder im engern Familienkreise des Abends zusammen. Die Welt betrachtet es noch als eine Huldigung, wenn sie vom Künstler verlangt, daß er sich auch der Gesellschaft widme und da allezeit wach erscheine und sein Inneres auslege. Die Welt vergißt, daß der Künstler ja der Welt genug bietet, indem er ihr seine Einsamkeit widmet, in der er erglüht beim Ausgestalten seiner innern Anschauungen.

Rietschel war es nie recht wohl in großer Gesellschaft; er hielt sich auch da am liebsten zu einem Einzelnen, mit dem er sich traulich besprach. In seiner ganzen Redeweise war nie etwas von einer herkömmlichen Phrase, er sprach immer sich selbst aus und zwar sich selbst in der ganzen Fülle momentaner Erregung. Solchen Naturen wird das Gesellschaftsleben zu einer neuen Anstrengung. Er opferte sich oft den herkömmlichen Anmuthungen, wo er viel lieber einsam daheim oder mit einem Freund geblieben wäre. Wer es wahrhaft gut mit ihm meinte, zog ihn nicht in große Gesellschaft, und erst später gewann er die Kraft, sich ohne Rücksicht und Nachgiebigkeit davon zurückzuziehen.

Rietschel durfte doch noch ein Glas Wein trinken. Wir saßen einmal neben einander bei einem Gastfreunde. In grünen Römergläsern wurde Markobrunner 46er aufgetischt, ein Wein voll mächtigen Feuers und Duftes. Rietschel trank davon, dann setzte er ab und rief laut: „Du, trink einmal. Dunnerwetter! Was ist das für ein Wein!“ – Von jenem Tage an hieß der Markobrunner 46er „Dunnerwetter“, und so oft wir bei dem Freunde aßen, mußte auch eine Flasche „Dunnerwetter“ aufgesetzt werden. Rietschel erging sich dabei manchmal in begeisterter Rede, wie herrlich es sei, daß so etwas auf der Welt wachse, und wie glücklich die Menschen seien, die das so mir nichts dir nichts ihren Freunden auftischen können. Herrliche Stunden waren es dann, wenn wir Beide oft, nachdem wir ein paar Glas „Dunnerwetter“ getrunken, stundenlang mit einander auf dem Wege nach Strehlen und durch dem Großen Garten spazieren gingen.

Im Winter 1850–51 war Rietschel, der nun in der Struvestraße Nr. 8 wohnte, krank. Ich besuchte ihn oft. Er saß in dem Zimmer, das nachmals mein Arbeitszimmer wurde, und las und zeichnete mancherlei. Schon damals mußte er im Sprechen sich mäßigen und jede heftig erregende Gemüthsbewegung fern halten. Ich mußte jetzt, wie später noch oft, an Spinoza denken, der von Jugend an durch wachsame, haushälterische Eintheilung seiner Lebenskraft sich sein Leben erhielt. Dem Philosophen mag das eher gelingen, als dem Künstler, dessen Lebenselement die heiße Empfindung ist. Die Freunde und vor Allem die Gattin dürfen sich sagen, daß sie ihn mit jener Friedensstille umgaben, in der er frei und wohlig athmete. – Auch an Widersachern fehlte es Rietschel nicht, und wenn er davon sprach, waren seine Mienen stets voll tiefen Schmerzensausdrucks. Es war sein tiefstes Wehe, nicht mit der Welt in vollem Frieden stehen zu können; er war der Herbheit gegenüber wie ein Waffenloser zu dem, der keine Waffe verschmäht, und eine geflissentliche Grußlosigkeit von dem Begegnenden konnte ihn tagelang betrüben.

Eines Abends, da ich bei ihm war, sprach er von den noch fehlenden Reliefs an dem Lessingdenkmale und zeigte uns Entwürfe dazu. Robert Reinick war mit dabei. Es war viel davon die Rede, ob es möglich sei, eine plastische Gestalt für den Begriff der Humanität unmittelbar kenntlich zu geben; es muß sich noch eine Zeichnung vorfinden, wo die Kraft einen Genius im Arm hält, der die plastische Erscheinung der Humanität sein sollte. Mit dem Lessingdenkmale, für das wir damals Vorlesungen und eine Theatervorstellung veranstalteten, wozu ich einen Epilog zu „Emilia Galotti“ geschrieben habe, hat Rietschel zum ersten Male die ganze Größe und Eigenthümlichkeit seiner Kraft dargestellt. Es wird die Aufgabe des Dr. Schiller in Braunschweig sein – mit dem Rietschel nahe befreundet war – die Geschichte des Lessingdenkmals zu schreiben, die leider keine Ehre für die deutsche Nation sein wird. – Der äußere Ertrag war für den Künstler unsäglich gering, und die braunschweig’sche Regierung hat noch ihre Größe darin gezeigt, daß sie am Tage der Enthüllung das Militär ausrücken ließ und dem Comité keine Militärmusik zur Feier gab.

Mit der Lessingstatue, das ist nunmehr geschichtlich festgestellt, hat Rietschel der plastischen Kunst eine neue Wendung gegeben. Die Kunstgeschichte wird auszuführen haben, wie der Uebergang aus der Rococo-Zeit und dem manierirten Idealismus zu Schadow und von da zu Rauch bis zu Rietschel’s Lessing sich herausstellt. Der ganze theoretische Streit von der Vereinbarung des Stylvollen und des Wirklichen ist hier thatsächlich erledigt; das Schöne ist kein Jenseits mehr, es bedarf nicht mehr des Alles bedeckenden antiken Mantels, um die Wirklichkeit zu verhüllen. Hier ist die volle historische Naturwahrheit, die feste Individualität der persönlichen und zeitlichen Erscheinung durchdrungen und eins geworden mit der ewigen Erscheinung schönheitsgemäßer Stylisirung. Ist es nicht wie ein wunderbarer Zusammenklang geschichtlicher Thatsachen, daß gerade Lessing’s Standbild dazu berufen war, die volle Einheit des Stylvollen und Naturwahren zuerst vor uns erscheinen zu lassen, Lessing’s, der gerade selbst als der Erste und Mächtigste an der Durchdringung dieser beiden Elemente kämpfend und schaffend arbeitete? – Von allen Werken, die Rietschel geschaffen, blieb das große Lessing-Modell immer in seinem Atelier. Lessing sah dem Bildner stets zu, wie er die mit ihm gesetzte Epoche immer weiter und weiter führte.

Am 22. Januar 1729 wurde Lessing zu Kamenz als Pfarrerssohn geboren, fünfundsiebenzig Jahre später, am 15. December 1804, wurde Rietschel als Sohn des Täschners und Kirchners in dem benachbarten Pulsnitz geboren. Beider Gedenken ist nun in eins verschmolzen. Der Knabe, der am Pfingstmorgen so ahnungsvoll nach Dresden ausschaute, sollte hier das Bild seines Landsmanns schaffen und mit ihm eine neue Epoche der Kunst abmarken.

Es ist ein wunderbarer Gegensatz zwischen dem Dichter und dem bildenden Künstler. Dem Maler, dem Bildhauer werden meist, dem Baukünstler immer Aufgaben gestellt. Es giebt aber kein dichterisches Werk von Bedeutung, das aus einem fremden Auftrag hervorgegangen wäre. Der Dichter, der seine Subjektivität einsetzt, kann die Aufgabe nur aus sich selbst empfangen und glücklich der, der mit Gestaltung aus der Subjectivität heraus etwas giebt, was in der allgemeinen Anschauung ruhte oder nun zu derselben wird. Das Material des Dichters ist das Wort, und das Wort ist ursprünglich eins mit dem Athem, der zugleich das eigene Leben ist. Der bildende Künstler dagegen hat Farbe, Thon, Erz und Stein zu seinem Material. Er macht das äußerlich Gegebene zum Ausdruck seines inneren Seins und Schauens. Die größten Erzeugnisse der bildenden Kunst sind aus Aufträgen entstanden, sei nun der Auftraggeber eine machtvolle, einsichtige Persönlichkeit oder eine ganze Nation. Die bildende Kunst hat weit mehr Themas, zu denen eine Nöthigung des allgemeinen Bewußtseins

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