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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

das in Nebel und Kohlenrauch gehüllt war, und da sagte er: Das ist Dresden! Mir war das damals etwas auf der Welt, was gar nicht zu erreichen ist. Wer auch dort sein könnte! Das muß eine ganz andere Welt sein! Es war eine wunderbare Ahnung in mir, was ich dort Alles erleben sollte, und da brachen wir Maiblumen, die da standen, und brachten sie heim. Mein Vater roch besonders gern daran, und so oft ich sie rieche, steigt die Erinnerung an jenen Pfingstmorgen wieder in mir auf.“ – Ich habe später, während Rietschel viele Wochen das Zimmer hüten mußte, ihn veranlaßt, nicht nur ein genaues Verzeichniß aller seiner Arbeiten zu machen, sondern auch seine Jugenderinnerungen aufzuzeichnen. Vielleicht findet sich Dieses und Anderes darin, wornach es sich wird berichtigen und ergänzen lassen.

Nur eine Erinnerung aus jener Zeit muß ich hier doch noch einschalten. Ich las, um mich dem großen Freundeskreise in etwas dankbar zu erweisen, im Hause unseres Freundes Ferdinand Hiller die eben vollendete und noch nicht im Druck erschienene Erzählung „die Frau Professorin“ vor. Ich hatte auf zwölf Uhr Mittags eingeladen und glaubte in höchstens zwei Stunden fertig zu sein, aber ich hatte mich arg verrechnet; es dauerte bis nach vier und ich war noch nicht fertig, und als ich Rietschel hinausbegleitete und mir die alte Frankfurter Köchin im Hause zurief: „Die Kreuzdonnerwetter, die heut’ von allen Köchinnen auf Ihren Kopf heruntergewunschen worden sind, die möcht’ ich nicht haben,“ da lachte Rietschel ganz unbändig und neckte mich noch oft damit.

Ich verließ im Herbst 1846 Dresden, machte eine Fußreise durch die Lausitz und ging nach Breslau. Von dort aus, schrieb ich an Rietschel alsbald nach meiner Verlobung, und er schickte mir das Relief, das er von mir gemacht hatte. Ich sah ihn erst Mitte Juni 1847 wieder. Ich traf ihn in seinem Atelier sehr traurig. Seine Frau war krank, er hatte den Auftrag, für einen Polen, der seinen einzigen Sohn verloren hatte, die Pieta für die Familiengruft zu machen. Durch die 1846 in Polen ausgebrochene Revolution und durch die mitten im Frieden erfolgte Einverleibung Krakau’s in Oestreich ward die Bestellung zu nichte, aber Rietschel arbeitete dennoch zu seinem eigenen Genügen, wenn auch doppelt bekümmerten Herzens, an seinem Werke weiter. – Rietschel erlebte mehrmals die ganze Schwere des Daseins, die dem bildenden Künstler und vor Allem dem Plastiker auferlegt ist, wenn er sich ohne eigentlichen Auftrag sieht. Er arbeitete unverdrossen weiter, und hier liegt die andere Seite, auf der sich die Bevorzugung des bildenden Künstlers vor dem im Worte wieder ausgleicht.

Ich darf es gleich hier einfügen, Rietschel hatte Vertrauen zu meinem unbefangenen Blick. Ich bin noch heute weit davon entfernt, mir eine Kunstkennerschaft zuzutrauen, und eben das, daß ich rein nach persönlichem Eindrucke ein Kunstwerk aufnahm und ohne Scheu denselben kundgab, das nahm Rietschel als ein „Stück gebildetes Publicum“, wie er mich scherzweise oft nannte. Er hatte mehrere Modelle zu dieser Pieta gemacht; ich war beim ersten Blick entschieden, daß nicht Maria mit ausgebreiteten, schmerzlich erhobenen Händen zu wählen sei, sondern die, da sie die Hände still faltet. Der Schmerz als Schrei ist vorüber, es ist eine gewisse stille, beruhigte Ergebung eingetreten, eine Sättigung in Thränen, die nicht mehr fließen. – Es that Rietschel wohl, von einem Unbefangenen so ganz ohne Zweifel und ohne alles Bedenken seine Wahl bestätigt zu sehen, denn auch dem größten Künstler ist es eine Beruhigung und ein Genügen, wenn ein freier fremder Blick seine Intentionen bestätigt. Es tritt inmitten der Arbeit eine Eingenommenheit ein, die den ersten, von keinem Eindruck erfüllten Anblick schwer vermissen läßt.

Ich verließ Rietschel damals mit doppelt schwerem Herzen, da ich mich selbst so hoch beglückt fühlte. Ich hörte dann in der Ferne von dem Tode seiner Frau und sah ihn erst wieder im Jahre 1849, nachdem ich auch durch den tiefsten Schmerz des Daseins geschritten und wieder ein neues Leben begonnen hatte.

Von nun an lebte ich volle zehn Jahre in ungestörtem, innigem Zusammenhang mit ihm, und wenn es einen Trost giebt für einen so unersetzlichen Verlust, so wird man es mir nicht verargen, wenn ich ihn in dem Bewußtsein finde, nach bester Kraft dem Freunde das Beste dessen gewesen zu sein, was man sein kann. Rietschel hatte jene heilige, beseligende Kraft, daß man in seiner Nähe, in seinem Verkehr das Beste, was im Innern lebt, angeregt und zur Entfaltung herausgetrieben fühlte. Er hatte ein getreues Zuhören, ein Hören mit dem Gesicht, ein Ablesen von den Mienen, und dabei eine begütigende Milde, daß man sich im Innersten wohl und glücklich fühlte, auch da, wo man stritt und scharf discutirte; denn Rietschel war bei aller Milde eine strenge und unbeugsame Natur, er hatte in politischen und kirchlichen Dingen ganz bestimmte Sympathieen und Antipathieen und ließ sich seinen Maßstab nie entwenden. Er bedauerte und betrauerte bisweilen, daß dem Freunde der Friede mit den Positivitäten der Welt nicht so gegeben war wie ihm, und er fühlte vollkommen das Schmerzliche, zu lebenslänglicher Opposition verdammt zu sein. Aber er hatte nie eine Spur jenes Hochmuthes, der von dem Standpunkt aus spricht: ich allein habe eigentlich die Wahrheit, und du wirst schon noch, wenn du älter wirst, auch auf meinen Standpunkt kommen. Rietschel war ein strenger, entschiedener Christ und zwar protestantischer Christ; er verhehlte es nie, wie leid ihm das Unvereinbare thue, und wie er glaube, daß nur ein kleiner Schritt dazu gehöre, daß ich dogmatisch oder positiv mit ihm zusammenstimmen müßte; wenn er aber sah, daß dies doch unmöglich, beschied er sich dessen und hielt Freundschaft und Liebe über Alles hoch.

Rietschel war eine friedfertige, in kirchlichen und politischen Dingen conservative Natur. Der Meister, der auf dem Gebiete der Kunst die That setzte, daß das wirkliche Leben auch der Idee, hier also der Idee der Schönheit, entsprechen müsse, hielt die Consequenz auf andern Gebieten nicht so ausführbar; er, der im Gebiete der Kunst ein Neues setzte und hier umbildend sich bethätigte, wollte das Andere in seinem Bestehen walten lassen. Es mag sein, daß es nöthig ist, um nach der einen Seite hin reformatorisch vorzudringen, die anderen an sich bestehen zu lassen. Der bildende Künstler bedarf im weitesten Sinne jenes festen, unbeugsamen, eisernen Stabes, um den er den weichen, jedem Drucke nachgebenden Thon zu fügen hat. Die Kunst schafft nicht das unmittelbare Staats- und Gesellschaftsleben neu, sie nimmt das Gewordene, aus Kampf und Widerstreit Erfochtene auf und erhebt es zur Schönheit.

Anfangs der fünfziger Jahre lebte Rietschel noch oft im geselligen Kreise auch außerhalb des Hauses und besuchte oftmals unsere Montagsgesellschaft, in der sich ein Kreis von Künstlern und Gelehrten zwanglos versammelte. Wir führten damals ein Festspiel auf, das einige von uns als besonderes Comité gemeinsam ausarbeiteten. Es hieß „die Monuments-Concurrenz“ und stellte dar, wie Verschiedene sich bewerben, um den Auftrag zur Ausführung eines Monuments zu erhalten. Zuerst traten die Künstler, Jeder einzeln, auf, und Jeder rühmte seine Arbeit und beanspruchte den Auftrag; bis endlich die Frage aufgeworfen wurde, wem denn eigentlich das Denkmal gesetzt werden solle. Nun traten die Schriftsteller auf, von denen ein Jeder in seiner Weise verlangte, daß man ihm das Denkmal setze. Zuletzt wurde beschlossen, daß ein Denkmal errichtet werde, und es wurde ein solches aufgestellt, aber vor der Hand ohne Kopf. Derjenige, der es verdienen werde, dessen Kopf solle hier in künftigen Zeiten aufgesetzt werden.

Zu diesem Puppenspiel, das die machtgebietende Stimme unsers Obern ausführte, hatten Pecht und Ramberg die sämmtliche Gesellschaft in maliciös gelungenen Caricaturen gemalt. Rietschel war etwas ärgerlich, daß er gar so weichselig und erbarmungswürdig aussah. Aber er verstand Spaß und war dann heiter und guter Dinge. – Auch bei einer Weihnachtsbescheerung, die wir uns gegenseitig machten und wobei die einzelnen Gaben verloost wurden, betheiligte sich Rietschel mit vieler Lust, und seltsamer Weise gewann ich seine Gabe, die noch ganz naß war, da sie eben erst vom Former kam. Er neckte mich noch oft damit, daß gerade ich diesen harten Scherz, von dem weiter kein Abguß vorhanden ist, haben mußte.

Rietschel war nach seiner ganzen Art, nach seiner friedfertigen und jedem heftigen Kampf abholden Natur, ein, man kann sagen persönlicher Gegner der heftigen Bewegungen aus dem Jahre 1848. Wenn er auch oft bekundete, daß er den Jammer mit empfinde, der Jeden in jedes Gebiet hinein verfolgt, den Jammer um eine feste nationale Einheit und einen nothwendigen starken Mittelpunkt – so war er doch nach seiner ganzen Gemüthsanlage allen heftigen Staatserschütterungen abhold. Aus dieser Stimmung heraus hatte er nun eine achtundvierziger Germania modellirt; sie sitzt quer auf dem Kaiserstuhl, hat keck die Beine übereinander geschlagen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_282.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)