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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

über die Saiten laufen, als gälte es, ein Bravourstück zu spielen; neben ihm stand der alte Musiker und rief die Touren aus, unten rauschten die Paare durcheinander – der Anfang, den er fast gefürchtet, war überwunden, und nun fühlte sich Reichardt leichter. Mochten ihn jetzt die Menschen für einen gewöhnlichen Fiedler nehmen, er konnte es nicht ändern, er verdiente sein Brod damit, und eine andere Zeit für ihn mußte auch einmal kommen. Trotzdem aber hätte er jetzt das Auge nicht über die Tanzenden werfen mögen; immer war es ihm, als müsse er demselben halb zornigen, halb spöttischen Blicke, mit welchem Harriet am Nachmittage von ihm gegangen war, oder dem mitleidigen Auge Margarets begegnen, und er konnte jetzt Beides nicht brauchen. Als die Quadrille zu Ende war, blieb er, in den Noten blätternd, hinter seinem Pulte, und erst als die neue Aufstellung erfolgte, sandte er einen raschen Blick über die antretenden Paare. Von den beiden Mädchen aber war hier nichts zu entdecken, und auch die übrige Gesellschaft zeigte keine Spur von ihnen – im Nu würde er schon ihre Kleider erkannt haben. Die zweite Quadrille ging zu Ende, auch die dritte, und eine allgemeine Pause trat ein, ohne daß die Vermißten sich gezeigt hätten, und fast wußte Reichardt nicht, thue ihm ihr Verschwinden leid, oder solle er sich darüber freuen.

Die Musiker verließen für die Dauer der Pause das Orchester, und Reichardt schlug den Weg nach der Piazza ein. Kaum ließen sich hier in der matten Beleuchtung die einzelnen Gruppen von Gästen, wie sie zerstreut zwischen den üppigen Schlingpflanzen saßen, genau erkennen; der junge Mann warf sich auf einen einsamen Stuhl und gab seinen Kopf der heißen Nachtluft Preis. Er dachte an sein Solo, mit welchem er den Abend eingeleitet, an den Beifall, welcher ihm geworden, und wie sich nachher dennoch Niemand auch nur mit einem Blicke um ihn gekümmert. So bitter ihn auch anfänglich Harriet’s Zettel berührt, so hatte doch nur herbe Wahrheit darin gelegen. Zu einem Herzen hatte er wohl angeklungen – Margaret’s selbstvergessener Blick beim Schlusse seines Spiels stand vor ihm, und er hätte sich immer und immer diese Augen vor die Seele rufen mögen.

Da fühlte er plötzlich einen leichten Druck auf seiner Schulter. „Geben Sie mir für einen Augenblick Ihren Arm, Mr. Unaussprechlich!“ klang es halblaut in seine Ohren, und aufspringend sah er in Harriet’s mattbeleuchtetes Gesicht. „Ohne Aufsehen – kommen Sie!“ fuhr sie fort, „ich möchte noch zwei Worte mit Ihnen reden!“ Sie schlug die Richtung nach dem Ende der Piazza ein, das von Besuchern völlig leer war, und blieb dort hinter einer der üppig umlaubten Säulen stehen.

„Wollen Sie mir wohl sagen, Sir, wie Ihnen Ihr Geschäft jetzt behagt?“ begann sie, und Reichardt wußte nicht, war es Spott oder Laune, was ihm aus ihrem Tone entgegenklang.

„Warum fragen Sie mich das, Miß?“ erwiderte er; „glauben Sie, eine mit Selbstüberwindung übernommene Beschäftigung wird leichter unter solchen Bemerkungen?“

„O – und Sie meinen, ich habe Sie nur ausgesucht, um solche Bemerkungen zu machen? stelle mich mit Ihnen im Dunkeln hierher, nur um meiner Laune willen?“

„Ich habe keine Ahnung, Miß Harriet,“ sagte er, eigenthümlich von ihrem Tone berührt; „was verlangen Sie von mir? Sie haben heute Abend nicht einen einzigen Blick und nur einen bittern Stachel für mich gehabt –“

„Und würde nichts anderes haben können, Sir, sollte ich mich auch in’s eigene Fleisch treffen, so lange Sie nicht als Gentleman vor mir stehen!“ rief sie mit unterdrückter Stimme. „Ich habe eine andere Aussicht für Sie – aber setzen Sie keinen Fuß wieder dahin, wo zum Tanz gespielt wird, ich habe nicht im Saale bleiben mögen, so lange ich Sie dort oben sah – versprechen Sie mir wegzubleiben und Gentleman zu sein!“

Sie war ihm wie unbewußt näher getreten, er fühlte seinen Finger leicht von ihrer Hand gefaßt und führte diese in rascher Aufwallung an seine Lippen. „Wäre ich denn nicht selbst zu glücklich, Ihnen folgen zu dürfen, Miß Harriet?“ sagte er, die Hand festhaltend, die einen leichten Versuch sich zu befreien machte, „kann ich Ihnen denn aber von den Verhältnissen sprechen, welchen der Neuling hier im Lande unterliegt, so daß er zu dem Nächsten, Besten greifen muß, weil ihm jeder andere Weg zu einer Existenz verschlossen ist –?

„Sie sollen Ihre volle Existenz haben, vertrauen Sie mir!“ unterbrach sie ihn eifrig. „Sie gehen mit uns nach Tennessee – aber ich kann nichts thun, wenn Sie noch einen Strich zum Tanz spielen. Sind Sie nun muthig genug, einen Entschluß zu fassen, selbst wenn er gewagt wäre?“

Er fühlte einen Druck ihrer Hand, er sah ihre leuchtenden Augen gespannt auf sich ruhen, und eine eigenthümliche Erregung begann sich seiner zu bemächtigen. „Ich wage es, ich werde gehorchen,“ sagte er, „und sollte sich auch selbst Ihr guter Wille getäuscht haben –“

„So ist es recht, und jetzt kommen Sie!“ erwiderte sie mit hell auflebendem Gesichte; „tragen Sie Ihren Namen in’s Fremdenbuch ein, trennen Sie sich von den Menschen, mit denen Sie kamen, und merken Sie: Alles, was Sie bis jetzt gethan, war nur eine tolle Laune!“ Sie that einen Schritt vorwärts, strauchelte aber über eins der Schlinggewächse und ward von Reichardt’s Arme aufgefangen. Sie wollte sich rasch aufrichten, aber er hielt sie fest und bog sich nach ihr nieder. „Trotz aller Worte habe ich noch kein Pfand Ihrer Ehrlichkeit, Miß,“ sagte er, „aber ich nehme nur ein freiwillig gegebenes!“ Sie sah mit einem vollen Lächeln zu ihm auf und heiß legten sich seine Lippen zwei, drei Mal auf die ihren. Dann aber schnellte sie geschmeidig aus seiner Umschlingung in die Höhe. „Jetzt weg von hier,“ sagte sie seinen Arm fassend, „und wenn wir uns wiedersehen, nicht noch einmal im Dunkeln!“


Da, wo die große Straße von Nashville nach Memphis die erste scharfe Ecke macht, liegt eins der schmucken Landstädtchen, wie sie sich im Innern der südlichen Staaten so oft finden und dem Reisenden mit ihren breiten Verandahs und geschmackvollen Portico’s, ihren von breitästigen Akazien beschatteten Straßen und ihren hellen, in elegantem Style gebauten Landhäusern, die sich durch dunkele Landpartien zum Kranze verbunden um den Ort ziehen, wie lebendige Bilder des Comforts und Ueberflusses entgegen treten.

Es war ein heller Septemberabend, und eine Lust, so weich und mild, wie sie nördlichere Gegenden niemals kennen lernen, ruhte auf der Landschaft, als Reichardt, auf dem Verdecke der Postkutsche sitzend, dem Orte entgegenrollte. In sanfter Neigung führte die Straße von der letzten Anhöhe hinab und gestattete dem Reisenden den vollen Blick über das ansprechende Bild, welches Stadt und Umgebung in der abendlichen Beleuchtung boten; trotzdem aber schien es die oft erprobte Wirkung auf den jungen Mann zu verfehlen; in seinen Augen, welche jede Einzelnheit vor sich musterten, drückte sich eher eine stille Besorgniß und leise Spannung, als ein Gefühl der Befriedigung aus, und erst als der Wagen in die Hauptstraße einbog und vor das stattliche Hotel rollte, schien er seine inneren Regungen unter einem gleichgültigen Aeußern zu verbergen.

Reichardt wußte kaum selbst, was ihn hierhergebracht, war es nur der Einfluß einer tollen Mädchenlaune, welchem er unterlegen, oder trug sein eigenes leichtes Blut und der Wunsch, sich seiner bisherigen Beschäftigung zu entziehen, die Hauptschuld – die Tage, welche er zwischen heute und seinem ersten Auftreten in Saratoga verlebt, lagen wie ein halber Traum hinter ihm.

Der Wagen entleerte sich seiner Passagiere, welche hier ihr Abendbrod einzunehmen hatten; Reichardt’s Gepäck aber war das einzige, welches abgeladen ward, und ein vergnügtes Grinsen zeigte sich in dem Gesichte des schwarzen Aufwärters, als dieser den glänzenden deutschen Violinkasten in Empfang nahm. Wie ein neugieriges Kind betrachtete er den Bau, das Schloß und die Beschläge und fragte dann mit einer Mischung von Verständniß und Schüchternheit, die sich in dem plumpen schwarzen Gesichte ganz wundersam ausnahm: „Feines Instrument, Sir?“

Das war also wahrscheinlich einer der „zum Tanze fiedelnden Niggers“, ein früherer College von Reichardt, nach Harriet’s Auffassung; trotz des einigermaßen unbequemen Gedankens aber fühlte sich der Angekommene von dem gutmüthigen Gesichte und dem sichtlichen musikalischen Interesse des Schwarzen wohlthuend berührt er konnte hier einen Anknüpfungspunkt für sich finden, der es ihm ermöglichte, die nöthigsten Erkundigungen einzuziehen, ohne sich der Neugierde der Menschen im Hotel preiszugeben. Er nickte dem Fragenden freundlich zu und wandte sich nach der „Office“, um sich ein Zimmer anweisen zu lassen; es drängte ihn, ehe er einen weitern Schritt that, zuerst vollständig mit sich selbst klar zu werden.

Diensteifrig war ihm der Neger nach dem bezeichneten Zimmer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_223.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)