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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ein Deutscher.[1]

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.

An der Quarantaine vor New-York lag der Dreimaster Adelheid von Bremen mit 274 Einwanderern. Er war zu spät angekommen, um der Prüfung der Gesundheitsbeamten unterworfen zu werden, und so war jetzt die warme, sternenhelle Nacht über dem Schiffe aufgestiegen. Von den Passagieren schliefen nur wenige. Die Meisten von ihnen hatten beim Anblick der nahen Küste schon Nachmittags eine Generalreinigung mit sich vorgenommen, hatten die Koffer geöffnet und sich in sonntäglichen Staat geworfen, damit sie mit Anstand ihren Fuß an das neue Land setzen könnten; jetzt mochte fast Niemand noch einmal die alten Schlafplätze aufsuchen, und wo ein freier Raum auf dem Verdeck war, lag Gruppe an Gruppe bei einander, die Männer rauchend und die oft ausgesponnenen Pläne und Hoffnungen noch einmal durchsprechend, die Frauen mit ihren Kindern beschäftigt oder mit erhöhtem Interesse der Weisheit der Männer lauschend.

Unweit der beschränkten Kajüte, welche die Wohnung des Capitäns bildete, hatte sich eine kleine Anzahl junger Leute gelagert. „Immer nur laufen lassen, was sich nicht halten läßt,“ sagte eine joviale Stimme, wie in Fortsetzung des stattgefundenen Gesprächs, „es soll mir nicht einfallen, mir schon einen halben Gedanken über das, was dem Menschen hier passiren kann, zu machen; ich sage, wir kommen morgen hier noch einmal zur Welt, und Keiner weiß mehr von dem, was aus ihm werden wird, als das Wickelkind in der Wiege. – Immer laufen lassen, was sich nicht halten läßt, Herr Professor,“ wandte er sich mit erhöhtem Tone und einem launigen Augenzwinkern nach einem jungen Manne, der, etwas abseits auf das Verdeck gestreckt, eine einsame weibliche Gestalt an der Brüstung des Schiffes zu beobachten schien, und unter dem leichten Gelächter der Uebrigen fuhr der Angeredete, wie auf unrechten Wegen ertappt, in die Höhe. „Predigt der Kupferschmied einmal wieder?“ lachte er, als wolle er eine leichte Verlegenheit verbergen.

„Ja wohl, aber immer nur tauben Herzen!“ erwiderte der Andere, „ich denke, wir probiren es jetzt einmal mit dem Singen und lassen unser Lied los; ’s ist gerade eine Nacht, wie dafür gemacht!“

Der abseits Liegende richtete sich auf und warf einen Blick über das Verdeck. „Ich denke selbst, es ist jetzt die rechte Stimmung dafür da, und es muß gut in der Stille klingen,“ sagte er. „Los denn, wir sind ja bei einander!“

Die Umliegenden erhoben sich und formirten einen Halbkreis; der junge Mann gab mit leiser Stimme den Ton, bezeichnete ein paar Taktschläge mit dem Finger, und in kräftigen Accorden begann es nach Mendelsohn’s Weise „wer hat dich du schöner Wald“:

Sei gegrüßt, Amerika,
Vaterland, das wir erkoren,
Gieb uns, was wir fern verloren,
Sei mit deinem Segen nah!
Sei gegrüßt, sei gegrüßt,
Sei gegrüßt, Amerika!

Schon bei dem Beginne des Quartetts waren die Gespräche unter den übrigen Gruppen verstummt, und in prachtvoller Wirkung zogen die Klänge durch die nächtliche Stille über die schlummernden, unbewegten Wasser; die einsame Mädchengestalt an der Brüstung hatte sich langsam umgewandt und lauschte, den Kopf leicht geneigt, bis die Schluß-Accorde des zweiten Verses verklungen waren; dann wandte sie den Blick nach dem Lande, auf welchem sich aller Orten schimmernde Lichter erkennen ließen, und blieb wieder so unbeweglich, als sie es bis jetzt gewesen.

„Jawohl, gegrüßt wäre es; jetzt wollen wir auf den Dank warten,“ sagte der als „Kupferschmied“ Bezeichnete, als die Sänger auseinandertraten; „ich hole meine Matratze herauf und mache mir es bequem, bis wir das neue Vaterland bei besserem Lichte besehen können.“ Er verschwand, und die Uebrigen, von dem geäußerten Gedanken sichtlich angesprochen, beeilten sich, lachend seinem Beispiele zu folgen. Nur der zuletzt Herbeigetretene nahm langsam seinen frühern Platz wieder ein, wo sich von dem einzelnen Mädchen ein Theil ihres mattbeschienenen feinen Gesichtes beobachten ließ. Wie heute, hatte er sie an manchem Abende der langen Reise, wenn der größte Theil der Passagiere schon schlief, stehen sehen, und es hatte ihm Vergnügen gemacht, aus diesen jugendlichen, bleichen Zügen ganze Geschichten herauszulesen. Sie war die Einzige auf dem Fahrzeug, welche trotz des engen Zusammenlebens in Zwischendeck und „Steerage“ noch heute allen Uebrigen so fremd gegenüberstand, als am Tage der Ausfahrt; sie hatte sich in Bremen einer Familie, welche Steerage-Passage genommen, angeschlossen gehabt; von dieser aber wußte auch Niemand mehr über sie, als daß sie Mathilde Heyer heiße und zu Verwandten gehe, welche irgendwo in New-York wohnen sollten; im Zwischendeck, wo jede Besonderheit sofort ihre Bezeichnung fand, war sie nur als das „gnädige Fräulein“ bekannt; weiter indessen war der Spott nicht gegangen, da selbst auf rohere Gemüther das bleiche schöne Gesicht in seiner Zurückhaltung einen eigenthümlichen Einfluß ausübte. Der jetzige Beobachter hatte, wie alle übrigen jungen Leute, beim

  1. Einzig rechtmäßige, für Deutschland von dem Verfasser autorisirte Ausgabe. Jeden etwaigen Nachdruck werden wir auf das Strengste verfolgen.
         D. Red
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_145.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)