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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

eintreten, behalten unsere Handwerksmeister meist ihre Separatgeschäfte für ihre Einzelrechnung bei und betreiben nur das Associationsgeschäft noch außerdem auf gemeinsame Rechnung, indem sie in dem letztern meist nur dann Arbeit suchen, wenn es ihnen selbst an Bestellungen mangelt. Ob dies auf die Länge durchzuführen und für den Aufschwung des Associationsgeschäfts gedeihlich ist, mag hier dahingestellt bleiben, jedenfalls ist es der für unsere Verhältnisse passendste Uebergang, was schon darin seine Bestätigung findet, daß da, wo man in Deutschland sofort sich nach englischem Muster associirte, ohne erst den echten Associationsgeist in den niedern Stufen der Vereinigung auszubilden, die Vereine (z.B. die Schneiderassociationen in mehrern großen Städten) in kurzer Zeit sich wieder auflösten.

Die Zahl solcher Handwerker-Associationen schätzt der Bericht, obschon die Statistik hierbei weit mangelhafter ist, als bei den Vorschußvereinen, jedenfalls über 100, hauptsächlich im deutschen Norden, von denen vielleicht der sechste Theil zur gemeinsamen Production und Magazinirung überging, und 67 davon werden namentlich aufgeführt. Die Mitgliederzahl mag zwischen 5000–6000 betragen, und der Gesammtumsatz im letzten Jahre circa 400–500,000 Thaler. Eine dem Bericht beigegebene Tabelle stellt die Rechnungsabschlüsse des letzten Jahres von 15 solchen Genossenschaften zusammen, von denen 13 sich auf das Rohstoffgeschäft beschränkten, 2 gemeinschaftlich producirten und magazinirten. Dieselben hatten am Jahresschlusse 764 Mitglieder, einen Umsatz von circa 100,000 Thalern und circa 2600 Thaler Reingewinn.

Von besonderer Wichtigkeit für die weitere Entwickelung des Genossenschaftswesens, welche mit jedem Jahre sich steigert, ist aber namentlich, daß Herr Schulze-Delitzsch den von uns (vergl. Nr. 23 der Gartenlaube) mehrfach befürworteten Verhandlungen einer Anzahl Associationen nachgegeben hat, und seine ganze Thätigkeit für dieselben hoffentlich auf die Dauer gewonnen ist. Zwar beträgt nach der Zusammenstellung des betreffenden Comité das demselben pro 1859 durch 1/2–2 Procent vom jährlichen Reingewinn der einzelnen Vereine gewährte Salair einschließlich der Bureaukosten nur 250 Thaler, indeß hat sich die Anzahl der beitretenden Vereine vermehrt, sodaß für das laufende Jahr die Verdoppelung dieser Summe in Aussicht steht, und in den folgenden Jahren sicher soviel herauskommt, um dem Manne, der seine ganze Zeit und Kraft der Sache widmen muß, einigermaßen eine Existenz zu gewähren, die es ihm ermöglicht, von einer Anstellung im Staats- oder Privatdienst abzusehen, wie sie ihm gegenwärtig kaum entgehen könnte. Bedarf doch gerade die große Anzahl der neuentstehenden Vereine am meisten seines Rathes und seiner Beihülfe, und es ist nicht anzunehmen, daß die Genossenschaften im Allgemeinen ihr Interesse so sehr verkennen sollten, sich einen solchen Anwalt entgehen zu lassen, besonders da es sich um eine so äußerst geringfügige Aufwendung für sie handelt. Hat sich doch seine Thätigkeit neuerdings wieder durch den von ihm dem letzten Vereinstag der Vorschußvereine in Gotha vorgelegten Gesetzentwurf zur Erleichterung der Legitimation der Vereine bei Rechtsgeschäften und Processen bewährt, welcher die Billigung des volkswirtschaftlichen Congresses in Cöln erhielt und demnächst bei den gesetzgebenden Körpern der deutschen Einzelstaaten, im Petitionswege eingebracht werden soll. Ebenso sind durch ihn den im Verbände stehenden Vereinen werthvolle Beziehungen im Geldverkehr mit größeren Bankinstituten und sonst vermittelt und Geschäftsverbindungen angebahnt, wie sie den betheiligten Instituten in jeder Hinsicht förderlich werden müssen. – Die Anmeldung neuer Vereine bei dem Centralbüreau erfolgt übrigens gegenwärtig bei Herrn Schulze in Delitzsch selbst, nicht mehr bei dem bisherigen Comité in Luckenwalde, welches vielmehr seine Functionen beendet hat.

So möchten wir denn schließlich nur noch unsern Handwerkern die Worte am Ende des Berichts zur Beherzigung empfehlen, damit sie in der zunehmenden Bedrängniß, in welche sie das riesige Wachsthum der Fabrikindustrie versetzt, von der unglücklichen Idee des Polizeischutzes in der Rückkehr zu den alten Gewerbsbeschränkungen zurück- und auf den Weg kommen, wo einzig für sie das Heil liegt: „sich die Mächte, welche der Großindustrie die Ueberlegenheit über ihre Betriebsweise verleihen (Capital und Intelligenz), selbst dienstbar zu machen, um mit derselben auf ihrem eignen Felde zu concurriren, anstatt sich im vergeblichen Kampfe dagegen aufzureiben. Dies aber wird nur mittelst der Genossenschaft ihnen möglich, deren wirtschaftliche und gewerbliche Tragweite sie nur erst einmal recht erproben mögen, um von ihren unfruchtbaren, auf die Dauer unmöglichen Zunftbestrebungen für immer geheilt zu werden.“




Blätter und Blüthen.


Ein zweiter Graf Gleichen. Neulich erzählte man mir in Schleswig eine allerliebste Geschichte, und glaubwürdige Leute verbürgten deren Wahrheit. Ich will sie wiedererzählen, so gut ich kann; sie ist folgende: „Auf einem der großen Güter des von der Natur so reich gesegneten Landes lebte seit mehreren Jahren ein Storchpaar in glücklicher Ehe. Beide Gatten erschienen in jedem Frühjahre kurz nach einander; das Männchen kam, wie fast bei allen Vögeln, zuerst, das Weibchen einige Tage später an; dann wurde das Nest ausgebessert und die zärtliche Liebe beider Gatten bald durch Nachkommenschaft belohnt. Im vorigen (oder vorvorigen) Frühlinge erschien Herr Storch ebenfalls zur gewöhnlichen Zeit. Sprechende Bewegungen des edlen Hauptes sandten tausend Grüße zu den Schutzherren des Sommergastes hinab, und noch sprechenderes Schnabelgeklapper gab der Freude, nach der langen Reise wieder daheim zu sein, beredten Ausdruck; kurz Freund Storch war glücklich, sehr glücklich. Aber nur einen, – zwei, – drei Tage lang, denn – seine theure Hälfte, die Mutter seiner früheren Kinderschaaren, die sie in früheren Jahrgängen, alle, alle

„an der treuen Brust
wachsen sah mit Mutterlust,“ –

sie, die Zierde des Nestes, erschien nicht! Lag hier ein Fall von Untreue vor? Hatte ein anderer jugendlicher Storch die schöne Alte verlockt? Oder war gar ein Mißgeschick ihr, der Geliebten, zugestoßen? Ach, alle diese Fälle waren möglich. Sogar unter den gefiederten Schönen kommt leider, leider – und deshalb noch immer nicht zur Entschuldigung anderer Weibchen –, auch unter den Vögeln sogar kommt Untreue vor; es gibt treulose Vogelgattinnen, welche die heiligsten und mit den glühendsten Worten vorgekrächzten oder geklapperten, geschwatzten, gepfiffenen, geflöteten, gesungenen Liebesschwüre vergessen können; es gibt Gatten, deren Gedächtnisse zuweilen die unzweifelhaftesten Beweise inniger Liebe und Zärtlichkeit, welche sie von ihren Gemahlinnen erhielten, entschwinden können! Und was das Unglück anlangt: – ach, ich weiß selbst nur zu gut, wie weit die Reise bis in die Winterherberge der Störche ist! Wahrscheinlich hatten sie zwischen den einzelnen Dohhenbüschen der Felder Ost-Sudahns, wo ich im Frühlinge stets Tausende von Stöchen sitzen sah, von einander Abschied genommen und sich seitdem nicht wieder gesehen; möglicherweise war ein müßiger nilbefahrender Engländer auf den unseligen Gedanken gekommen, seine Büchse auf einen Storchhaufen abzuschießen, und hatte merkwürdigerweise auch getroffen; möglicherweise – doch das kann ich ja kürzer sagen:

„Denn mit des Geschickes Mächten
Ist kein ew’ger Bund zu flechten –
Und das Unglück schreitet schnell!

Der arme Storchmann! Traurig saß er am vierten oder fünften Tage auf seinem Neste; kein Gruß wurde in den Hof hinabgenickt, keine Bach’sche Fuge abgeklappert; nur zuweilen schien er aus tiefen Träumen zu erwachen, oder von zudringlichen Wesen, vielleicht von dem abscheulichen Philopterus incompletus, erweckt zu werden – und nestelte dann zerstreut an seinem Federwamse herum. Er war tief betrübt, das sah ihm Jedermann schon von weitem an; es geht sogar die Rede, daß er drei Tage lang nicht gefressen habe, woran ich jedoch zweifeln muß, weil der Storch ein verständiges Thier ist. Endlich aber schien es, als ob ein Lichtstrahl in das trübe Dunkel seiner bekümmerten Seele gefallen, als ob ihm ein guter Gedanke gekommen wäre. Er erhob das Haupt, sah etwas freier in die schöne Welt hinaus oder hinab und schien einen Entschluß gefaßt zu haben. Urplötzlich erhob er sich und stieg mit gewohnter Meisterschaft in herrlichen Schraubenlinien zum Himmel auf, wandte sich dann einer entschiedeneren und bestimmteren Richtung zu und verschwand. Leider fehlen alle sicheren Berichte über den Weg, welchen er nahm, und man weiß eben nur soviel, daß der Bekümmerte getröstet heimkehrte, und zwar in Gesellschaft – in Gesellschaft der liebenswürdigsten Störchin der Erde, allem Anschein nach sogar einer Storchjungfrau. Daß diese sich entschlossen hatte, das dem weiblichen Geschlechte so tief verhaßte Joch der Ehe auf sich zu nehmen, konnte nicht bezweifelt werden; denn sie erwiderte nicht nur jedes Liebesgeklapper ihres Anbeters mit einem beifälligen aber noch zarteren anderen, sondern begann auch sofort das Nest wieder herzurichten, und es war wohl blos Zufall, falls es überhaupt begründet ist, daß dabei ein Kräutlein mit kleinen blauen Blumen, welches früher von der Tochter des Gutsherrn zart gepflegt, später aus Ueberdruß aber weggeworfen war, und dennoch auf dem Storchneste wieder Wurzel geschlagen hatte, herausgerissen und dadurch in den Stand gesetzt wurde, seine Unvertilgbarkeit nochmals zu beweisen.

Das verödete Nest war nach kurzer Arbeit in guten Stand gekommen, und schon am folgenden Tage lag das erste Ei, die erste Frucht der neuen Liebe, in ihm. Man kann sich die Freude des neuvermählten Paares denken! Ueberselig erhob Er das Haupt und klapperte eine Idylle nach der andern zum Himmel; Sie aber saß, noch etwas erschöpft von der Anstrengung des Legens, ruhig auf ihrem Wochenbette und wärmte einstweilen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_799.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)