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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Schönheit herzustellen und dasselbe neuverjüngt der Nachwelt zu überliefern.“

Kehren wir behufs dieser letzten und wichtigsten Erörterung zu der Liebfrauenkirche (diesen Namen führt die Ritterkapelle im Volksmunde) zurück, und machen wir nun die Bekanntschaft des greisen Baumeisters, dessen hochberühmten europäischen Namen ich bis jetzt mit Absicht verschwiegen habe. Dieser Name ist Karl von Heideloff! Er ist’s, der allgemein hochverehrte Nestor und Regenerator der deutschen Baukunst, der gemüth- und poesiereiche Sohn der Schwabenhauptstadt, und das trauliche Idiom seiner Geburtsheimath, das auch unser Schiller geredet, klingt uns aus seinem beredten Munde so anheimelnd entgegen; er ist’s, der gewissenhafte kunstsinnige Conservator der mittelalterlichen deutschen architektonischen und monumentalen Schätze Nürnbergs, wo jede Straße von seinem Kunstsinn, seinem Eifer und seiner Pietät für das Kunsterbe des deutschen Mittelalters zu erzählen weiß; er ist’s, der unermüdliche Schöpfer unzähliger Kirchen und Schlösser in allen Gauen des Vaterlandes, lauter herrliche Denkmale seines echt deutschen Hochsinns und seiner – trotz vieler bittern Erfahrungen – nie erkalteten Begeisterung für deutsche Kunst und deutsche Wissenschaft, deutschen Ruhm und deutsche Größe, Denkmale, die seinen gefeierten Namen der späten Nachwelt zurufen werden. Wahrlich, wem die hohe patriotische Wichtigkeit des Ausbaues der Ritterkapelle in Haßfurt noch nicht eingeleuchtet, dem würde sich eine Ahnung von ihrer Größe aufdrängen, wenn er erfährt, daß dieser greise Meister, der geistige Nachkomme Erwin’s von Steinbach, sich die Vollendung dieser Kirche ausersehen hat, daß sie in der Gestalt, wie sie seiner künstlerischen Phantasie vorgeschwebt und wie er sie mit jener Meisterhand, die die Welt bewundert, in großartigem unvergleichlich schönem Entwurf auf das Papier gezaubert hat, den würdigen Schlußstein seiner künstlerischen Thätigkeit bilde. Der Bau, mit dem ein Heideloff sein reiches Künstlerleben zu beschließen gedenkt, muß von der höchsten poetisch-patriotischen Bedeutung sein.

Unsere Abbildung der Ritterkapelle in ihrer einstigen Vollendung ist eine Copie dieses meisterhaften Entwurfs, und schon diese Nachbildung wird jeden Beschauer, der das Original zu sehen nicht Gelegenheit hatte, zu dem Ausrufe freudiger Ueberraschung hinreißen: „ja, das ist eins der würdigsten Denkmale deutscher Baukunst und des schöpferischen Cultus derselben, welchen ihr begeisterter Priester Heideloff sein Lebenlang ausgeübt!“

Wenn es nun möglich wäre, daß unsere Verehrung und Pietät vor dem ehrwürdigen Altmeister sich steigern könnte, der mit allen geistigen Lebensfasern an dem Herzen seines Volkes hängt und sich in liebenswürdiger Anspruchslosigkeit als einer seiner treuesten Söhne erweist; wenn es möglich wäre, ihn noch mehr zu lieben und zu verehren, als bereits der Fall ist: so würde es geschehen, nachdem wir erfahren haben, daß er, der weltberühmte deutsche Baumeister, auch der gelehrte Kenner der Heraldik und sowohl der allgemeinen Geschichte des Mittelalters, als auch der speciellen Dynastengeschichte der deutschen Fürsten- und Adelshäuser ist und mehr als die Hälfte seines langen thätigen Lebens auf das genaue und tiefe Studium dieser Disciplinen gewandt hat, sodaß schwerlich ein Lebender in der Kenntniß der stufenweisen Entwicklung der christlich-deutschen Baukunst, der Wappenkunde und Specialgeschichte sich mit ihm messen kann. Wer auch nur flüchtige Blicke in seine reichen Sammlungen architektonischer, ornamentaler und heraldischer Zeichnungen und deren Commentare geworfen hat, wird sich von der Wahrheit dieser Behauptung überzeugen.

Unser gelehrter Baukünstler hat sich nun die oben aufgeworfenen Fragen zur gewissenhaften Prüfung und Beantwortung vorgelegt, und das Resultat seiner Forschung ist folgendes:

1) Die Architektur und Ornamentik der Ritterkapelle erweist sich klar als eine Schöpfung aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts.

2) Die Wappen sowohl in der innern Wölbung der Kirche als im Frießgürtel der Außenseite sind nur Wappen fürstlicher und adeliger Häuser aus dem ganzen deutschen Reiche, deren Existenz in der spätern Regierungszeit des Kaisers Ludwig des Baiern nachgewiesen werden kann.

3) Die ungewöhnlich große Anzahl der Wappen der hervorragendsten deutschen Fürsten- und Adelsgeschlechter in und an dem herrlichen Chor constatirt unwiderleglich einen großen Eintrachts- und Liebesverein, der nur durch einen ungewöhnlichen und höchst merkwürdigen, bedeutungsvollen öffentlichen Act der Eintracht und Bruderliebe hochgestellter, ja geradezu der vornehmsten Persönlichkeiten jener Zeit hervorgerufen sein konnte. Die Kirche, welche dieser Verein baute und reich ausschmückte, kann durchaus nur ein Denkmal dieses Acts gewesen sein, der von der höchsten politischen und socialen Wichtigkeit sein mußte, um einen solchen Verein zur Errichtung eines solchen Denkmals in’s Leben zu rufen!

4) Im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts tritt uns aber ein solcher Act von so bewältigender Wichtigkeit, von so hoher politischer, socialer und sittlicher Bedeutung und von so herrlicher poetischer Schönheit und Tragweite entgegen, daß er seines Gleichen nicht hat in der ganzen Geschichte des deutschen Mittelalters, sodaß nur dieser Act und kein anderer einen so großartigen Verein und ein so herrliches Denkmal in’s Leben rufen konnte.

Dieser Act ist die Versöhnung der beiden Gegenkaiser, fürstlichen Vettern und Jugendgespielen Ludwigs von Baiern und Friedrichs von Oesterreich und ihr Bruderbund zur gemeinsamen Regierung des Reichs im Jahre 1325.

Die Ritterkapelle ist sonach das Denkmal einer welthistorischen Liebesthat, welche das deutsche Reich vom Abgrunde des Verderbens rettete, an welchen es der unselige Kampf der beiden Gegenkaiser, die Ränke des französischen Hofes und die gewaltthätige List des Papstes Johann XXII., eines herrschsüchtigen Franzosen, gebracht, und sie erhält durch diese natürliche Erklärung ihre würdige Deutung. Jedes unbefangene Gemüth wird sogleich eingestehen: so ist es! es kann nicht anders sein! Die herrliche Kirche mit ihrem reichen Wappenkranze und die liebreiche Vereinigung der beiden Kaiser sind gegenseitig einander angemessen und würdig. Kein Ereigniß von geringerer Bedeutung konnte einen solchen Verein zusammenbringen, um ein solches Gotteshaus zu Ehren der Jungfrau zu bauen. Die Kirche ist ein köstliches monumentales Feiergedicht in kunstvoller deutscher Architektur zur Verherrlichung des Bruderbundes der beiden mächtigsten Fürsten Deutschlands nach verderblichem blutigen Streit gegenüber der französischen und päpstlichen Herrschsucht, und das Gedicht unsers Schiller: „Deutsche Treue“, auf diesen deutschen Fürstenliebesbund ist gleichsam ihre Paraphrase und sollte in Marmor oder Erz gegraben einst über dem vollendeten Portale prangen.[1]

Den französischen Feinden des deutschen Reichs in Paris und Avignon (es war die Zeit, wo die Päpste als Schildträger des französischen Königs hier residirten), welche den deutschen Zwiespalt bejubelt und darauf ihre hinterlistigen Pläne gebaut hatten, war diese unerwartete Vereinigung der beiden Kaiser ein Strich durch die Rechnung. Der Papst sprach den Bann über Ludwig aus, dem alsbald das Interdict folgte. Aber Deutschland jauchzte den in Liebe vereinten Fürsten seine freudige Anerkennung zu. Der hohe Adel vereinigte sich ebenfalls, um dem Bruderbunde der Kaiser ein würdiges Denkmal zu errichten. Dieses konnte natürlich nur eine Kirche sein. Sie mußte im Herzen Deutschlands auf dem Gebiete eines Kirchenfürsten erbaut werden. Der damalige Bischof von Würzburg, Wolfram von Grumbach-Wolfskeel, war Kaiser Ludwigs Freund und hatte dessen Besuch öfter empfangen. Auf seiner Reise von München nach Würzburg hatte der fromme Kaiser wohl mehr als einmal sein Gebet in der uralten Marienkirche zu Haßfurt, dessen freundliche Lage am Mainstrom ihn anmuthete, verrichtet. Um ihn zu erfreuen, wurde von Bischof Wolfram diese Kirche zu dem beabsichtigten monumentalen Umbau bestimmt. So entstand der herrliche Chor mit dem Wappenfrieß. Aber Wolfram starb, ehe der ganze Kirchenbau vollendet werden konnte, auch Kaiser Ludwig endete im 61. Lebensjahre plötzlich sein thatenreiches Leben (1347), nachdem auch Papst Clemens VI. einen zweiten Bannfluch über ihn ausgesprochen hatte. Der Bau der Kirche blieb liegen. Niemand mochte es wagen, das zu Ehren eines Kaisers begonnene Denkmal zu vollenden, der im Banne gestorben war.

Aus diesen Umständen ergibt sich die Lösung der letzten schwierigen Frage von selbst, weshalb keine Inschrift am Chor uns über Zeit und Veranlassung des Prachtbaus belehrt, weshalb kein Chronist seiner erwähnt, kein Document darüber vorhanden ist. Kaiser

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_759.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)
  1. Wir erzählen den merkwürdigen Liebesbund der beiden Gegenkaiser Ludwig des Baiern und Friedrich des Schönen von Oesterreich hier nicht, weil wir ihn zu einem besondern Artikel der „Deutschen Bilder“ ausersehen haben.