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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Dollars habe ich für Deinen ersten Bedarf dazu gethan,“ sagte er, sichtlich seine Empfindungen niederkämpfend, „nimm es –“

„Vater, ich möchte kein Geld mitnehmen. Was ich heute zum Leben brauche, finde ich schon und ich habe auch noch eine Kleinigkeit!“ unterbrach sie ihn.

„Nimm es!“ wiederholte der Farmer und drückte ihr die Tasche in die Hand, „nimm es und geh mit Gott – Du sollst bald weiter von mir hören!“ Damit hatte er sich herumgedreht, als wolle er die Erregung in seinen Zügen verbergen, und verschwand in dem Eingange zum Vorderzimmer.

Mary’s Blick hing noch einige Secunden an der geschlossenen Thür, sie rang augenscheinlich mit einer sie überkommenden Weichheit; dann aber begann ihr Gesicht die stetige Ruhe eines bestimmten Entschlusses anzunehmen; langsam stieg sie die Treppe nach ihrem Zimmer hinauf und nach kaum zehn Minuten kam sie in dem Anzuge, den sie gewöhnlich trug, wenn sie den Alten nach der Stadt begleitete, zurück. Sie öffnete die Hinterthür und trat in’s Freie – dort kam ihr in ungeschlachten Sätzen der große Hund entgegen; sie bog sich zu ihm hinab und drückte ihr Gesicht in das zottige Fell, als wolle sie in ihm Abschied von ihrer ganzen bisherigen Heimath nehmen. Dann schlug sie raschen Schritts und ohne sich umzusehen, den Weg nach der Straße ein.

Noch hatte sie auf dieser den Anfang des Waldes nicht erreicht, als sie rasche Schritte hinter sich hörte und umblickend den Major Osborne gewahrte. Die Gehaltenheit in seinen Zügen, welche er in Kreuzer’s Hause bewahrt, hatte einem deutlich ausgeprägten Ausdruck von Sorge Platz gemacht, und ohne sich Mühe zu geben, seine Empfindung zu verbergen, sprach er das Mädchen an.

„Sie haben den alten Leuten gesagt, Kind, daß Sie für die Unschuld meines Sohnes zeugen werden?“ fragte er, sich ohne Ceremonie zu ihr gesellend.

„Ja, Mr. Osborne!“ erwiderte sie aufsehend.

„James hat mir heute Morgen wissen lassen, daß er mit Ihnen gesprochen,“ fuhr er fort, „und es war hauptsächlich die Hoffnung, mit Ihnen ein paar Worte reden zu können, welche mich nach Ihrem Hause trieb. Es ist der dümmste Streich, den der Junge begehen konnte, und wenn auch Ihr Zeugniß die Sache schnell klar machen muß, so ist doch wieder ein Feuerbrand unter die ganze deutsche Bevölkerung geworfen. Sie werden Kreuzer’s Haus verlassen, wenn ich heute recht gehört habe?“

„Ich habe es bereits verlassen, Sir!“

Er warf einen halb überraschten Blick auf sie. „Very well, so ist es das Beste, Sie folgen mir gleich nach meinem Hause – Sie haben doch wahrscheinlich im Augenblicke nicht viel zu wählen – wenn aber der Proceß vorüber ist, mögen Sie darauf rechnen, daß ich Ihnen ein anderes zufriedenstellendes Unterkommen verschaffen werde.“

Mary’s Augen richteten sich gerade aus, und ein leichtes Roth stieg in ihr bleiches Gesicht. „Ich habe Sie wohl noch nicht um ein Unterkommen angesprochen, Sir,“ erwiderte sie, „ich bedarf jetzt keiner Hülfe und bin auch in Betreff meiner Zukunft ziemlich klar.“

Sein Auge überlief wieder ihre ganze Gestalt. „Ich weiß nicht, Miß, ob ich mit meinem Anerbieten bei Ihnen angestoßen habe,“ erwiderte er mit hörbarer Aenderung seines bisherigen Tones, „aber es war gut gemeint, und vielleicht haben Sie Recht, den Aufenthalt gerade in meinem Hause auszuschlagen. Ich kenne Ihre Verhältnisse nicht, demohngeachtet möchte ich Sie auf etwas aufmerksam machen. James sagt, Sie gehörten nicht zu dem Schlage der hiesigen Deutschen, ich habe aber noch keine andern kennen lernen und ich darf Ihnen so viel sagen, daß sich keine Thür bei Ihren Landsleuten rings umher für Sie öffnen wird, wenn Sie auf unserer Seite stehen. Ich habe die Menschen in der vergangenen Nacht gesehen, wie sie meinen armen Jungen aufjagen wollten, als wäre er ein zehnmal der Gerechtigkeit entsprungener Verbrecher. Ich kann nach diesem Vorgange, wie nach den Worten der alten Kreuzer schon schließen, was etwa noch kommen wird, und ich muß Ihnen sagen, daß, wenn Sie unbelästigt und frei Ihr Zeugniß zu Gunsten der Wahrheit abgeben wollen, Sie sich jedenfalls einer amerikanischen Familie anschließen sollten – es ist nicht nur der besorgte Vater, der aus mir spricht, Miß, es ist der Mann, der seit langen Jahren die hiesigen deutschen Ansiedler kennt, von denen Mr. Kreuzer noch der vernünftigste ist, wenn er auch jetzt kaum anders können wird, als mit seiner Frau und der übrigen Menge in dasselbe Horn zu stoßen!“

Mary schritt eine Weile schweigend neben ihrem Begleiter her. „Ich habe mich so wenig um die Nachbarschaft gekümmert,“ sagte sie endlich, „daß ich besonders unter den Amerikanern die Familien kaum dem Namen nach kenne. Ich wollte nach der Stadt gehen, wo ich eines schnellen Unterkommens, wenn auch vorläufig in dienender Stellung, sicher war.“

„Wenn ich Ihnen nun aber einen Platz in einer amerikanischen Familie verschaffte, wo Sie keinesfalls die Abhängigkeit so fühlen würden, als unter Ihren Landsleuten,“ unterbrach er sie, „würden Sie damit einverstanden sein?“

„Ich weiß es noch nicht, Sir!“ erwiderte sie zögernd. Es widerstrebte mit Macht ihrem Gefühle, jetzt, wo aus dem stattgefundenen Unglücke eine Parteisache zwischen den beiden Nationalitäten gemacht zu werden schien, eine so bezeichnete Stellung, wie sie ihr Aufenthalt unter Amerikanern mit sich bringen mußte, einzunehmen. Zudem hoffte sie mit Sicherheit, den alten Kreuzer in der Tavern am „Point“ zu sehen, noch ehe sie einen bestimmten Entschluß über ihre Zukunft faßte; hatte er doch versprochen, „bald“ von sich hören zu lassen, und das mußte jedenfalls bei Sendung ihres Koffers geschehen. – „Das ganze Unglück mit seinen Folgen ist so schnell über mich gekommen,“ fuhr sie fort, „daß ich zwar das Eine weiß, was mein Gewissen von mir fordert, daß ich aber noch keine Minute gefunden habe, um über mich selbst mit mir zu Rathe zu gehen. Heute Abend erst geht die Postkutsche nach der Stadt, und bis dahin habe ich mich jedenfalls entschlossen –“

„Und wohin führt Sie Ihr Weg jetzt, Miß?“

„Nach dem „Point“, Sir!“

„Gut, so sehe ich Sie dort gegen Abend – ich rechne darauf, meinet- und Ihrethalber!“ Er neigte höflich den Kopf und wandte sich nach der nächsten Feldeinzäunung, die er leicht überstieg und dann zwischen den hohen Stengeln des Welschkorns verschwand.

Mary hatte ihm nur mit einem kurzen Blicke nachgesehen und ging jetzt schärfer vorwärts. Er hatte anfänglich in einer Weise zu ihr gesprochen, die sie heimlich verletzt; nicht in seinen Worten, aber in dem Tone derselben, in der umstandslosen Art, wie er sich zu ihr gesellt, lag es ausgedrückt, daß er sie zu Leuten zählte, die weit unter ihm standen, daß er die gewöhnliche Höflichkeitsform, „Ladies“ gegenüber, bei ihr nicht für nöthig hielt. Kaum hätte sie wohl so sehr darauf geachtet, wenn er nicht gerade der Vater von James gewesen wäre. Sie freute sich, daß ihre Antworten ihn zu einer Aenderung seines Tones vermocht, und dennoch hätte sie sich auch über ihre Kurzgebundenheit wieder ärgern mögen. Es war ihr, als müsse sie den alten Gentleman recht lieb haben können, wenn sie nur dürfe.

Als sie endlich das Blockhaus, welches die Tavern bildete, erreicht hatte, setzte sie sich still in eine Ecke des Zimmers, ohne sich weiter um ihre Umgebung zu kümmern, die fast nur aus Deutschen bestand und sie mißtrauisch betrachtete. Der Hunger stellte sich nach dem langen Marsche ein, sie bestellte ein frugales Mahl und verzehrte es. Sie fühlte recht wohl, daß sich das leise Gespräch der Deutschen um ihre Person drehte, achtete aber nicht darauf. Dann stützte sie den Kopf in die Hand und ließ die Bilder des ganzen jüngst verflossenen Jahres noch einmal an sich vorüberziehen. Das Schicksal hatte die Lösung der peinlichen häuslichen Verhältnisse selbst übernommen, sie fühlte nach den Erfahrungen des heutigen Morgens mehr als jemals, daß sie unter dem deutschen Elemente, wie es in der Umgegend lebte, niemals gedeihen könne. Der Vorschlag des alten Osborne, sich einer amerikanischen Familie anzuschließen, trat wieder vor ihre Seele, aber der Gedanke an dessen Sohn James hieß ihr den Antrag ablehnen. Er hatte sie bis jetzt als „junge Lady“, als Tochter eines reichen Farmers gekannt, und nun sollte sie Dienstbote da werden, wo vielleicht junge Ladies, die er zu seinen nächsten Bekanntschaften zählte, als ihre Herrinnen auftraten. Sie sah gedankenvoll vor sich hin, sie merkte nichts von dem Verrinnen der Zeit, und erst als das Rasseln eines Wagens in der Nähe der Tavern laut wurde, hob sie langsam den Kopf. Sie erkannte Kreuzer’s Fuhrwerk, sie sah ihren Koffer darauf, aber ein fremder Mann leitete die Pferde. Noch ehe der Wagen heran war, stand sie an der Außenthür, sie wußte, daß jetzt die Zeit gekommen war, einen bestimmten Entschluß zu fassen – das Gefährt hielt, der Mann lud den Koffer ab und sagte nach einem prüfenden Blick

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_675.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)