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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Ein deutscher Sänger.
(Mit Abbildung.)

     „Singe, wem Gesang gegeben
In dem deutschen Dichterwald!
Das ist Freude, das ist Leben,
Wenn’s von allen Zweigen schallt.“       Uhland.

Sei gegrüßt, Württemberg, du freundliches Hügelland, reich an Naturschönheiten und herrlichen fruchtbaren Thälern! Wie lieblich lächeln uns deine reichen Fluren, deine üppigen Weingärten entgegen! Wie winken uns traulich die herrlichen Wälder, die deine Berge krönen; wie anziehend flüstern deine Burgen von alten gewaltigen Zeiten, während deine großen und reinlichen Dörfer und deine vielen gewerbreichen Städte und Städtchen von der biedern Einfachheit und dem Fleiße deiner Bewohner erzählen! Du bist so recht ein Land der Romantik und der Poesie, und kein Wunder ist es, wenn einer deiner wackersten Sänger uns so recht aus vollem Herzen zuruft:

„Singe, wem Gesang gegeben
In dem deutschen Dichterwald!
Das ist Freude, das ist Leben,
Wenn’s von allen Zweigen schallt!“

Und wahrlich! in Schwaben ist schon manch’ herrlich Lied angeschlagen worden und hat hinausgeklungen über alle deutsche Gauen und sein freudiges Echo gefunden in allen deutschen Herzen! Standen hier doch die Wiegen eines Wieland, Schiller, Uhland, Schwab, Kerner, Hauff, Pfizer, Mörike. Schenkten diese prächtigen Gauen dem deutschen Vaterlande doch schon so viele bedeutende Männer wie: Spittler, Moser, Paulus, Strauß, Schelling, Hegel, Danneker etc. In der That erhob sich denn auch hier eine ganze Dichterschule, die „Schwäbische Dichterschule“ genannt, auf die wir mit gerechtem Stolze blicken dürfen.

Was den Inhalt dieser schwäbischen Poesie betrifft, so waren es zunächst die landschaftliche Natur, die sich ja im schönen Schwabenlande so reizend und so reich entfaltet, und die Gemüthsstimmungen, welche durch die Einwirkungen der Naturschönheit hervorgerufen worden, die in musikalisch innigen Liederklängen ausathmeten. Das einfache kindliche Gemüth dieser schwäbischen Sänger vermied jedes herausfordernde Virtuosenthum der Empfindung, alle kühnen Griffe und schwindelnden Probleme des Gedankens; es war ganz Hingabe, Sinnigkeit, Innigkeit und Naturandacht. So ward – wie Justinus Kerner selbst sagt – die Natur die Meisterin der schwäbischen Dichterschule. Aber die schwäbischen Dichter unterscheiden sich nicht allein durch die Reinheit ihrer Naturauschauung von den Romantikern, sondern auch durch die schlichte und klare Auffassung des Mittelalters, das sie in ihren Romanzen und Balladen verherrlichen. Sie rufen hier meist schöne und doch naturwüchsige Gestalten herauf; es sind nicht Fouqué’s sentimentale Raufbolde, nicht Brentano’s schwarzbärtige Zauberer, nicht Tieck’s ironische Purzelmännchen im Harnische, es sind Menschen mit edler, warmer Empfindung, gültig für alle Zeiten und allen Zeiten verständlich. Auch sucht diese Poesie nicht ängstlich jede Berührung mit der Gegenwart zu vermeiden, sondern proclamirt in energischer Form den frischen, kräftigen Freiheitssinn der Zeit.

An der Spitze dieser „schwäbischen Dichterschule“ steht nun der wackere Ludwig Uhland, Deutschland längst bekannt durch seine trefflichen Poesien, wie durch seine politische Gesinnungstüchtigkeit. Johann Ludwig Uhland, dessen nach einer wohlgelungenen Photographie gefertigtes Portrait wir hier geben, wurde am 26. April 1783 zu Tübingen geboren. Schon sein Großvater, Ludwig Joseph, ein vielseitig gebildeter Mann und einer der ausgezeichnetsten damaligen Theologen, war hier ansässig gewesen und bekleidete seit 1777 das Amt eines Professors der Geschichte an der dortigen Universität, während Uhland’s Vater im Laufe der Zeit die Stelle eines Universitäts-Secretair einnahm.

Schlicht und einfach, wie des Kindes Statur und Wesen, war auch die Erziehung, die es im elterlichen Hause genoß; aber es fehlte hier wie dort nicht an jener stillen Gediegenheit, die Uhland für sein ganzes Leben auszeichnete. Uhland bildete sich auf der gelehrten Schule und Universität seiner Vaterstadt, wo mit ihm zugleich und in freundschaftlichen Verhältnissen Justinus Kerner und – in dem Winter 1808 – auch Varnhagen von Ense studirten. Varnhagen erinnert sich noch in seinem Alter mit Freuden an dies, wenn auch nur kurze, Zusammenleben. „Es waren zwei liebe, herrliche Menschen,“ sagt er von Uhland und Kerner, „echte ursprüngliche Seelen, reich begabt mit innerem Leben und äußerem Talent.“

Uhland, damals noch wenig bekannt, hatte im Stillen schon manch hübsches Gedicht in tief bewegter Seele empfangen und Einzelnes auch in den Musenalmanachen von Leo von Seckendorf veröffentlicht. Kerner brachte dem gemeinsamen Freunde Varnhagen ein ganzes Päckchen derselben. Da war es Varnhagen, als tauche seine Seele in frische Dichtungsfluth! Er fand Uhland’s Lieder „Goetheisch“, d. h. nicht Goethen nachgeahmt, sondern in gleichem Werthe mit dessen Liedern: eben so wahr und so rein, so frisch und lieb! Besonders gefiel ihm, daß sich Uhland nie mit Worten und Redensarten befaßte, sondern nur das Gefühl und die Anschauung sprechen ließ. Natürlich war dadurch der Ausdruck immer echt. Die Natur, die ihn umgab – und die ja namentlich um Tübingen herum so schön und lieblich ist –, die Vorzeit, deren Sagen er in seinem dichterischen Gemüthe leise verhallen hörte, bezeichneten schon damals den Kreis seiner Dichtungen. Dennoch wurzelte schon der Jüngling mit kräftigem Geiste in seiner Zeit, umfaßte die ganze Bildung derselben, und war somit, der Auffassung und Wirkung nach, durchaus modern. Vaterlands- und Freiheitsliebe durchströmten ihn und machten ihn somit Varnhagen doppelt lieb und werth.

Aus jener Zeit klingt uns „des Knaben Berglied“ herüber:

„Und wann die Sturmglock’ einst erschallt,
Manch Feuer auf den Bergen wallt,
Dann steig’ ich nieder, tret’ in’s Glied,
Und schwing’ mein Schwert, und sing’ mein Lied:
Ich bin der Knab’ vom Berge!“

Auch „die drei Lieder“ stammen aus jener Zeit und manch ander wackeres Gedicht.

Merkwürdiger Weise entsprach aber, selbst in jenen schönen Jünglingstagen, das Wesen Uhland’s und sein Aeußeres keineswegs dem so bedeutenden Inneren. Die äußere Erscheinung kann nicht anders, als eine in der That gewöhnliche genannt werden, und dabei war Uhland unzugänglich und blieb es für sein Leben. Eine dem Dichter sehr nahestehende liebe Dame hat ihn sehr richtig mit den Worten portraitirt: „Uhland ist wie eine Nachtigall, man muß ihn nur singen hören, aber nicht sehen.“ „Umgang,“ sagt Varnhagen von Ense, „hab’ ich nicht viel mit ihm, und nur durch Kerner’s Vermittlung, denn er ist der entschlossenste, hartnäckigste Schweiger, der mir noch vorgekommen! Keine Verlegenheit, keine Angst wirkt auf ihn, er wartet es ab, was daraus werden möge, und schweigt. Redet er aber einmal, so ist, was er sagt, gediegen, klar, zweckmäßig und möglichst kurz; ohne alle Absicht und Ziererei ist es so, aus freier Natur heraus. Ist das nicht schön? Und so ist der ganze Mensch! Seine Redlichkeit, Hochherzigkeit und Treue preist Jeder, der ihn kennt, als unerschütterlich und probehaltig. Er wird nächstens die Universität verlassen und eine Reise nach Paris unternehmen. Er ist im Ganzen nicht rauh und herb, aber die Franzosen werden ihn doch nicht glätten und noch weniger gesprächig machen.“

So urtheilte 1808 Varnhagen über Uhland, und Uhland’s ganzes Leben hat dies Urtheil bestätigt.

Noch in demselben Jahre wurde Uhland Advocat und bald darauf Doctor der Rechte. Jetzt führte er auch die Reise nach Paris aus, woselbst er auf der königlichen Bibliothek die vorhandenen Manuskripte des Mittelalters fleißig studirte. Früchte dieser mühevollen, aber mit erstaunlicher Gründlichkeit betriebenen Arbeit bot Uhland der Welt in Uebersetzungen altfranzösischer Gedichte. Sie finden sich in der zweiten Auflage seiner Gedichtsammlung. Aber in Paris war seines Bleibens nicht. Uhland kehrte schon 1812 nach Stuttgart zurück, wo er eine Zeit lang im Bureau des Justizministeriums arbeitete. Da kamen die welterschütternden Jahre 1813 bis 1815 mit ihren Stürmen und Wettern heran; wie hätten sie an einem so durchaus deutschen, edlen und freisinnigen Manne, wie Uhland, ohne den tiefsten, gewaltigsten Eindruck vorüber gehen können? Wie ein Riese richtete sich sein Geist empor, die Lieder der Liebe, die Huldigungen der Natur verstummten, und wie einen kecken Trompetenruf schmetterte er sein „Vorwärts!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_646.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)