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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

durch jahrelangen Verkehr mit dem lieben Thiere zu einer etwas abweichenden Ansicht gekommen bin. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich diese hier mittheile; denn Verzeihung habe ich nöthig, da ich darauf hinausgehe, dem Kamele ein kleines Stückchen seines Heiligenscheines zu entreißen. Ich will Niemand täuschen; deshalb erkläre ich von vorn herein, daß ich mein Beginnen mit lebhaftem Bedauern und als Frevel ansehe, als Frevel an dem durch gemüthliches Nachschreiben und Weitererzählen unumstößlich Festgestellten, als Frevel an einem Geschöpf, welches man als entsagungsvollen, bescheidenen, sanften, anspruchslosen, milden, treuherzigen, menschenfreundlichen etc. Dulder, ja, als halben Engel anzusehen gewohnt ist. Die Wahrheit verlangt aber, daß auch ich rede, und ihr muß ich selbst den Heiligenschein eines Kameles opfern.

„Hoher Sinn liegt oft im kind’schen Spiel!“ Unsere erfindungstüchtigen, eine bilderreiche Sprache liebenden Hochschüler gebrauchen den Ausdruck „Kamel“, wenn sie einen Menschen bezeichnen wollen, welcher die hervorragendsten geistigen Eigenschaften eines Ochsen, Esels, Schafs und Maulthieres in glücklichster Weise in sich vereinigt. Mit wahrer Bewunderung habe ich die überaus treffende Wahl gerade dieses Worts erkennen lernen. Das vierbeinige Kamel vereint wirklich das Wesen der genannten Thiere in sich und ist demnach zu einem Sinnbilde mit Glück zu gebrauchen. Ja, leider ist das Kamel nichts weniger, als „heldenmüthig, bescheiden, klug, sanft, fromm, liebevoll etc. etc. etc.“ – wie es gewöhnlich geschildert wird, sondern vielmehr das gerade Gegentheil von all Diesem. Ich will ganz einfach einige Bilder aus der Wüste hier nachzuzeichnen versuchen und es meinen Lesern dann überlassen, mit dem Endergebniß meiner Anschauungen übereinzustimmen oder nicht.

Versetzen wir uns einmal in das Einbruchsdorf einer Wüstenstraße. Die zur Fortschaffung des Gepäckes bestimmten Kamele sind seit gestern angekommen und fressen mit der unschuldigsten Miene die Wandung einer Strohhütte auf, deren Besitzer eben abwesend ist und es versäumte, sein Haus durch Dornen zu schützen. Die Treiber sind mit dem Umschnüren und Abwiegen des Gepäckes beschäftigt und brüllen dabei nach Leibeskräften und scheinbar mit solcher Wuth, daß man glauben muß, im nächsten Augenblick einen Mord begehen zu sehen. Einige Kamele unterstützen in Erwartung des Kommenden das Gebrüll mit ihrem eigenen; bei den übrigen, welche nicht mit brüllen, bedeutet das nur so viel, als: „Unsere Zeit ist noch nicht gekommen, aber sie kommt!“ Ja, sie kommt; denn die Sonne zeigt die Zeit des Nachmittagsgebetes, die Zeit jedes Beginnes nach arabischen Begriffen an. Nach allen Seiten hin stürmen die braunen Männer, um ihre häuserfressenden oder sonstwie unheilstiftenden Kamele einzufangen; bald darauf sieht man sie mit ihnen zurückkehren. Jedes einzelne Kamel wird zwischen die bereits gerichteten Stücke seiner Ladung geführt und mit einem unbeschreiblichen Gurgellaute gebeten, oder durch einige die sanfte Bitte sanft unterstützende Peitschenhiebe aufgefordert, sich niederzulegen. Mit äußerstem Widerstreben gehorcht das ahnungsvolle Geschöpf, dem eine Reihe schwerer Tage in grellen Farben vor der Seele steht. Es brüllt zuerst mit Aufbietung seiner ganzen Lunge in markerschütternder Weise und weigert sich verständlich und entschieden, seinen Nacken der Bürde zu bieten. Selbst der mildeste Beurtheiler würde sich vergeblich bemühen, jetzt auch nur einen Schimmer von Sanftmuth in seinem wuthblitzenden Auge zu lesen. Es fügt sich ins Unvermeidliche, nicht aber mit Ergebung und Entsagung, nicht mit der einem Dulder so wohlanstehenden Seelenruhe und Geistesgröße, sondern mit allen Zeichen der im höchsten Grade gestörten Gemüthlichkeit, mit Augenverdrehungen, welche unsern Muckern zum Vorbilde dienen könnten, mit ZÄhnefletschen, mit Stoßen, Schlagen, Beißen, kurz mit beispiellosem Ingrimm. Alle nur denkbaren oder besser undenkbaren Untöne orgelt es fugenartig ab, ohne auf Takt und Tonfall die geringste Rücksicht zu nehmen. Dur und Moll wird grauenvoll zusammengeworfen und mißachtet; jeder nur einigermaßen aN Wohllaut anklingende Ton wird der grenzenlosen Wuth geopfert, jeder Naturlaut verstümmelt und zerquetscht. Mein lieber geist- und wortreicher Freund Goltz allein würde im Stande sein, eine annähernd richtige Beschreibung solchen „Tonunwesens“ zu geben; ich fühle mich zu schwach dazu. Endlich scheint die Lunge erschöpft zu sein. Aber nein: es werden blos andere Stimmen gezogen, und in gräulicher Folge etwas kläglichere Weisen angestimmt. Die unaussprechliche Wuth, welche bisher die Seele des herrlichen Thieres erfüllte, scheint durch eine Selbstbetrachtung über die Sclaverei und ihre entsetzlichen Folgen auf Augenblicke verdrängt worden zu sein. Das Brüllen hat sich in ein klägliches Stöhnen verwandelt. Da ich leider keiner der thränenreichen Minnedichter unserer Zeit bin, kann ich blos in schlichter Weise meine Meinung aussprechen, welche dahin geht, daß das Kamel in seinem unendlichen Schmerz wahrscheinlich der goldenen Urzeit gedenkt, in welcher der Erdenteufel, Mensch genannt, dem damals stolz emporgetragenen Fetthöcker der Vorfahren unseres Thieres noch nicht die schwere Bürde auflegte, in welcher es frei und lustig die grünen, leider noch immer nicht wiederaufgefundenen Fluren in nächster Nähe des Paradieses durchstampfte. Die unsäglich traurige, erschütternde Klage des Dulders könnte einen Stein erbarmen. Aber das Herz der Kameltreiber ist härter als ein Stein; das Ohr der Peiniger ist taub für die wehmüthigen Kundgebungen der zartbesaiteten Seele des tief und innig fühlenden Thieres. Nicht einmal eine feinen Unmuth ausdrückende Bewegung wird ihm gestattet. Einer der Treiber stellt sich auf die zusammengelegten Beine des sanften Lammes und faßt mit starker Hand die Nase, um an dieser empfindlichen Stelle gelegentlich einen nach Erforderniß stärkeren oder gelinderen Druck ausüben zu können. Allerdings behauptet der Mann, daß er seine Glieder vor Bissen des „Viehs“ schützen müsse, und zeigt uns seinen Gefährten, dessen Arm von einem Kamele zerbissen und für immer zerstümmelt wurde; allerdings versichert er, daß ein wüthendes Kamel das scheußlichste aller Scheusale sei: allein meine Gerechtigkeitsliebe muß mich jetzt auch den Standpunkt des Kamels würdigen lassen.

Welche Schändlichkeit! Das edle Thier kann sich kaum rühren und soll belastet werden mit der schwersten Bürde, welche außer dem Elephanten überhaupt ein sterbliches Wesen tragen kann, es soll tagelang die schändliche Last schleppen! Ueber solche Erniedrigung bricht es in Erbarmen beanspruchende klagen aus, und der Unmensch schließt beide Nasenlöcher und entzieht ihm den zu solchen Klagen doch unentbehrlichen Athem! Selbst ein Engel würde bei solch einer schnöden Behandlung zum Teufel werden; ein Kamel aber ist weit entfernt, hat nie daran gedacht, irgend welche Ansprüche auf die unerläßlichen Eigenschaften eines Engels gemacht zu haben. Wen soll und kann es Wunder nehmen, daß es seine namenlose Entrüstung durch anhaltendes kräftiges Schütteln des Kopfes kundgibt? wer wird es ihm verargen, daß es zu beißen, mit den Beinen zu stoßen, aufzuspringen, die Last abzuwerfen, durchzubrennen versucht und dann von Neuem zu brüllen beginnt, daß man das Trommelfell vor dem Zerspringen besonders schützen möchte? Und gleichwohl schimpfen und fluchen die Araber noch über solche Ausbrüche gerechten Zornes! Sie, welche sonst alle Thiere mohammedanisch – christlich kann ich, seitdem ich in Spanien war und viele deutsche Spanier sah, hier leider nicht sagen – behandeln, rufen ihm jetzt Verwünschungen zu, wie „Allah jenarhlak abahk, djinsak, ja malâuhn, ja kelb, ja chansihr!“ – Gott verfluche Deinen Vater und Deine Art, Du alles Guten Barer, Du Hund, Du Schwein! – sie stoßen es mit den Füßen, prügeln es mit der Peitsche! Den inständigsten Bitten, den herzerschütterndsten Klagen, der unsäglichsten Wuth setzen sie kalte Mißachtung und höchst empfindliche Schmähungen entgegen! Während der Eine das Kamel an der Nase packt, legt ihm der Andere bereits den Sattel auf den Rücken; ehe es noch halb ausgeklagt hat, liegt auf dem Sattel die schwere Last. Jetzt läßt der Vorderste die Nase los, der Hinterste handhabt die Peitsche wieder: das niedergebeugte Thier soll sich erheben. Noch einmal sucht es seinen ganzen ungeheuren Horn, seine tiefste Verachtung gegen den Menschen in einen einzigen Schrei zusammenzufassen, noch einmal brüllt es beim Aufspringen wuthschnaudend auf, dann schweigt es den ganzen übrigen Tag, wahrscheinlich im Gefühl seiner eigenen Größe und Erhabenheit. Es erachtet es für zu kleinlich, für zu erbärmlich, den tiefen Schmerz seiner Seele über die ihm angethane Entwürdigung noch durch äußere Zeichen dem niederträchtigen Menschen kundzugeben, und geht von nun an bis zum Abend „in stiller Billigung und ohne Schmerzensseufzer seine Stelzenschritte fort“. Aber beim Niederlegen, beim Entladen der Last scheint seine Brust noch einmal frei aufzuathmen; denn dann läßt es nochmals seinen ganzen Ingrimm los.

So gebehrdet sich das Kamel beim Auf- und Abladen; und ich mache mir heute noch Vorwürfe, daß ich die wahre Seelengröße des edlen Wesens jemals verkannt und Ausbrüche des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_632.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)