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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)


Der Mann im weißen Mantel sah ihn offenbar sehr überrascht und betroffen an. Erst nach einer stummen Pause antwortete er mit einer gebieterisch klingenden und doch außerordentlich wohllautenden Stimme:

„Weiß Er, wer ich bin?“

Die Lampe, welche der Thüre gegenüber an der Wand brannte, fiel jetzt hell genug in das durch den aufgeschlagenen Mantelkragen nur halb verhüllte Gesicht des jungen Mannes, um Frohn erkennen zu lassen, wer vor ihm stand.

„Zu Befehl, Majestät!“ erwiderte Frohn.

„So nehme Er die Hellebarde weg!“ sagte der junge Mann. Es war Niemand anders, als der römische König, der später als deutscher Kaiser Joseph II. hieß.

Frohn hielt die Waffe fest.

„Ew. Majestät halten zu Gnaden – ich habe die strengsten Befehle.“

„Wann wird Er abgelöst?“

„Um zwölf Uhr.“

„Ich verspreche ihm, vor zwölf Uhr wieder hier zu sein, mein Wort darauf!“

Damit schob der König die Hellebarde rasch bei Seite, und der weiße Mantel flatterte an Frohn vorüber. König Joseph eilte mit flüchtigen Schritten den Gang hinauf und war im nächsten Augenblick um die Ecke verschwunden.

Frohn blickte ihm in einer sehr begreiflichen Aufregung nach.

„Du bist ein Thor gewesen,“ sagte er sich. „Das Thereserl wird es Dir schlecht danken! Er wird sein Ordenskreuz auslösen gehen!“

Die Uhr der Burgkirche schlug ein Viertel. Frohn begann wieder auf- und niederzuschreiten – aber jetzt mit bedeutend rascheren Schritten. Eine Weile verging, die Uhren schlugen halb elf. Unser Posten machte die Bemerkung, daß einer Schildwache die Zeit nicht immer wie eine Schildkröte krieche, daß sie zuweilen auch sehr hurtige Fittiche haben könne.

Bei seinem Auf- und Abwandeln war Frohn schon mehrmals bis an die kleine Treppe am Ende des Ganges gekommen. Nachdenklich setzte er sich endlich auf das niedrige Holzgeländer dieser Treppe, das ihm einen bequemen Ruhepunkt darbot, legte die Hellebarde an seine Achsel und verschlang die Arme über der Brust. So hatte er eine Zeitlang gesessen – die Uhren schlugen eben drei Viertel auf elf – da hörte er unter sich Schritte. Sie kamen ziemlich sacht aus der Tiefe, die Treppe herauf … es waren offenbar zwei Personen, die emporstiegen und dabei leise mit einander sprachen.

„Er kann’s mir glauben!“ hörte er endlich eine weibliche Stimme sagen, als die sich Nähernden in seinen Gehörkreis kamen.

„Seit zehn Uhr steht ein Arcier-Posten vor der Thüre,“ antwortete eine tiefere männliche Stimme.

„Als ob man sich darauf verlassen könnte!“ antwortete die erstere. „Ich habe den weißen Mantel aus der Thüre zum Burggärtl unten kommen sehen, so wahr ich ein Paar gesunde Augen im Kopf habe.“

„Dann,“ sagte die andere Stimme, und zugleich hielten die Schritte im Steigen inne, „dann ist nichts Anderes zu thun, als es muß Einer von uns Beiden zu ihm hineingehen und mit eigenen Augen schauen, ob er zu Haus ist oder nicht. Die Kaiserin will Gewißheit haben, und wenn ich nichts Bestimmtes weiß, trau ich mich gar nicht, ihr wieder vor’s Gesicht zu kommen.“

Beide Redenden standen jetzt still, ein Stockwerk unter dem Standpunkte Frohns.

„Es wär’ freilich das Allerbeste … aber wie macht man’s?“ warf die weibliche Stimme ein. „Er hat streng verboten, nach zehn Uhr sein Zimmer zu betreten.“

„Einen Vorwand müßt’ man haben,“ lautete die Antwort, „einen Befehl von der Kaiserin – weiß die Frau von Lederer nichts, was man vorgeben könnte?“

„Ich meine schon,“ versetzte die Dame; „es soll morgen in der Früh ein Courier nach Parma abgehen, der römische König gibt da gewöhnlich Briefe an die Verwandten in Parma mit. Der Herr von Echtern könnte zu ihm hineingehen und sagen, er käme zu melden, daß der Courier schon in der Nacht abgehen solle.“

„Und daß ich um die Briefe bitte, wenn sie fertig seien; so läßt sich’s machen,“ antwortete der „Herr von Echtern“. „Aber dann muß ich zuerst in meine Uniform fahren, ich kann nicht so zu ihm hinein!“

„So geh’ der Herr von Echtern in sein Zimmer und fahr’ hurtig in seine Uniform,“ flüsterte die Stimme der Frau von Lederer; „ich erwart’ Ihn auf meiner Stuben und melde es dann der Kaiserin, wie’s steht!“

Im selben Augenblick begannen die Schritte wieder zu steigen, diesmal aber nur die der Dame; einen rascheren und schwereren Schritt hörte Frohn davon gehen und in dem Gange unter ihm verhallen.

Er selbst flog jetzt möglichst unhörbar von seinem Lauscherposten fort; als der Kopf der Frau von Lederer über der Treppe auftauchte, schritt der Arcier ruhig und gemessen vor seiner Thüre auf und ab.

Die kaiserliche Kammerfrau, als die vertrauteste der Vertrauten hatte Frohn sie öfter nennen hören, streifte in der breiten Poschenrobe und mit hoher steifgefältelter weißer Mütze an unsrer Schildwache vorüber. Sie warf einen forschenden Blick auf die dunkle Thüre, einen mißtrauisch spähenden auf den stattlichen Leibgardisten davor, dem der Letztere mit der Miene des unschuldigsten Gleichmuths begegnete, und verschwand um die Ecke des Ganges, in entgegengesetzter Richtung von der, wohin der weiße Mantel sich gewandt hatte.

Frohn lauschte mit hochklopfendem Herzen den verhallenden Schritten ihrer hohen Absatzschuhe, welche in immer weiterer Ferne verklangen.

„Hexe!“ rief er dann aus … „und dies arme junge Königsblut, das man beaufsichtigt wie einen Schüler! Hier gilt es Geistesgegenwart, oder wir sind alle Beide verloren, die Majestät wie die Schildwache!“

Mit diesen Worten lehnte er entschlossen seine Hellebarde an die Wand, ergriff das Schloß der Thüre und drückte sie auf. Er trat in einen schmalen Gang, und erblickte sich gegenüber eine zweite Thüre, die offen stand; in dem Raume dahinter einen Tisch und einen Leuchter mit brennender Kerze darauf. Beim Lichte derselben konnte er rasch weiter schreiten; als er in das erhellte Gemach kam, sah er, daß es eine Art von Garderobekammer oder etwas Aehnliches war; große dunkle Schränke standen rings an den Wänden umher. In der Ecke rechts zeigte sich ein kurzer dunkler Gang, Frohn vertiefte sich sofort darin, bis er an eine Tapetenthüre kam; diese wich seinem leisen Druck auf das Schloß, ohne Geräusch zu machen; vorsichtig spähend blickte er hindurch und sah nun, daß er auf der Schwelle eines Alkovens stand, in welchem, ihm zur Linken, sich ein Bett mit hohen grünseidenen Vorhängen und einem Himmel, der von einer Kaiserkrone überragt wurde, befand; aus dem Alkoven aber führte eine breite, aus schweren seidenen Draperien bestehende Portière in ein großes davor liegendes Zimmer. Das Erste, was unser Arcier in diesem letztem Raume gewahrte, war ein breiter, der Portière gegenüberstehender Schreibtisch, bedeckt mit Büchern und Papieren, und beleuchtet von zwei silbernen Armleuchtern, auf deren jedem zwei Wachskerzen brannten.

Frohn zog die Tapetenthüre hinter sich zu und trat sacht unter die Portière. Er sah, daß er sich in dem „Innersten der Gemächer“ des römischen Königs befand, und dies Innerste deutete auf einen Bewohner, der gewohnt war, sich geistiger Thätigkeit hinzugeben. Rechts und links zeigten sich Glasschränke mit Büchern der verschiedensten Formate; von Consolen herab blickten die Gypsbüsten alter Dichter und Philosophen; zwischen den Schränken waren Landkarten aufgehängt; an einer andern Stelle erhob sich über einem Schranke ein complicirtes und auf den ersten Blick nicht zu enträtselndes Etwas, das einem physikalischen Instrument oder dem Modelle einer mechanischen Erfindung ähnlich sah. Frohn gönnte sich die Zeit einer Untersuchung nicht; er trat an den Schreibtisch, warf einen Blick darauf und sah einen versiegelten Brief mit der Adresse:

          A sua Altezza,
     L’Archiduca Principe hereditario
               di Parma.

Dann recognoscirte er schnell den Raum, um sich zu vergewissern, wo er am besten die Rolle, die er spielen wollte, ausführen könne. Der Alkoven, der nur sehr unvollständig durch die Wachslichter auf dem Schreibtisch des Wohnzimmers mit erhellt wurde, war offenbar der zweckmäßigste Schauplatz dazu. Er zog sich darin zurück.


(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_580.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)