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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

belauschte. Wie manche Mutterthräne ist seinetwillen geflossen, wie mancher Seufzer seinetwillen in den eisigen Kerkerwänden des Castells verhallt, wie manches Herz gebrochen, wie manche Unschuld durch ihn selbst oder seine Helfershelfer gemordet!

Er war im ganzen Königreiche bekannt, weil er oft Streifzüge in die Provinz unternahm, doch hatten die Kasseler am meisten von ihm zu leiden und fürchteten ihn auch wie eine Schlange. Er ging stets nach der neuesten Mode gekleidet, hatte ein einnehmendes Wesen und wurde dadurch solchen Personen, die ihn noch nicht kannten, nur um so gefährlicher. Er verstand es vortrefflich, die Rolle eines ehrlichen Mannes zu spielen, und gebrauchte in der Regel den Kunstgriff, auf die westphälische Regierung und Polizei zu schimpfen, um seine Opfer zu ähnlichen Aeußerungen zu verleiten. Zu der Stelle eines Polizei-Inspectors hatte ihm Johannes von Müller verholfen, man weiß nicht, aus welchem Grunde. Zweimal ward Würtz wegen Uebertretung seiner Amtsgewalt und wegen verschiedener Verbrechen seines Amtes entsetzt; das erste Mal fand er, wiederum durch Johannes von Müller’s Fürsprache, in Braunschweig bei der Polizei ein Unterkommen. Als er aber daselbst eine Spielbank aufgehoben und das vorgefundene Geld für sich behalten hatte, setzte man ihn zum zweiten Male ab. Er war aber ein zu guter Spion, als daß dieses Talent von Bongars unbenutzt gelassen werden konnte. Dieser verschaffte ihm denn die Stelle eines Polizeicommissars in Kassel, wo er mit Savagner, dem Generalsecretair der hohen Polizei, sowie auch mit dem Polizeiinspector Darlin einen vertrauten Freundschaftsbund schloß, dessen Aufgabe es zu sein schien, so viele Menschen, wie irgend möglich, ihres Vermögens, ihres Glücks und ihrer Freiheit zu berauben. Nach der Flucht seines königlichen Herrn ist er verschollen.

Es war Alles darauf berechnet, das Volk zu demoralisiren. An dem Thorwege der hohen Polizei war eine Oeffnung, eine Art Briefkasten angebracht, wo in der Nachtzeit verrätherische Anzeigen von solchen Personen hineingelegt wurden, die sich noch scheuten, bei Tage als Ankläger ihrer Mitbürger aufzutreten. Herrschaften mußten sogar den Verrath ihrer Dienstboten fürchten, die mehr oder weniger im Solde der geheimen Polizei standen. Treue und Glauben war verschwunden in der Residenzstadt Jerome’s; Mißtrauen und Verrath waren an ihre Stelle getreten.

Die Todten reiten schnell! Es ist auch, als ob die hohe Polizei eine Ahnung von ihrer kurzen Herrschaft in Westphalen gehabt habe, sonst hätte sie unmöglich so rasend und toll wirthschaften, unmöglich alle Mittel und Wege mit einem Male erschöpfen können, das Volk an den Bettelstab zu bringen. Waren keine „Verbrechen“ aufzufinden, so mußten dieselben geschaffen werden. Von diesem Grundsatze ging man aus. „Man muß Verbrechen erschaffen,“ rief Bercagny, der Generaldirector der Polizei, seinen Leuten donnernd entgegen, als sie ihm eines Tages die Polizeistrafenberechnung mit nur unbedeutenden Einnahmen einreichten. Diese Worte fanden natürlich keine tauben Ohren, die Schergen merkten sich dieselben, sowie das Publikum sich den Wahlspruch dieses Mannes gemerkt hatte: „der Mensch denkt, die Polizei lenkt!“

Auffallend ist es und zeugt von dem Mißtrauen, welches der Kaiser Napoleon gegen seinen unwürdigen Bruder hegte, daß die Pariser Polizei mit der westphälischen in genauester Verbindung stand. Von Paris aus wurden mehrere Personen besoldet, die von allen Vorkommnissen am Kasseler Hofe Bericht erstatten mußten. – Die Zeiten dieser Schmachherrschaft liegen nun bereits ein halbes Jahrhundert hinter uns, die Wunden, die sie uns geschlagen, sind vernarbt; doch, wie es bei alten Kriegern zu geschehen pflegt, fühlen wir sie von Neuem, wenn ein Sturm am politischen Himmel im Anzuge ist. Und es ist gut, daß die Erinnerung an jenes Siechthum in uns von Zeit zu Zeit auf’s Neue geweckt wird, damit wir Vorkehrungen treffen, einem ähnlichen oder größern Unglücke auszuweichen.

W. A.


Der Prairiebrand.
Schilderungen aus dem westlichen Nordamerika.
Von Balduin Möllhausen.

Wenn im Spätsommer das Gras bleicht und der rauhe Westwind über die endlosen Fluren Missouri’s fegt, dann hängt es in den angrenzenden östlichen Staaten wie ein leichter grauer Flor vor dem wolkenlosen Himmel, und wie in einen duftigen Schleier verhüllt erscheint die ihres blendenden Glanzes beraubte Sonne.

Höhenrauch nennen die Leute diese sich fast täglich wiederholende Erscheinung, und schreiben dieselbe im Allgemeinen den Prairiebränden zu, welche namentlich im Herbst über weite dichtbegraste Flächen hineilen. Gleichgültig schaut der Stadt- und Landbewohner zu dem Höhenrauch empor, spricht auch wohl von dem anhaltend guten Wetter, auf welches derselbe hindeuten soll; der Scenen aber, von welchen der westliche Wind und der Rauch der Höhen erzählen könnten, und die in ihren Eindrücken auf das Gemüth zugleich furchtbar und erhaben, schreckenerregend und bezaubernd sind, gedenkt nur derjenige, welcher das entfesselte Element in seiner ganzen gewaltigen Pracht kennen lernte und, von den wilden Flammen verfolgt, den entsetzlichen Wettlauf um’s Leben wagte.

Ich befand mich auf der Jagd mit meinen beiden indianischen Gefährten, Hug-ha und Scha-gre-ga-ge, zwei jungen Omaha-Burschen, welche so treue Herzen unter ihrer kupferfarbigen Haut bargen, wie nur je in der Brust eines weißen Mannes schlugen. Wir waren gut beritten, das herrlichste Wetter begünstigte uns, Wild war im Ueberfluß vorhanden, und so fehlte denn nichts, was unsern Ausflug zu einem der angenehmsten zu machen versprach. Ungefähr die Mitte des nördlichen Winkels zwischen dem Missouri und dem Nebrasca haltend, zogen wir in nordwestlicher Richtung dahin; das Dorf der Omahas blieb weit hinter uns zurück, und schon am zweiten Tage gelangten wir so weit, daß, wie auf dem ewigen Ocean, der sonnige Himmel gleichsam wie eine unermeßliche Glasglocke auf der ebenen Fläche ruhte. Kleine Flüsse und Bäche, an den spärlichen Baumgruppen auf ihren Ufern weithin erkennbar, schlängelten sich anmuthig durch die Niederungen, und diesen nachfolgend, fanden wir vielfach Gelegenheit, uns reiche Beute zu sichern. Bald war es ein Hirsch, bald ein Truthahn oder Waschbär, was wir erlegten, und schon am vierten Tage unserer Reise hatten wir die Pferde so mit geräucherten und gedörrten Fleischstreifen, sowie mit Fellen beladen, daß wir dieselben am Zügel führten und am folgenden Tage den Rückweg anzutreten beschlossen.

Es war um die Zeit, in welcher die indianischen Jäger beginnen, Feuer an die Prairien zu legen, um dadurch noch vor Einbruch des Winters frisches Gras zu erzielen. Einzelne Rauchwolken hatten auch in der That schon seit mehreren Tagen vor dem südwestlichen Himmel gehangen, da dieselben aber noch sehr ferne waren, und der Wind mit einer gewissen Beständigkeit die nördliche Richtung beibehielt, so hatten wir keinen Grund zur Besorgniß oder übermäßigen Vorsicht, und nach gewohnter Weise hielten wir einige Stunden Mittagsrast. Wir befanden uns an dem westlichen Rande einer breiten Niederung, welche ein Bach reich bewässerte. Hohes saftiges Gras gewährte den Pferden gute Weide, uns selbst einigen Schutz gegen die noch immer sengenden Strahlen der Sonne, und nachdem wir abgesattelt hatten, streckten wir uns daher hin und verfielen bald in tiefen Schlaf. Zwei Stunden etwa waren in ungestörter Ruhe verstrichen, als uns plötzlich das heftige Schnauben der Pferde weckte; wir sprangen empor und erblickten nicht wenig überrascht schwarze Rauchwolken, welche mit rasender Eile in geringer Höhe über uns hinzogen. Der Wind war herum gesprungen, und geschützt von dem hohen schilfähnlichen Grase, wo wir gelegen, hatte weder der verstärkte Luftzug, noch der Brandgeruch bis zu uns dringen können, was jedenfalls wenigstens die beiden Omahas ermuntert haben würde[WS 1].

Auf den ersten Blick erkannten wir die Gefahr, in welcher wir schwebten, denn es entging uns nicht, daß der Brand uns in kurzer Zeit erreichen mußte, wenn wir nicht durch schleunige Flucht oder durch Anzünden und Verbrennen des Grases in der Nähe

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: wurde
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_571.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)