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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

aus und leistete ihm als Soldat, Adjutant und Späher die trefflichsten Dienste.

Auf der schönen und geräumigen Farm eines Grafen Saint-Simon gebar ihm seine theure Anita einen Sohn, den er nicht nach einem Heiligen, sondern nach einem Märtyrer seines Heimathlandes, Menotti, benannte. Am 14. September 1840 erblickte er das Licht der Welt, und es war in der That ein wahres Wunder, daß nach den vielen Entbehrungen und Gefahren, welche die Mutter erduldet hatte, diese Geburt glücklich ausfiel. Wir ergänzen hier aus einem spätern Capitel in Garibaldi’s Denkwürdigkeiten das obige flüchtige Bild Anita’s, und lassen den Gatten wieder selbst von ihr erzählen.

„In dem Gefecht von Coritibani wurde trotz des Heldenmuthes von Texeira unsere Cavallerie zersprengt, und ich selbst mit meinen dreiundsechzig Fußsoldaten von mehr als 500 Mann der feindlichen Reiterei umzingelt. Anita erlebte an diesem Tage die schrecklichsten Wechselfälle des Krieges. Da sie sich nur ungern der Rolle einer einfachen Zuschauerin des Kampfes unterwarf, so betrieb sie jetzt die Ankunft der Munition, denn sie fürchtete, es möchten den Streitenden die Patronen ausgehen. Das Feuer, das wir zu unterhalten hatten, ließ in der That voraussetzen, daß die Munition, wenn sie nicht erneuert würde, sich bald erschöpfen möchte. Anita näherte sich daher in dieser Absicht dem Kriegsschauplatze, als ein Haufen von etlichen zwanzig feindlichen Reitern, welche einige Flüchtige von uns verfolgten, über unsere Trainsoldaten herfielen. Als eine vortreffliche Reiterin, ein herrliches Thier reitend, konnte Anita ihnen leicht entfliehen; allein in der Brust dieses Weibes schlug das Herz eines Helden. Statt zu entweichen, feuerte sie unsere Soldaten an, sich zu vertheidigen, und fand sich plötzlich von den Kaiserlichen umringt. Ein Mann hätte sich ergeben, sie aber setzte dem Pferde die Sporen in die Seite und mit einem kräftigen Sprunge eilte sie mitten durch die Feinde hindurch. Eine Kugel schlug durch ihren Hut; sie versengte ihre Haare, ohne jedoch die Hirnschale zu berühren. Vielleicht wäre sie entkommen, wenn nicht ihr Pferd von einer zweiten Kugel tödtlich getroffen zusammengestürzt wäre; jetzt mußte sie sich ergeben und wurde vor den feindlichen Oberst gebracht.

„Unvergleichlich an Muth in der Gefahr, wurde Anita, wenn es möglich ist, noch größer im Unglück; vor diesem Generalstab, der zwar über ihren Muth erstaunt war, aber nicht Takt genug besaß, vor einem Weibe den Stolz des Sieges zu verbergen, wies sie mit strengem und geringschätzigem Trotz einige Worte zurück, in denen sie eine Verachtung der besiegten Republikaner herauszufühlen glaubte, und kämpfte eben so kräftig mit dem Munde, wie sie es mit den Waffen gethan. Anita hielt mich für todt. In diesem Glauben erbat und erhielt sie die Erlaubniß, unter den Leichen, welche das Schlachtfeld bedeckten, nach meinem Leichnam zu suchen. Lange irrte sie allein und einem Schatten gleich über die blutgetränkte Ebene und suchte nach dem, den sie aufzufinden fürchtete; sie wendete die Todten um, die mit dem Gesicht auf die Erde gefallen waren und ihr nach Kleidung oder Figur einige Aehnlichkeit mit mir zu besitzen schienen. Ihr Nachforschen war vergeblich; ich war’s vielmehr, dem später das Schicksal den Schmerz aufbewahrt hatte, mit meinen Thränen ihre starren Wangen zu netzen, und als die Todesangst mich zusammenpreßte, war mir nicht gestattet, eine Hand voll Erde auf sie zu streuen oder eine Blume auf das Grab der Mutter meiner Kinder zu werfen.

„Als Anita einigermaßen sich versichert hatte, daß ich noch lebte, dachte sie nur noch an Eins, an ihre Flucht. Bald bot sich ihr eine Gelegenheit dazu dar. Die Trunkenheit des siegreichen Feindes nutzend, ging sie in ein Haus, das in der Nähe desjenigen lag, in dem sie als Gefangene bewacht wurde, und wo eine Frau, ohne sie zu kennen, sie aufnahm und beschützte. Mein Mantel, den ich weggeworfen hatte, um freier in meinen Bewegungen zu sein, war in die Gewalt des Feindes gekommen; sie vertauschte ihn mit dem ihrigen, der schöner und von größerem Werthe war. Die Nacht brach an; Anita stürzte in den Wald und verschwand darin.

„Es gehörte gleichzeitig das Herz eines Löwen und die Schnelligkeit einer Gazelle dazu, um solches zu wagen. Nur der, welcher die unermeßlichen, die Sierra de Esquinasso bedeckenden Wälder gesehen hat mit ihren hundertjährigen Fichten, die den Himmel zu stützen bestimmt scheinen und die Säulen dieses prachtvollen Tempels der Natur sind, mit dem gigantischen Schilfrohr, welches die Zwischenräume ausfüllt und von wilden Thieren und todbringendem Gewürm wimmelt, kann sich einen Gedanken von den Gefahren machen, die sie zu bestehen, von den Schwierigkeiten, die sie zu überwinden hatte. Glücklicherweise kannte die Tochter der amerikanischen Prairien nicht, was Furcht ist. Von Coritibani bis Lages hatte sie zwanzig Miglien in unwegsamem Gehölz zurückzulegen. Allein, ohne Lebensmittel, wie sollte sie dahin gelangen? Gott weiß es.

„Die wenigen Einwohner dieses Theils der Provinz, die sie antreffen konnte, waren den Republikanern feindlich gesinnt, und sobald sie nur unsere Niederlage erfuhren, so griffen sie zu den Waffen und legten sich auf verschiedenen Punkten, namentlich in den Pecadas, in Hinterhalt. In den Cabecas, d. h. in den fast unwegsamen Theilen dieser Fußsteige, wurde ein fürchterliches Blutbad unter unseren unglücklichen Kampfgenossen angerichtet; aber sei es nun ihr guter Stern, sei es die bewunderungswürdige Entschlossenheit, mit welcher sie diese gefährlichen Wege durcheilte, ihr bloßer Anblick machte die Mörder fliehen, welche, wie sie sagten, von einem überirdischen Wesen verfolgt zu werden glaubten.

„Es war in der That etwas Wunderbares, dieses tapfere Weib auf einem feurigen Renner reiten zu sehen, das sie in einem Hause, wo man sie gastfreundlich aufgenommen, erbeten und erhalten hatte, und dies während einer Sturmnacht, im Galopp fortstürmend über Felsen unter dem Leuchten der Blitze und dem Rollen des Donners. Denn so war es in jener Nacht des Unglücks. Vier Reiter, die an der Fuhrt des Flusses Cauvas aufgestellt waren, entflohen bei dem Anblick dieser Erscheinung und verbargen sich hinter dem Buschwerk des Ufers. Inzwischen kam Anita an das Ufer des Flusses. Dieser, vom Regen angeschwollen und durch die Bergwasser um das Doppelte verstärkt, war zu einem Strom geworden, und trotzdem setzte sie über denselben, nicht, wie vor einigen Tagen, in einer schönen Barke, sondern hindurchschwimmend, angeklammert an die Mähne ihres Rosses, das sie mit ihrer Stimme anfeuerte. Die Wellen stürzten sich brausend, nicht etwa eine kurze Strecke, sondern in einer Ausdehnung von fünfhundert Schritten dahin. Und doch erreichte sie gesund und glücklich das andere Ufer. Eine Tasse Kaffee, die sie eiligst in Lages genoß, war Alles, was die unerschrockene Reisende innerhalb eines Zeitraumes von vier Tagen zu sich nahm, bis sie endlich zu Vaccaria wieder zum Corps des Obersten Aranha stieß.

„Hier trafen wir, Anita und ich, nach einer achttägigen Trennung wieder zusammen, nachdem wir uns gegenseitig für todt gehalten hatten. Man kann denken, welche Freude wir empfanden! Aber eine noch größere Freude erwartete mich an dem Tage, wo Anita auf der Halbinsel, welche die Lagune de los Patos schließt, in einem Rancho, wo sie die edelmüthigste Gastfreundschaft genossen, unsern zärtlich geliebten Menotti zur Welt brachte. Das Kind wurde mit einem Wundmal geboren, das von einem Sturz herrührte, welchen seine Mutter vom Pferde gethan hatte. Und hier wiederhole ich noch einmal meinen innigsten Dank gegen die trefflichen Leute, die uns so gastlich aufnahmen; eine ewige Dankbarkeit, sie mögen es glauben, bewahrt mein Herz für sie. In dem Lager, wo uns die nöthigsten Dinge fehlten und ich sicher nicht ein Taschentuch gefunden hätte, das ich der armen Wöchnerin zu geben vermochte, hätte sie die äußerste Probe nicht ausgehalten, in welcher das Weib so viel Kraft und so viel Aufmerksamkeiten bedarf.“




Das Mirakel des heiligen Januarius in Neapel.
Von Carl Binz.

Neapel ist dermalen der einzige Fleck auf der ganzen Erde, wo die unmittelbare Offenbarung des Herrn, wie sie uns die kirchlichen Bücher erzählen, noch fortdauert, der einzige Ort, wo das Christenthum noch besiegelt wird durch ein Zeichen von oben, die einzige Gelegenheit, wo der Unglaube und die Ketzerei durch ein argumentum ad oculos zurückgeworfen werden in die Tiefe ihres Nichts, und wo das römische Bekenntniß durch das wallende Blut eines seiner muthigsten Bekenner einen ewigen Triumph feiert

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