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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Königs von Preußen, Haft und Untersuchung zugedacht. Er entfernte sich noch rechtzeitig in die Schweiz.

Jordan wurde im Frühling von 1839 verhaftet, als die Demagogenuntersuchungen bereits geschlossen waren. Man hatte lange in der Stille Beweise gegen ihn gesammelt, die sich benutzen ließen, ihn für seine Thätigkeit als Marburger Professor und hessischer Abgeordneter zu bestrafen. Zum tiefsten Bedauern Hassenpflugs hatte sich nichts Rechtes zusammentragen lassen, bis endlich ein wegen Todtschlags verhafteter Verbrecher sich zu der Aussage bestimmte, daß Jordan um das Frankfurter Attentat gewußt habe. Mit dieser Handhabe operirte man weiter und erlangte zwei fernere Angaben. Die eine rührte von einem Studenten her, der in dem Ruf eines Spiones stand, die andere von einem unglücklichen Fabrikanten, dessen Geist in der langen Haft, die wegen Hochverraths über ihn verhängt worden war, gelitten hatte. Jordan wurde also verhaftet. Um die kläglichsten Verdachtsgründe zu entkräften, brauchte man bei dem alten Verfahren, und zumal in politischen Fällen, nicht Wochen, sondern Jahre. Am November stellte das Urtheil des höchsten Gerichts denn auch fest, daß Jordan unschuldig sei.

In welche Tiefe menschlichen Elends läßt uns der Selbstmord des Pfarrers Weidig blicken! Er war ein Mann, frei von jeder Selbstsucht, gegen Nothleidende ebenso freigebig, wie gegen sich selbst karg, ein treuer und redlicher Freund, ein musterhafter Gatte und Vater, zugleich aber in seiner politischen Ueberzeugung überspannt, fast fanatisch. Was ihm zur Last fiel, war Mitwisserschaft um den Frankfurter Aufstand und eine Propaganda für revolutionaire Ideen in seinem kleinen Kreise. Im Frühling von 1835 wurde er verhaftet, zwei Jahre später durchschnitt er sich im Gefängnisse die Adern. In der ganzen Zwischenzeit hatte man ihn durch jedes Mittel zum Geständniß zu bringen gesucht, durch Entziehung des Lichts, durch Ketten, durch Prügel. Er wurde nicht gebeugt, aber er verlor den Verstand. Diesem wehrlosen Verrückten stand, mit allen Mitteln der Gewalt ausgerüstet, ein anderer im Geiste Gestörter gegenüber, sein Untersuchungsrichter Georgi. Einzelne in die Oeffentlichkeit gedrungene Andeutungen lassen errathen, wie viel Entsetzliches Weidig von diesem Manne zu erdulden hatte. Als er nach zwei gräßlichen Jahren unterlag und sich die Adern öffnete, da erschien Georgi noch einmal und schloß sich bei dem Verblutenden ein. Erst drittehalb Stunden später führte man die Aerzte zu ihm, deren früheres Erscheinen ihn gerettet haben würde.

Dieser Fall ist der fürchterlichste, der in den Demagogenuntersuchungen vorgekommen ist. Ein Unrecht wurde fast gegen Jeden begangen, der der Behörde verdächtig geworden war. Hunderte, gegen die außer ihrer Theilnahme an der Burschenschaft nicht das Mindeste vorlag, wurden aus ihrer Thätigkeit herausgerissen und Jahre lang in der peinigenden Schwebe einer Untersuchung gehalten. Konnte man sie nicht mit einer Criminalstrafe belegen, so erklärte man sie doch, wie der Bundesbeschluß es vorschrieb, für jedes Amt unfähig, und sie waren um ihr Lebensglück gebracht. Daß die meisten Burschenschaften vom Frankfurter Attentat nichts erfahren, ja daß einige, z. B. die Jenenser Germania, sich aufgelöst hatten, weil sie von einer Revolution nichts wissen wollten, hinderte nicht, daß man ihre Mitglieder als Hochverräther betrachtete. Sie hatten zu einer Burschenschaft gehört – war das nicht genug? Sagen wir es offen heraus, was man in ihren Personen so ingrimmig verfolgte, war der deutsche Einheitsgedanke, und nirgends wüthete man gegen diesen Gedanken heftiger, als in demselben Preußen, das jeder Burschenschafter auch dann mit Liebe und Hoffnung betrachtete, wenn er das System seiner Wittgenstein und Kamptz verdammte.

Der juristische (?) Grundsatz, den man bei den Untersuchungen an die Spitze stellte, war folgender: Burschenschafter haben in Stuttgart eine Revolution beschlossen und an dem Frankfurter Attentat Theil genommen, mithin hatte die Burschenhaft von vorn herein einen revolutionairen Charakter. Eine so schlechte Logik das war, ebenso unwahr und falsch war die Behauptung. Erst nach den Bundesbeschlüssen von 1832, die jede gesetzliche Einwirkung abschnitten, war in Deutschland eine revolutionaire Partei entstanden und hatte einen Theil der Burschenschaft für sich gewonnen. Jene Auffassung war nicht blos bequem, da sie gestattete, eine ganze Reihe von Todesurtheilen wegen Hochverraths zu fällen, sondern auch für eine Partei, welche liberal und revolutionair für identisch hielt, ganz natürlich. In dem Bericht der Centralbehörde von 1839 begegnen wir ganz derselben Beurtheilung der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts, wie in den Vorträgen der Mainzer Commission. Wieder wird der Jugendbund als der Anfang der geheimen politischen Verbindungen dargestellt und ihm ein bedrohlicher Charakter beigelegt. Wieder werden diejenigen, welche die Ertheilung von landständischen Verfassungen forderten, statt ruhig den Zeitpunkt abzuwarten, den die Regierungen als den geeigneten betrachten würden, als Verschwörer bezeichnet. Sand’s That wird abermals benutzt, die Liberalen als Schreckensmänner zu schildern, ja der Bericht entblödet sich nicht, zu sagen, daß die leidenschaftlicheren unter ihnen „durch das geflossene Blut um so mehr erhitzt und gereizt worden seien.“ Auch die alten Märchen vom Männerbunde und von seinen Verbindungen mit dem Auslande werden wieder aufgewärmt. Jede Aeußerung von Unwillen über das herrschende Reactionssystem, jeder noch so schüchterne und unbedeutende Versuch, die Regierungen an ihre in der Bundesacte selbst übernommenen Verpflichtungen zu mahnen, wird im Bericht als Anzeichen einer Verschwörung gedeutet, und die Hochschulen sind die Stätten, wo das umherschleichende Gift sich ansammelt und die Burschenschaft zu seinem Gefäß macht.

Die Einwirkungen der Centralbehörde auf die Gerichte der Einzelstaaten hörten nicht auf. Nicht genug, daß von Frankfurt aus die Personen benannt wurden, die zu verhaften seien, schrieb man den Gerichten bestimmte Maßregeln vor, z. B. Confrontationen im Auslande und Verschärfungen der Haft, wenn ein Angeschuldigter leugnete. Das alte geheime Gerichtsverfahren strebte nach dem Ruhme der Unparteilichkeit und forderte von dem Richter, daß er zugleich Ankläger, Richter und Vertheidiger sei. Die Frankfurter Centralbehörde war ausschließlich Ankläger. Sie ignorirte die vielen hundert Geständnisse von Angeklagten, in denen die Burschenschaft in ihrem wahren Licht dargestellt wurde, aber sowie eine besonders gravirende Aussage gemacht wurde, lief sie, von der Centralbehörde rasch befördert, an alle Gerichte. Wie solche Aussagen, deren es sehr wenige gab, zu Stande kamen, davon könnten die Berliner Gefängnisse Geschichten erzählen. Ebenso machten von den gefällten Urtheilen nur die besonders strengen und harten von Frankfurt aus die Runde. Daß das Dresdener Oberappellationsgericht – unseres Wissens das einzige in einem größern Staat – die sächsischen Burschenschafter von Strafe freisprach, meldete die Centralbehörde den Gerichten nicht.

Auf die Verbindung der Studenten mit älteren Männern und mit dem Auslande wurde scharf inquirirt. So groß war der Eifer in dieser Beziehung, daß die Centralbehörde an Märchen, die ihr aufgebunden wurden, glaubte und sie durch Deutschland beförderte. Ein Doctor Br., der in Homburg in Haft war, hatte die Hälfte der dortigen Soldaten verführt und machte sich vor seiner Flucht den Spaß, dem Untersuchungsrichter von einem Zusammenhange der Burschenschaft mit Verschwörungen in Italien, Frankreich, Belgien, Polen und Rußland vorzufabeln. Daß die Gewährsmänner, die er nannte, lauter Flüchtlinge waren, hätte die Centralbehörde aufmerksam machen sollen. Dies war jedoch so wenig der Fall, daß man sich von seinen Aussagen die größten Aufschlüsse versprach und die Verhafteten mit langen Verhören über Verschwörungen im Auslande plagte, bei deren Entdeckung sie noch bloße Kinder gewesen waren.

Die Thätigkeit, welche die Centralbehörde entfaltete, mußte den vorliegenden Stoff rasch aufzehren. Mit den Burschenschaften und dem Frankfurter Attentat war sie eigentlich schon 1830 fertig, aber nun richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das Ausland. Den deutschen Flüchtlingen in der Schweiz und in Frankreich wurde eine Wichtigkeit beigelegt, die wie geflissentliche Uebertreibung aussieht. Sie hatten sich durch ihre Theilnahme am Savoyer Zuge vor den Augen der Welt lächerlich gemacht, und ihre Umtriebe waren Stürme in einem Glase Wasser. Mit diesen Unglücklichen beschäftigte sich die Centralbehörde unausgesetzt. Welchen Zweck sie dabei verfolgte, zeigte sich, als der badische Minister v. Blittersdorf den Gesandten v. Friedrich am 14. März 1836 instruirte, die Verwandlung der Centralbehörde in eine Bundescentralpolizei-Behörde zu beantragen. Der Gedanke kam von Metternich, und Baden wurde deshalb vorgeschoben, weil es zu den constitutionellen Staaten gehörte. Zum Glück stimmte Preußen trotz seiner sonstigen Gefügsamkeit nicht bei, so daß der Plan zu Wasser wurde. Von 1837 an erhoben sich im Bundestage gegen die Centralbehörde selbst Stimmen, und es kam zu mehreren mit

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