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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

beten!“ aufgetreten. Das Gemälde, von dem wir mit Genehmigung des Herrn Mengelberg eine Nachbildung geben, macht augenblicklich in einer von dem Künstler selbst gefertigten Copie die Rundreise durch die deutschen Ausstellungen und findet überall durch die Innigkeit und Naivetät seiner Auffassung, durch die edle und einfache Composition und durch sein klares Colorit allgemeinen Beifall. Es trägt so durch und durch den Stempel des deutschen Gemüths an sich, daß es schon deshalb in allen Kreisen unseres Vaterlandes sehr ansprechen muß.

Der Künstler versetzt uns in eine einfache ländliche Wohnstube. Eine junge Bauerfrau sitzt mit dem Strickstrumpf in der Hand an dem bereits halb abgedeckten Tische, an dem sie selbst, vielleicht mit ihrem Manne, den die Arbeit wieder in’s Feld gerufen, eben ihre Mahlzeit gehalten hat. Der etwa zweijährige Knabe, jedenfalls kurz vorher aus der Wiege genommen, steht halbangekleidet (sein Kittelchen hängt über der Stuhllehne) auf einem kleinen Stuhle, sein Peitschchen liegt auf dem Tische, und eben ist sein Spielcamerad, das Hündchen mit der Schnur um den Hals, ebenfalls auf den Stuhl gesprungen, den verlangenden Blick auf die Schüssel gerichtet. Das Kind hatte schon zugegriffen; denn an dem Löffel, den es zwischen den nun gefalteten Händchen hält, ist etwas vom Milchbrei hängen geblieben. Aber die Mutter hat dem weiteren Schnabeliren des Söhnleins, mit der Hand das Tellerchen bedeckend und mit der freundlichen Warnung „Erst beten!“ einstweilen ein Ziel gesetzt, und so schaut denn der kleine Blondhaarige mit den hellen glänzenden Augen halb schelmisch, halb fromm verschämt zur Mutter hin, um sein Gebetlein, vielleicht das zur Situation passende „Laß, o Jesu, bei dem Essen uns doch Deiner nicht vergessen“, zu lallen.

Ob und wie weit die Gedanken des Kindes bei dem Gebet sind, und ob die Süßigkeiten des zu erwartenden Milchbreis für diesen Augenblick nicht alle gottesfürchtigen Gefühle in den Hintergrund drängen – das mögen die Leser der Gartenlaube aus dem Gesichte des Kleinen entziffern, dessen Bausbacken einen sehr gesunden Appetit und einen durch Nichts gestörten Stoffwechsel andeuten. Je länger man das Bild anschaut, je mehr tritt die Innigkeit des Gefühls und die Wahrheit, mit der es gemalt, glänzend hervor.

Mengelberg’s (geb. 1817 in Düsseldorf) Kunstrichtung war bisher eine streng biblisch-religiöse. Seine Gemälde aus dem neuen Testament sind gläubig erdacht und tief empfunden, die Darstellung ist edel und würdig, und selbst die strengste Kritik ist darüber einig, daß seine Bilder erhebend auf die Seele des Beschauers wirken. Die bedeutendsten darunter sind: „Der Tod Mosis“ für den rhein.-westph. Kunstverein; „Judith“ für denselben; eine Wiederholung desselben für den König von Hannover; nach derselben ist eine Lithographie als Vereinsblatt des hannöv. Kunstvereins erschienen; „der Erzengel Michael den Satan stürzend“, großes Bild für die Apostelkirche in Köln; „Kaiser Heinrich IV.“, ganze Figur in Lebensgröße für den Römer in Frankfurt a. M.; „Lorelei“, im Besitze Sr. Majestät des Königs von Preußen; „Ecce homo“ für den kölnischen Kunstverein; „der verlorne Sohn“, großes Bild für den rhein.-westphäl. Kunstverein; „die Buße Petri“ für den kölnischen Kunstverein; „Ecce homo“ für den König von Preußen, befindet sich in der H. Geistkirche zu Frankfurt a. d. O. Die Skizze dazu war an den „Verein der Kunstfreunde im preußischen Staate“ (Berliner Kunstverein) verkauft. Der König gewann dieselbe bei der Verloosung und bestellte darauf das lebensgroße Bild. Ferner „Melanchthon“, gemalt als Geschenk für den alten Pfarr-Jubilar Heilmann in Crefeld auf Bestellung der Gemeinde. Lessing sollte es malen, da er jedoch keine Zeit hatte, so empfahl er Mengelberg dazu. Dann „Christus in Gethsemane“, kleines Bild für den Kunstverein in Christiania, später als Folge gewonnener Concurrenz in anderer Weise lebensgroß ausgeführt für die Kirche zu Hirschberg in Schlesien. Sein neuestes Bild ist unser heutiges: „Erst beten!“

Mit einem schönen Talente als Künstler verbindet Mengelberg eine tüchtige wissenschaftliche Bildung und ein ganz besonderes Talent zur Heranbildung von Schülern. Sein richtiges schnelles Urtheil, die Gabe, dasselbe wohl und überzeugend zu begründen und die feinsten Nüancirungen der Gedanken und Empfindungen in Worten wiederzugeben, sowie das Talent, sich in alle möglichen Charaktere und ihre Bildungsstufen hineinzufinden, um daran anknüpfend seine Wirksamkeit als Lehrer zu fördern, machen ihn dazu vorzüglich geeignet. Mengelberg übt durch alle diese Eigenschaften einen bedeutenden anregenden Einfluß auf einen großen Theil der Düsseldorfer Künstlerschaft.

Für Freunde eines guten Zimmerschmuckes haben wir schließlich noch zu bemerken, daß unser heutiges Genrebild „Erst beten!“ auch in einer vortrefflichen Lithographie (à 1½ Thaler) existirt, die durch die Gestewitz’sche Kunsthandlung in Düsseldorf zu beziehen ist.




Die deutschen Demagogen-Untersuchungen.[1]
II.

Mitten unter allen Verfolgungen der zwanziger Jahre hatten sich die Burschenschaften auf vielen Hochschulen erhalten, oder es waren neue entstanden. Man konnte sie jetzt insofern geheime Verbindungen nennen, als sie sich aus sehr begreiflichen Gründen vor den Behörden versteckten. In der Studentenwelt waren ihre Mitglieder übrigens alle bekannt, und jeder Pedell, jeder Professor wußte, wer die Leute waren, die mit deutschen Röcken und mit schwarzen Mützen, an deren unterem Rande eine rothe Litze schüchtern hervorblickte, in den Straßen umhergingen. Jedes Kind konnte ihre Versammlungsorte nachweisen, der Burgkeller in Jena hatte als Burschenschaftskneipe sogar einen Ruf in ganz Deutschland. In den Verfassungen der Burschenschaften war eine Aenderung eingetreten, die man bei den spätern Untersuchungen sehr hoch angeschlagen hat. Es gab jetzt eine engere und eine weitere Verbindung. Daraus folgerte man nach dem Inquisitionsprincip, daß die engere Verbindung die fertigen, die weitere Verbindung die angehenden Demagogen enthalten habe. Dieser Schluß war indessen ein grundfalscher. Mit der engeren und weiteren Verbindung ahmte man den Unterschied nach, den die Landsmannschaften aller Hochschulen zwischen „Corpsburschen“ und „Renoncen“ machten.

Eine Spaltung, die nach der Mitte der zwanziger Jahre in der Burschenschaft entstanden war, müssen wir ebenfalls erwähnen, da sie bei der zweiten großen Demagogenhetze eine gewaltige Rolle gespielt hat. Die Burschenschafter theilten sich jetzt in Germanen und Arminen, und beide Parteien haßten sich mit einer Bitterkeit, die so weit ging, daß die Germanen, der Zahl nach der schwächste, aber der geistig regsamste und zugleich schlagfertigste Theil, regelmäßig mit den Landsmannschaften gegen die Arminen zusammenhielten. Jene Spaltung war in Erlangen auf eine seltsame Weise entstanden. Die Erlanger Studenten sind von jeher in der Theologie und im Biertrinken stark gewesen. Nun hatte einer von ihnen gefunden, daß einer der großen oder der kleinen Propheten (Jesaias, wenn mein Gedächtniß mich nicht täuscht) die Burschenschaft vorher verkündigt habe. Er eilte mit der frohen Kunde auf die Verbindungskneipe, aber dort gab es Gegner der Auslegung, aus deren Mitte ein sehr starkes Wort fiel. Die Gläubigen erklärten die Ungläubigen in Verruf, und es erfolgte eine Trennung in zwei Verbindungen, die sich nicht aus religiösen, wohl aber aus studentischen Gründen auf verschiedene Hochschulen übertrug. Die Arminen repräsentirten die alte Burschenschaft namentlich in dem Punkte, daß sie außer sich, da die Burschenschaft die Allgemeinheit der Studentenschaft sei, keine Verbindung anerkannten. Die Germanen ließen diese Anmaßung fallen, um mit den Landsmannschaften auf einem geregelten und anständigen Fuße verkehren zu können. Jeder Theil wußte noch andere Unterschiede hervorzuheben. Der Germane gab seinem feindlichen Bruder anzuhören, daß der Armine ein Mucker und Kopfhänger sei, der Armine antwortete mit dem Vorwurfe, daß der Germane drei Götter neben einander habe: Mars, Bacchus und Venus.

Als die Julirevolution im deutschen Volke und mithin auch auf den Hochschulen eine große Gährung hervorrief, bildete sich in den Burschenschaften eine Art von politischem Leben aus. Man

  1. Siehe Nr. 20.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_518.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)