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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Säulen ruht der Eingangs-Balken, durch welchen das in krystallener Helligkeit fontainensprudelnde Eiswasser, die Blumen, die Früchte, die bethauten Bäume schon wonnig herauskühlen auf die heiße Straße. Und wie leicht und paradiesisch unschuldig – die braunen Kinder laufen massenweise, bis auf ein Paar Badehosen, ganz nackt umher, und auch das gewöhnliche erwachsene Volk trägt nach unsern Begriffen unverschämt wenig auf den Gliedern – wie leicht und locker lebt man hier! Ich wollte, ich könnte Dir einige Genrebilder aus den beiden Hauptstraßen schicken, aus dem Cassaro und der Maqueda.

Cassaro oder Via Toledo und die Via Maqueda – diese beiden Hauptstraßen mit seltsamen Balcons – durchschneiden die Stadt rechtwinkelig und in vier ziemlich gleiche Theile. Die meisten andern Straßen sind freilich eng, krumm, winkelig, voller Wäsche und Handwerker, die alle um die Wette auf der Straße arbeiten, und dabei lachen und scherzen, als thäten sie Alles blos des Zeitvertreibes wegen. Welche Füllhörner des Glücks und Segens gießen hier Klima, Luft und Sonne, Berge und Thäler, Land und Wasser auf diese Sterblichen – und wie zerrissen, zerschossen, verrenkt, verfallen, verwittwet und verwaist sind diese Häuser und Straßen und 180,000 Bewohner! Wir haben deren Zahl um 20,000 vermehrt, und fast täglich kommen neue Schaaren zu Wasser und zu Lande an, um Garibaldi zu dienen, ihn zu vergöttern, unter seinen Fahnen Italiens Freiheit zu erkämpfen. Unzählige dieser Freiwilligen sind, wie es scheint, kaum 15–16 Jahre alt, allerdings hier ein viel reiferes Alter, als im Norden, aber doch noch kein Mannes-, kaum ein Jünglingsalter. Wir sind in und um Palermo ihrer 20,000; in den Provinzen werden eben so viel – und täglich mehr – Freiwillige einexercirt. Ich weiß nicht, wie Viele von uns auf dem Recognoscirungswege nach Messina sind; überhaupt erfahren wir wenig von den eigentlichen Plänen unseres Führers. Nur als Unzufriedenheit über Verzögerungen in Benutzung unseres Sieges, über den täglich aufgeschobenen Marsch gegen Messina laut ward, ließ er bekannt machen, daß er nichts ohne Macht auf dem Wasser thun könne, und zehn große Dampfer aus Amerika erwarte, andere in England vorbereitet würden.

Nach den Aufregungen und Gefahren der ersten Tage haben wir immer ziemlich gute Zeit gehabt. Doch ist diese hoffentlich bald vorüber: es heißt, daß wir gegen Messina marschiren werden, d. h. über Felsen und Schluchten, die uns das Leben wohl sauer genug machen. Mehrere unserer Truppen sind gegen Catania vorgerückt, ohne welches gar kein strategischer Landweg nach Messina möglich ist. Die zehn Dampfer, welche Garibaldi in Amerika kaufen läßt, können vor August nicht hier sein. Bis jetzt haben wir acht Kriegsdampfer für Operationen von der Seeseite. – Die Sicilianer sind und werden keine Soldaten. Unser Kern besteht noch aus den Mannschaften, die mit ihm von Peschiera kamen, sahen, siegten. Unsere Uniformirung ist sehr einfach und zweckmäßig. Wenn ich Dir sage, wie ich aussehe, so hast Du ein Bild von Allen. So denke Dir mich in einer kurzen grauen Kattunjacke mit blauen und weißen Streifen, kurzen grünen Hosen und Leder-Gamaschen vom Knie an und derb gesohlten Schuhen; auf dem Kopfe sitzt ein leicht aufgedrückter, an einer Seite aufgekappter Hut mit wehenden Federn. Einige von uns haben Rifles, die meisten aber noch Musketen, die aber in den Händen echter Garibaldianer viel wirksamer wurden, als die besten Schußwaffen. Er verlangt von jedem seiner Krieger, daß er dem Feinde immer so bald als möglich mit dem Bajonnet zu Leibe gehe, in dessen Gebrauch denn auch Alle täglich tüchtig geübt werden. Von Gepäck ist bei uns keine Rede, keine Spur von Lederzeug, Tornister etc.; nichts als ein Leinwandsäckchen an der Seite mit Patronen und einem Stück Maccaroni-Teig. Jeder ist der freie Mann, stets fähig und fertig, zu schießen, und besonders zu stechen und mit dem Bajonnete einen 15–20 Fuß weiten Kreis von Lebensgefahr um sich herum zu schlagen.

Für den jungen Adel Italiens hat er desto mehr Staat machende freiwillige Husaren aufgeputzt, die nicht kämpfen, sondern blos im Stabe dienen und recognosciren. Wenn sie reiten, fliegt die rothe Schnuren-Jacke hinter ihnen her. Ihre in der Regel nicht sehr muskulösen Lenden und Schenkel stecken in grauen, schwarzgestreiften Beinkleidern. Der Helm leuchtet, unter ihm blitzen schöne, schwarze, feurige Augen.

Freilich nur Wenige können sich dieser oder auch nur unserer Uniformirung rühmen. Die Massen von Freiwilligen, die vom Meere her und aus den Bergen herbeiströmen, können vorläufig gar nicht eingekleidet werden, und ein Gewehr ist Alles, was ihnen bisher verabreicht werden konnte, wenn sie nicht schon mit einem solchen kamen. Aber der Vorrath von Musketen ist erschöpft. In England wurden für gutes, baares Geld neue bestellt, ebenso Dampfschiffe, aber in diesem Falle scheinen die Engländer unser Geld nicht haben zu wollen. Hat ihnen Palmerston besseres gegeben? Unsere ärgsten Feinde sind nicht in Neapel, sondern in London und Paris, von wo aus man die neue neapolitanische „Constitution“ gegeben hat, um den jungen „konstitutionellen König“ und seine „Engelsinstrumente“ zu schützen. Gib Acht!




Bürgersleute.
Nr. 2.
Bürgermeister Bartholomäus Blume, der letzte Held Marienburgs.
[1]

Am 8. August d. J. sind vierhundert Jahre vergangen, seitdem ein edler Mann, den der berühmte Geschichtsschreiber Johannes Vogt den letzten Helden Marienburgs nennt, auf dem Blutgerüste sein Leben endete. Dieser Mann hieß Bartholomäus Blume und war Bürgermeister von Marienburg.

Bekanntlich war der deutsche Ritterorden, der im Jahr 1191 bei der Belagerung der Stadt St. Jean d’Acre zum Schutze deutscher Pilger im heiligen Lande gegründet wurde, im Jahre 1230 nach Preußen gekommen, um hier mit dem Schwert in der Hand die heidnischen Altäre zu zertrümmern und das Kreuz des Christenthums aufzupflanzen. Die Blüthe des deutschen Adels befand sich damals unter den Rittern, und darum gelang es ihnen mit Hülfe deutscher Kreuzfahrer die heidnischen Bewohner des Landes, freilich erst nach einem 53jährigen, blutigen Kampfe, zu unterjochen. Unter der Leitung kräftiger Meister blühte nun Preußen rasch empor, so daß der Wohlstand der Bewohner eine fast unglaubliche Höhe erreichte. Auch Kunst und Wissenschaft blühten damals frischer und freier am Weichselstrome, als in dem von Raubrittern und Mönchen niedergedrückten deutschen Bruderlande. Solcher Wohlstand, solche Macht und Größe erregte aber in dem Nachbarstaate, dem damals umfangreichen Polen, nicht geringe Eifersucht. Gelegenheit zu blutigen Händeln zwischen den Rittern und Polen fanden sich daher oft; jedoch gingen die Ritter stets siegreich aus diesen Kämpfen hervor. Mit der Zeit aber erlahmte die alte Kraft und Energie des Ordens. Viele Ritter ergaben sich, obgleich sie Armuth, Keuschheit und Gehorsam gelobt hatten, einem wüsten, wilden Leben, und der Orden fing an sich innerlich aufzulösen. Um diese Zeit fand die Schlacht bei Tannenberg (1410) statt, in welcher die Ritter von den Polen gänzlich geschlagen wurden. Wenige Tage nach der Schlacht, in welcher 100,000 Streiter, unter ihnen auch der Hochmeister Ulrich von Jungingen, den Tod fanden, standen die Feinde vor der Marienburg, der Residenz des Meisters. Die starke Feste wurde aber tapfer von dem löwenmüth’gen Comthur Heinrich von Plauen vertheidigt, und unverrichteter Sache mußten die Polen nach einer mehrwöchentlichen Belagerung abziehen. In dem darauf folgenden Frieden zu Thorn erhielt der Orden zwar seine früheren Besitzungen wieder zurück; jedoch mußte er eine ungeheure Summe Kriegsentschädigung und Lösegeld für die gefangenen Ordensbrüder entrichten. Das Land mußte diese Summe aufbringen, und das fiel schwer. Da außerdem das Land durch Mißwachs, Pest, Ueberschwemmungen und Viehseuchen heimgesucht wurde, so entstand überall Unzufriedenheit.

Die täglich mehr entartenden Ritter konnten sich nicht mehr die nöthige Achtung erwerben, und so kam es denn, daß die Unzufriedenheit

  1. Das dankbare Marienburg hat beschlossen, seinen letzten Helden dadurch zu ehren, daß es am 8. August d. J. vor dem schönen Rathhause, das schon zur Zeit jener schweren Belagerung stand, seine vom Bildhauer Freitag in Danzig gearbeitete Büste aufstellen wird.
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