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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

durch diese Nachrichten mit einem Male Alles verloren, keine Aussicht mehr auf die so eifrig betriebene Erhebung? Das Letztere mußte sich Schill mit Trauer eingestehen; hatten ihn die Tage bisher schon belehrt, daß man ihm den Kampfmuth der Bevölkerung übertrieben geschildert hatte, und daß diese lange noch nicht genug zur Erhebung vorbereitet war, so sah er ein, daß nach dem mißglückten Aufstand der Hessen und den niederdrückenden Nachrichten aus Oesterreich vollends nicht mehr auf eine rege und aufopfernde Theilnahme des Volkes zu rechnen war. Er berief seine Officiere und hielt Kriegsrath mit ihnen über das, was zu thun. Die Genossin des Unglücks, die Uneinigkeit, hatte bereits Erfolge gemacht, um so mehr, als Schill, gebeugt und unschlüssig, mit seinem kühnen Selbstvertrauen nicht mehr Alle mit sich fortriß. Wenn auch Alle einmüthig sich für den Kampf entschieden, so wollten die Einen sich doch nach Oesterreich durchschlagen, die Andern den alten Plan beibehalten und auf Cassel rücken; Schill selbst schlug vor, nach dem Norden vorzudringen, um möglicherweise die erwartete Diversion englischer Truppen am Rhein und an der Weser unterstützen zu können. Diese Ansicht trug den Sieg davon.

Inzwischen war ein Corps rheinbündischer Truppen von Magdeburg her herangerückt, um die Schill’sche Schaar zu versprengen. Das kam dem Husarenmajor, der Feuer, Muth und Kampf bedurfte, gerade recht, und er zog ihnen mit seinen Reitern frischweg entgegen. Sein Corps bestand jetzt aus 400 Husaren, 60 reitenden Jägern und etwa 50 Mann Infanterie.

Am 5. Mai stieß er bei Dodendorf, unweit Magdeburg, auf den Feind, der, sechs Compagnien und zwei Geschütze stark, sich in drei Quarré’s aufgestellt hatte. Vier Compagnien darunter waren westphälische Truppen, und Schill versuchte deshalb, sie zum Ueberlaufen zu bestimmen. Aber vergeblich. So geschah denn der Angriff. Im Nu sprengten die Schill’schen Husaren die Quarré’s, warfen den Feind zurück, nahmen 170 Mann gefangen und erbeuteten eine Menge erwünschten Gepäcks, Waffen und Fahnen. Freilich war der Sieg theuer erkauft, sieben Officiere waren erschossen, drei schwer verwundet – worunter Lützow –, zwei gefangen. Der Verlust der Mannschaft betrug über hundert Mann. Ueberdies konnte der Sieg, bei der Schwäche des Corps, in nichts ausgebeutet werden, und Schill mußte nach wie vor an Rettung vor der Gefahr denken.

Hoffnung zu fassen für ihn und seine Unternehmung war fast unmöglich. Ein Decret König Jerome’s bezeichnete Schill’s Corps als eine Räuberbande, befahl „darauf Jagd zu machen“ und setzte auf Schill’s Einlieferung einen Preis von 10,000 Francs. Ein Parolebefehl des Königs von Preußen vom 8. Mai mißbilligte Schill’s „unglaubliche That“ in den strengsten Worten und legte jedem preußischen Soldaten die unbedingte Verpflichtung auf, sich ruhig zu verhalten; zugleich wurde eine Untersuchung über die eigenmächtige Handlungsweise des kühnen Majors eingeleitet. Napoleon endlich bezeichnete Schill in einem Bulletin vom 9. Mai als „brigand“, sein Unternehmen als ein „lächerliches“; zugleich wurde ein 10,000 Mann starkes Observationscorps an der Elbe gegen dieses „lächerliche Beginnen“ aufgestellt, und der General Gratien mit meist holländischen Truppen zur Verfolgung Schill’s abgeschickt. Und nun noch der Sieg der Franzosen über die Oesterreicher! Wie sollte da noch ferner auf Theilnahme der Massen gerechnet werden können? wie war es möglich, an einen Erfolg einer solchen Handvoll Leute, mochten sie auch noch so kühn sein, zu glauben?

Und Schill selbst glaubte nicht mehr daran; die Verzweiflung bemächtigte sich seiner, und er spähete nur noch, wohin er sich zu retten vermöchte. Er hatte sich nach dem Gefecht bei Dodendorf nach Stendal und Arneburg gewandt, und hier waren 160 Mann mit vier Officieren unter Quistorp’s Commando zu ihm gestoßen. Es waren Truppen des leichten Infanteriebataillons, das seinen Namen führte und unter ihm bei Colberg gefochten. Begeistert für Schill waren sie heimlich, noch ehe der Parolebefehl des Königs erlassen war, aus Berlin gezogen, um unter ihrem alten Führer zu kämpfen. Wohl richtete dies Schill’s Hoffnung für einen Augenblick auf; aber nur zu schnell sank sie wieder im Angesicht der Unmöglichkeit des Erfolges. Und damit ward der kühne Mann unschlüssig, hartnäckig, verbittert. Grolmann war zu ihm gekommen und hatte ihn beschworen, nach Westphalen aufzubrechen, wo für den Aufstand am meisten vorbereitet sei; er weigerte sich, zog planlos umher, verschwendete kostbare Tage mit nutzlosen Märschen, während die Franzosen sich in Uebermacht zu seiner Verfolgung aufmachten. Endlich, gedrängt und von drohenden Gefahren umgeben, entschloß er sich, nach Pommern aufzubrechen, um von Stralsund aus mit den britischen Schiffen in der Ostsee in Verbindung zu kommen, sich vielleicht mit seinen Getreuen nach Spanien zu retten.

Am 13. Mai brach er nach Mecklenburg auf, besetzte Dömitz und indem er dort seine Infanterie zurückließ, damit sie den verfolgenden Feind aufhalte und über den von ihm eingeschlagenen Weg irre führe, zog er mit seinem Corps gegen Wismar und Stralsund, benachrichtigte auch zu gleicher Zeit den Admiral der englischen Ostseeflotte von seinem Vorhaben. Während nun die Dömitzer Infanterie, kaum 400 Mann stark, sich weidlich mit den Truppen Gratiens herumschlug und sich darauf glücklich nach Rostock zurückzog, war Schill mittlerweile in Eilmärschen auf Stralsund marschirt. Am 24. Mai stieß er bei Damgarten auf eine Abtheilung Truppen, welche der französische Gouverneur ihm entgegenwarf. Schill vernichtete dieses weit überlegene Corps fast vollständig, und nun hatte er den Weg auf Stralsund frei.

Es war am 25. Mai. Die Artillerie Stralsunds feierte eben mit Kanonensalven den siegreichen Einzug Napoleons in Wien. Da sprengte plötzlich Schill mit dreißig Jägern und fünfzehn Husaren in die Stadt, hinter ihm her kam die übrige Schaar, und nun ging’s flugs über die Kanoniere her, die nach verzweifelter Gegenwehr zusammengehauen wurden. Stralsund war wirklich von Schill erobert. Noch einmal flammte der alte Muth und das alte Selbstvertrauen in dem kühnen Reitersmanne auf; aber ein Prüfen der Umstände ertödtete ihn schnell. Woher sollte man Mannschaften nehmen, die Wälle zu vertheidigen, die Festungsartillerie zu bedienen, Schanzen zu errichten? Das ganze Corps war höchstens sechszehnhundert Mann stark und zur Hälfte Reiterei! Auch gab es schon Zaghafte und Unzufriedene unter ihnen, und Schill klagt in einem Parolebefehl darüber: „es sei der sehr unglückliche Ton im Corps eingerissen, seine Befehle willkürlich abzuändern oder gar nicht zu befolgen.“ Und doch that er, als wenn er sich in Stralsund zu halten vermöge, freilich wohl mit dem Hintergedanken, daß die Engländer in Rostock landen und ihm zu Hülfe eilen würden. „Meine Arbeiten an der Wiederherstellung der Werke,“ schrieb er damals an Erzherzog Karl, „sind von einem solchen Erfolge, daß ich dreist behaupten kann, das demolirte Stralsund werde sich, gleich einem andern Saragossa, nicht allein gegen den anrückenden Feind, sondern auch noch größeres Corps auszeichnen.“ War dies Selbsttäuschung oder wirkliche Ueberzeugung?

Am 31. Mai kam Gratien mit 6000 Mann meist holländischer und dänischer Truppen vor Stralsund. Auf alle drei Thore der Festung begann der Angriff; die Vorwerke wurden erstürmt, die Wälle erstiegen, die dort aufgestellten Geschütze genommen. Ueberall zurückgeworfen, sammelte Schill seine Reiterei auf dem Marktplatz; aber der siegende Feind ließ ihm nicht Zeit dazu, er stürmte auf den Straßen heran, warf sich auf die ungeordneten Reiterschaaren und versprengte sie nach allen Richtungen. Jetzt hieß es: rette sich wer kann! Schill selbst, von verzweiflungsvollem Muth erfüllt, brach mit einem Reiterhaufen in die Feinde, hieb Alles vor sich nieder, ohne doch vor dem Uebermaß der Feinde Luft zu bekommen. Ein wüthendes Handgemenge entspann sich, Mann gegen Mann focht und mit einer Erbitterung ohne Gleichen. Schill’s Säbel blitzte unaufhörlich in der Luft; sein Roß bäumte sich hoch auf, erdrückte einen Haufen Dänen, sprang über ihn fort in eine Seitenstraße hinein. Auch hier drang der Feind vor. Verzweifelt stürzte sich Schill auf den ihm entgegenkommenden holländischen General Carteret und hieb ihn mit einem Streich vom Pferde – aber in demselben Augenblick traf ihn ein Schuß, er sank herab, und die Bajonnete der dänischen Musketiere bohrten sich in seinen Leib. – Der kühne Reitersmann war todt; in ein Haus, gegenüber dem Rathhause, brachte man ihn und ließ ihn dort entkleidet auf dem Boden eines Zimmers liegen. Er war unentstellt, selbst in den Wangen war noch das Roth des Lebens, so kurz und schnell hatte er geendet!

Furchtbar war der Kampf gewesen in Stralsund; der Feind hatte grausame Verluste erlitten, das Schill’sche Corps sein Leben theuer verkauft. Aber es war fast gänzlich erschlagen, erschossen oder gefangen, kaum zweihundert davon retteten sich aus diesem Gemetzel nach Preußen. Napoleonische Grausamkeit richtete über die Unglücklichen, welche lebendig in die Hände der Häscher gefallen

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