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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Die in Deya zu diesem Zweck zusammengezogenen Truppen – etwa 1800 Mann, worunter 400 Spahis und reitende Jäger – waren zur Disposition des Oberstlieutenant Séroka gestellt, welcher Chef des Districts und des arabischen Bureaus war. Dieser hatte ein ganzes Heer von Spionen auf Ben-Djorra’s Fährte ausgesandt und erwartete von Stunde zu Stunde eine sichere Nachricht über seinen Schlupfwinkel. In Erwartung dieser gewissen Kunde lagen wir im Fort auf der Bärenhaut und vertrieben uns die Zeit mit Rauchen, Trinken, Spielen und allen den sonstigen zeittödtenden Beschäftigungen, deren der müßige Soldat ein so reiches Repertoir, und vorzugsweise in Afrika, aufzuweisen hat. Wenn ich Eingangs dieser Erzählung von Casernen gesprochen habe, welche sich innerhalb der Mauern des Forts befinden sollten, so möge man dies nicht nach dem Buchstaben nehmen: wir lagen in Barracken von Holz, in denen wir vor schlechter Witterung leidlich geschützt waren und welche außerdem für uns Officiere recht hübsch eingerichtete Zimmer enthielten.

In einem dieser Zimmer saßen wir am späten Abend des 30. Januar 1858 in gemüthlicher Unterhaltung beisammen. Sämmtliche Officiere der Garnison waren anwesend. Es wurde viel gescherzt und gelacht, die Unterhaltung drehte sich größtenteils um den Mann des Augenblicks, Ben-Djorra. Ein Capitain der Turcos (leichte, aus Eingeborenen bestehende Infanterie in orientalischem Costüm, deren Officiere zu drei Viertheilen Franzosen sind) hatte ihn früher gesehen und gekannt, als der Scheriff noch nicht erklärter Gegner des Gouvernements war und häufig in der Stadt Maskara sich aufhielt. Er schilderte uns denselben als den pfiffigsten und verwegensten Menschen, dessen Ehrgeiz ebenso unersättlich, als seine Geldgier, und der bei seinem großen Anhang gerade in dieser Gegend ein für uns durchaus gefährlicher und keineswegs zu verachtender Gegner sei. Alle waren begierig, ihn bald von Angesicht zu Angesicht zu sehen.

Unter dieser Hoffnung hatten wir das Gespräch abgebrochen und waren soeben im Begriff, uns an die Abendtafel zu setzen, als die Thür sich öffnete und Sidi-Soliman-ben-Abdallah, Aga der Sahara in der Provinz Oran, hereintrat. Dieser arabische Fürst war Commandeur des Ordens der Ehrenlegion, persönlicher Freund des General-Gouverneurs von Algerien, und stand im Range eines Divisions-Generals. Wir erhoben uns daher sämmtlich, ihm die gebührende Ehre zu erweisen, worauf er mit artigem Gegengruß erwiderte und uns dann in gutem Französisch den wohlgemeinten Rath gab, die Abendtafel zu beschleunigen, indem die Nachrichten, welche er mitbrächte, nicht der Art seien, uns lange Zeit zum Souper zu lassen. Sich darauf an den Oberstlieutenant Séroka wendend, sagte er: „Ich komme soeben, nur von vier Spahis begleitet, aus Sidi-bel-Abbès zurück; zwei Stunden von hier, in dem Stamme der Beni-Saffar, habe ich mit Bestimmtheit in Erfahrung gebracht, daß Ben-Djorra sich augenblicklich in der drei Stunden von hier entfernten Oasis El Haddin befindet und daselbst um 11 Uhr in der Nacht die Anführer derjenigen Stämme erwartet, welche sich seinen Plänen angeschlossen haben und die Fahne des Aufruhrs unter seiner Führung erheben wollen. Ich habe sofort die Pferde ausgreifen lassen und, trotz des grundlosen Weges, nur wenige Minuten gebraucht, um hierher zu kommen und Dir diese Mittheilung zu machen. Halt Deine Truppen bereit, eine bessere Gelegenheit, den Ruhestörer zu fangen, dürfte sich nicht finden. Ich werde Dich begleiten.“

Man wird begreifen, daß unter solchen Umständen ein Jeder in größter Eile nur die unentbehrlichste Speise zu sich nahm und sich dann sofort für die nächtliche Expedition vorbereitete. Es war halb zehn Uhr; schnell wurden die Truppen in aller Stille unter die Waffen gerufen, weder Horn noch Trommel wurden gehört, und als es zehn schlug, hatte die etwa 1500 Mann starke Colonne schon Deya einige hundert Schritte im Rücken. In südwestlicher Richtung ging’s unaufhaltsam vorwärts. Ein Detachement Spahis, jedes Weges, jedes Schlupfwinkels kundig, diente uns als Avantgarde. Abdallah ritt zur Rechten des Oberstlieutenants in seiner vollen orientalischen Kriegsrüstung, das breite rothe Band der Ehrenlegion mit dem daran befindlichen Commandeurkreuz um den Hals, auf einem herrlichen arabischen Grauschimmel. Das Wetter war unserem Streifzug günstig, nur die in Folge des lange Zeit stattgehabten Regens grundlosen Wege erschwerten bedeutend das Fortkommen, so daß die Mehrzahl der Leute ermüdet war, als wir nach dreistündigem, angestrengtem Marsche inmitten einer weiten, mit Zwergpalmen bedeckten Ebene Halt machten.

Die Oasis El Haddin lag in einer Entfernung von etwa 2000 Schritten vor uns, trotz der Nacht durch ihre riesigen Palmen erkennbar, welche sich an dem vom Vollmond beleuchteten, sternenbesäeten Firmament scharf markirten. Die Bevölkerung der Oasis El-Haddin mochte sich auf nahe an 2000 Seelen belaufen, und wohnte in mit Palmenblättern gedeckten Erdhütten. Die Anwesenheit Ben-Djorra’s in einer dieser Hütten war außer Zweifel; allein in welcher derselben befand er sich? Dies zu erforschen sandte Abdallah seine Kundschafter aus, Araber befreundeter Stämme, welche er zu diesem Zweck mitgenommen hatte. Es lag in der Absicht des Gouvernements, die Gefangennehmung Ben-Djorra’s, wenn irgend möglich, ohne Blutvergießen in’s Werk zu setzen. Nur im äußersten Nothfall und bei ernster, zahlreicher Gegenwehr sollte von den Waffen Gebrauch gemacht und selbst dann noch die Person des Agitators so viel als möglich geschont werden; der General wollte eine Unterredung mit dem gefangenen Ben-Djorra haben. Mochte er nun hoffen, ihn zu einem Freunde der französischen Occupation zu machen, oder glaubte er ihm Geständnisse zu entlocken oder von ihm zu erzwingen, genug, es galt, ihn lebendig nach Oran zu schaffen.

Gegen zwei Uhr Morgens kehrten die Kundschafter des Aga zurück und hatten in Beisein unseres Commandeurs und des Dolmetschers eine ziemlich lange Unterredung mit Abdallah, deren Resultat war, daß wir in aller Stille vorrückten, um alle Ausgänge der Oasis zu besetzen. Gegen drei Uhr Morgens war diese Maßregel in Ausführung gebracht. Hierauf nahm sich der Oberstlieutenant eine Escorte von zwei Compagnien Infanterie und einem Peloton reitender Jäger und drang unter Führung der Kundschafter und gefolgt von Abdallah und den Officieren des arabischen Bureau’s in’s Innere der Oasis ein. Ich befand mich mit meiner Compagnie in der Escorte und wurde somit Augenzeuge aller der Vorgänge, welche uns erwarteten. Zehn Minuten lang hatten wir unsern Weg zwischen hohen Palmen und üppigem Graswuchs fortgesetzt, als wir die ersten Hütten erblickten. Die uns als Führer dienenden Araber ließen diese ersten Wohnungen links liegen, und wir gelangten bald an den Mittelpunkt der Oasis, einen ungefähr hundert Schritte im Durchmesser haltenden freien Raum, um welchen herum gigantische Cacteen, Stachelfeigenbüsche und Aloes eine undurchdringliche Hecke bildeten; diese Umzäunung hatte zwei Eingänge, den einen nach Norden, den andern nach Süden zu gelegen.

Wir waren nur noch wenige Schritte von der nördlichen Oeffnung entfernt, als wüthendes Hundegebell unsere Ankunft signalisirte. Sofort wurden Tirailleure um die ganze Umzäunung herum aufgestellt, und wir drangen in’s Innere derselben ein. Hier zeigte sich uns eine große Hütte inmitten des freien Platzes; das anhaltende Gebell der zahlreichen und an Wachsamkeit unübertrefflichen arabischen Hunde hatte die in derselben befindlichen Araber belehrt, daß etwas Ungewöhnliches draußen vorgehe. Allein Ben-Djorra war so weit entfernt, an eine Ueberrumpelung zu glauben, und hielt sich für so sicher in seinem Versteck, daß er anfänglich dem Lärmen der Hunde wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte und es uns somit möglich geworden war, uns der großen Hütte unbemerkt und ohne Widerstand zu nähern. Hier sollte jedoch die Scene wechseln. Selten, selbst wenn der Araber sich vollständig eingeschlossen, jedes Mittel zum Entkommen abgeschnitten oder verbarricadirt sieht und einem überlegenen Feinde sich gegenüber befindet, ergibt er sich ohne Kampf. Es befanden sich gegen sechszig Araber, Ben-Djorra unter ihnen, im Innern der Hütte. Sobald sie uns bemerkt und sich umzingelt gesehen hatten, wurden wir mit Flintenschüssen begrüßt. Die Mehrzahl der Meuterer hatte sich durch alle Oeffnungen des Hauses in’s Freie geworfen, wo ein Kampf, Mann gegen Mann, begann. Allein ihr verzweifelter Widerstand war bald gebrochen. Wir erzwangen den Eingang. Der Oberstlieutenant Séroka, den Säbel in der rechten, eine Pistole in der linken Hand, gefolgt von Abdallah, drang zuerst in die Hütte ein. Ben-Djorra, mit dem Rücken gegen die Mauer gelehnt, war im Begriff sein langes Gewehr zu laden, sieben oder acht kräftige Beduinengestalten hatten sich vor ihn gruppirt und schienen entschlossen, sich und ihren Häuptling bis auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen; im Augenblick, wo die Officiere in der Hütte erschienen, krachten ihre Schüsse, und keiner der zuerst

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