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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Ebenso tragisch, wenn auch in anderer Weise, war es, daß einige Vereine keine Fahne tragen durften; so kamen sie aus dem Herzen Deutschlands, aus Sachsen, wie ein Bräutigam ohne Strauß, wie eine Braut ohne den Myrthenkranz. Die Turner ohne ihre Fahne! Wahrlich, diese fehlenden Fahnen sprachen ebenso bedeutungsvoll zum deutschen Reiche, wie das schwarzumflorte Banner Schleswig-Holsteins, wie das alte Reichsbanner des einigmächtigen Schwarzrothgold der Schwaben. Doch der Anblick der gewaltigen Kette kräftig-kühner deutscher Jünglinge, durchflochten mit dem köstlichen Schmucke festlich bekleideter schöner Jungfrauen, beschattet von manchem theuern Banner, fröhlich singend und die reichgeschmückte Stadt nach allen Seiten hin grüßend unter dem Rauschen der Musik: das Alles mußte bald jede trübe Stimmung zu stolzer Freude und starker Hoffnung umwandeln. – Auf dem schönsten Turnplatze, der wohl in Deutschland zu finden ist, ebenso geschmackvoll ausgeschmückt als praktisch und tüchtig zum Turnen vieler Hunderte eingerichtet, empfing ein Publicum von Tausenden den gewaltigen Festzug. Die Sänger eröffneten das Fest mit einem turnerischen Gesange; dann begrüßte der Sprecher des Coburger Turnvereins die Versammlung mit gesunden, echt deutschen Worten; noch ein Gesang, und nun begann das Turnen. Da hätten denn Alle wohl hundert Augen haben mögen, um die Menge der Gruppen verschiedenartigster Turnspiele zu sehen. Was ließen sich da für Bilder entwerfen! Der Buchstabe kann sie nicht beschreiben. Nur so viel sei gesagt: man sah die Turnerei auf einer hohen Stufe allgemeinster Ausbildung. Am Reck und in gründlicher Bildung einer strengen Schule trug Leipzig unbestritten den Sieg davon. – Norddeutschland vertrat hauptsächlich die Kraft, Süddeutschland die Gewandtheit. – Nach dem letzten Spiele – dem höchst interessanten Ringen – betrat der Festpräsident Georgii die hoch emporragende Rednerbühne, darüber hin die grünumschmückte schwarzrothgoldne Fahne rauschte. Er theilte zuerst den Dank und Gruß des Herzogs mit, per Telegramm der deutschen Turnei in Coburg eingesandt. Dann folgten noch eine Menge eingegangene Telegramm-Grüße, manche von den fernsten Enden Deutschlands hergeblitzt. Schön und tüchtig war, was der Festredner nun sprach; aber noch schöner und tüchtiger das, was er nicht sprach, sondern schließlich nur andeutete mit der Bitte, daß ein Jeder sein Haupt entblößen und an das Vaterland denken und dabei das denken möge, was er im Herzen trage. Da standen nun Tausende mit andachtsvoll entblößtem Haupte, und wir wollen hoffen, ja glauben, daß die Meisten von ihnen das dachten, was dem Vaterlande einst noch Heil bringen wird. – Die feierliche Stille wurde unterbrochen durch ein unwillkürlich sich bahnbrechendes Hoch auf den Festredner. Er lehnte es ab und rief die Jungfrauen auf zur Bekränzung der Turnerfahnen, mit der Anordnung, daß der fahnenlose Leipziger Turnwart den ersten Kranz persönlich empfangen solle. Und so geschah es: alle Fahnenträger bildeten einen Kreis, in dessen Mitte die Jungfrauen mit ihren Eichenkränzen standen, sie senkten ihre Fahnen den Jungfrauen zu, und im frischen Spiel der Winde rauschte nun oben über jeder Fahne die schöne deutsche Gabe des herrlichen Eichengrüns. Nun ein Gruß an die Jungfrauen Coburgs – ein Gruß an die Jungfrauen Deutschlands – dann ging es in festlichem Zuge frisch, fromm, fröhlich und frei zur Stadt zurück, zur Festhalle, wo die Fahnen aufgestellt wurden, wo ein Turner im Namen der Jungfrauen für die ihnen erwiesenen Ehren dankte und von wo aus jeder Fahnenträger seine Kranzspenderin nach Hause geleitete. – Manch liebes Wort mag dabei gesprochen, vielleicht manches Herz dabei ausgetauscht sein!

Mit einbrechendem Abend kehrten die Turner zurück zum erleuchteten Turnplatz, wo mit Sang und Trank und „ungeheurer Heiterkeit“ dieser denkwürdige Festtag beschlossen wurde. Der zweite Festtag begann Morgens 7 Uhr mit einer Feuerwehrprobe der Coburger Feuerwehr am Rathhaus; ihr folgte eine Schwimmübung unter dem neu erbauten, sehr schön eingerichteten Schwimmhaus. Um 11 Uhr Turnfahrt über die Veste und den dichtbewaldeten Bausenberg in das reizende, parkähnliche Thal der Rosenau, auf dessen weitem, schwellendem Wiesengrund gelagert, gesungen, gesprochen, in Freiübungen aller Art geturnt und manch neuer Telegrammgruß aus dem deutschen Reiche bekannt gemacht wurde. Zu einer wahrhaft ergreifenden Feier gab ein tiefwehmüthiger Brief aus Schleswig-Holstein Veranlassung: die – mit den deutschen Brüdern dieses unglücklichen Landes trauernden – Turner rissen in schmerzlichster Begeisterung ihr theuerstes Symbol, ihre Preisbänder und Embleme, von der hochschwellenden Brust und schmückten damit die schwarzumflorte Fahne und die Brust ihres bis zu erschütternden Thränen gerührten Trägers. Da weinten Viele mit ihm; heilige, echte Mannesthränen waren es, und auf die geflügelte Anrede eines Sprechers traten Alle zusammen mit entblößtem Haupte zu einem stummen Gebet, zu einem elektrisch zündenden Händedruck, zu dem begeisterten Schwur: wegzunehmen die Schmach, die auf dem abgerissenen deutschen Lande liege. Mögen die Geister der Zeit diesen Schwur gehört und ihn hingetragen haben durch alle Gaue des Vaterlandes!

Eine Fortsetzung dieser kurzen, aber denkwürdigen Feier fand Abends nach erfolgter Rückkehr in der Festhalle statt, wie denn überhaupt diese letzte allgemeine Versammlung der Turner moralisch genommen die bedeutungsvollste war; nach manchem befeuernden Lied und Spruch trat der Fahnenträger aus Schleswig-Holstein auf die Tribüne und berichtete mit schmerzlich bewegter Stimme, daß den Turnern ihres Landes keine Fahne erlaubt sei; daß sie erst im großen Vaterlande eine solche angenommen und eingeweiht hätten: sie sei ihnen durch dieses Fest ein Heiligthum geworden. Doch dieses Heiligthum würde ihnen jedenfalls beim Eintritt in die Heimath abgenommen werden; deshalb wollten sie es in Coburg zurücklassen, als Pfand der Treue. Hoch auf schwoll es durch alle Herzen: ehrfurchtsvoll wurde die beflorte Fahne auf die Tribüne gebracht; sie solle, so wurde bestellt, aufgepflanzt werden neben den Triumphzeichen von Eckernförde auf der Coburger Veste, bis sie hingetragen werden dürfe von der deutschen Wehrkraft zu dem befreiten Lande. Ein unendlich wehmuthsvoller Jubel durchdrang Alle; mit nie gehörter Kraft und Begeisterung wurde „Schleswig-Holstein meerumschlungen“ gesungen; dann in Mützen und Hüten eingesammelt für die Vertriebenen und Nothleidenden des armen Landes; an 200 fl. waren in wenigen Minuten zusammen. Wurde nun auch wohl Manchem zu viel von Schleswig-Holstein gesprochen, so muß das von ganz anderer Seite betrachtet werden, gleichsam symbolisch! Schleswig-Holstein war der Ausdruck für noch viele andere zornige Schmerzen, die aber nicht genannt werden durften und in Schleswig-Holstein ihren symbolischen Ausdruck fanden. Sehr merkwürdig und bedeutungsvoll war auch ein Gruß an die deutschen Flüchtlinge in der Schweiz, in England und Amerika! – Wie ein beängstigendes und doch befreiendes, reinigendes Gewitter fuhr er herab von der Rednerbühne in die Menge und – wir dürfen als historisch getreuer Berichterstatter es nicht verschweigen – zündete mächtig, erweckte vielhundertfachen, donnernden Wiederhall. Zwar fehlte es auch nicht an Manchen, die solchem Drange des Augenblicks entgegenwirken wollten, es für Pflicht hielten, dies zu thun, und im engeren Kreise der Turnvertreter platzten die Geister prall auf einander. Doch im Rauschen deutscher Lieder verklangen bald alle Dissonanzen, schlugen alle Herzen wieder zusammen in dem Einen Schlag für das Eine Vaterland, und ein Jeder fühlte, das erste große deutsche Turnfest habe in seinem Haupttheile einen gewaltigen Abschluß gehabt.

Wohl fuhren am dritten Tage, Dienstag, einige hundert Turngäste heim, doch blieb noch ein Stamm von mehrern Hunderten zurück, die trotz der vorigen anstrengenden Tage mit neuer, frischer Kraft unter Liedersang, Trompetenklang und Fahnenwehen eine Turnfahrt zum herzoglichen Sommerschloß Callenberg unternahmen. Das romantisch gelegene, ebenso die herrlichsten Waldpartien, als die weiteste Fernsicht darbietende, neuester Zeit charakteristisch und geschmackvoll vergrößerte und restaurirte Schloß wurde jubelnd begrüßt, und durch das Rauschen des Waldes klang manch altes Turnerlied, manch hoffnungstrunkenes „Gut Heil!“ Der Rückzug zur Stadt wurde ein höchst merkwürdiges Kriegsspiel; die Turner theilten sich in zwei Heere, das eine hatte als Losungswort „Coburg“, das andere „Deutschland“. Coburg zog zuerst rasch vorwärts und verschanzte sich auf einer Anhöhe hinter einem Graben. Hier wurde es von Deutschland angegriffen und nach hartnäckigem Kampfe vertrieben. Nun zog Deutschland sich rasch zurück und war bald dem verfolgenden Coburg verschwunden. Es blieb ihm verschwunden bis an die erste Brücke zur Stadt. Diese hatte Deutschland mit gewaltigem Material von einem naheliegenden Bauplatz verbarricadirt, und Coburg mußte diese Barricade erstürmen, was ihm denn auch nach tapferer Gegenwehr Deutschlands gelang. Fassen wir dieses Spiel symbolisch zusammen, so möge uns daraus der ernste Gedanke entgegentreten: daß Deutschland nicht besiegt werden wird, wenn Coburg an seiner Spitze steht. Die bald wieder lustig und liebevoll vereinten Heere Coburg und Deutschland richteten nun ihren Marsch zum Festplatz zu einem gemeinschaftlichen Essen, belebt durch Musik, Gesang, Toaste, angeregt durch Vortrag eines Briefes von Arndt an Maßmann, zwar vor circa zwanzig Jahren geschrieben, aber für den Augenblick durchaus passend. Großer Jubel erscholl nach der Anzeige, daß der Herzog heute zurückkehren, um 1/28 die Turner auf dem Schloßplatz sehen und die Deputirten der Städte bei sich empfangen, auch Abends den großen Ball im Theater besuchen wolle. Nun noch eine lustige Debatte über die Frage: ob die Turner zu diesem Balle Glacehandschuhe tragen müßten? Sie schloß mit Freistellung dieser Frage an das Belieben jedes Turners, und so ging Alles fröhlich auseinander. Um 1/28 zogen die Turner von der Festhalle aus über den Schloßplatz, an dem Fenster vorbei, auf dessen Balcon der Herzog und die Herzogin standen, gütig dankend den vielhundertfach hinaufschallenden Hochs und dem flatternden Senken der Turnerfahnen. Als der Zug vorüber war, empfing der Herzog in seinem Zimmer die Deputirten der Städte, in deren Namen der Festpräsident ihn mit echt patriotischen, echt deutschen Worten begrüßte. Und echt patriotisch, echt deutsch nahm der Herzog sie auf, erwiderte er dieselben, wünschte er der deutschen Turnei zum Heile des Vaterlandes alles Gedeihen, versprach er ihr für immer seinen fürstlichen Schutz. – An solch erstarkenden, hoffnungsreichen Schluß des Festes – würdig desselben – knüpfte sich nun der lustige, schwebende Schluß des Balles im Theater. Der weite Raum faßte kaum die Zahl der Gäste. Der höchste unter diesen, der Herzog, erschien bald und sprach lange mit jedem einzelnen der Deputirten. „Coburg und Deutschland“, diesem Dioskurenpaare brachte jeder abreisende Turner mit Herz und Mund ein dreifaches „Gut Heil!“ Und mit solchem Gut Heil schließen wir den Bericht über eines der schönsten Feste, das Deutschland seit vielen, vielen Jahren gefeiert hat, feiern durfte. Und wie es nachklingen wird fröhlich und feierlich im Herzen jedes echten Turners bis zu seines Lebens Ende, so mög’ es auch als eine That Thaten zeugen für das einige Vaterland!



Für „Vater Arndt“

gingen bei Unterzeichnetem wieder ein: Aus Graz in Steiermark 20 fl. in folgenden Beiträgen: Carl M. 2 fl. – L. K. 1 fl. – J. U. 1 fl. – G. H. 40 Xr. – L. B. Sch. 1 fl. – J. P. 20 Xr. – C. A. 1 fl. – J. E. 1 fl. – J. O. 1 fl. – K. 30 Xr. – J. S. K. 2 fl. – O. Graf S. 1 fl. – R. S. Vordernberg 1 fl. – A. v. B. 1 fl. – Alfred A. 1 fl. – F. A. 50 Xr. – Jac. R. 1 fl. – Josef K. 1 fl. – H. P. 1 fl. – F. W. 50 Xr. – Hermine und Josefa P. 1 fl. 10 Xr. – 1 Thlr. Alb. Heinitz, Organist in Berlin – 6 Thlr. 15 Ngr. Zweite Sammlung der Lusatia in Zittau – 1 Thlr. Schlicht in Wien – 5 Thlr. S. E. K. aus Rußland (erster Beitrag aus Rußland) – 15 Thlr. Vierte Sammlung der Turnzeitung – 10 Thlr. von Fräulein Fr. Ndr. aus Kurland (zweiter Beitrag ans Rußland).

Ernst Keil.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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