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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Was wollt Ihr denn? Sprecht! Aber besinnt Euch, ehe Ihr sprecht. Ihr sollt heißblütige Leute sein; aber glaubt mir, ich bin’s noch mehr.“

Bubenberg beugte leise sein Haupt, deutete mit der Hand auf das weiße Haar und sprach: „Der Schnee auf meinem Haupte kühlt.“

Karl empfand die erste Regung einer gewissen Achtung vor der bescheidenen Würde dieses „Bauern“; doch warf er sie wieder stolz zurück und herrschte den Greis an: „Aber was wollt Ihr sonst, wenn keine Gnade?“

„Wir wollen Euch Frieden bieten, Herr Herzog!“ „Frieden bieten!“ hallte es nach aus dem Munde der übrigen Schweizer, so hallte es laut und voll durch den Saal und durch die eingetretene tiefe Stille.

„Frieden?“ murmelte Karl, als ob er überlege; dann aber fuhr er wieder auf: „Ihr – dem Karl von Burgund! Bei Gott! Das ist verdammt lustig! Wer seid Ihr denn eigentlich, Ihr Schweizer in Euren Bergen? Schaum im Kessel, der in die Höhe steigt; höchstens Kettenhunde, die sich losgerissen!“

Durch Bubenberg’s ruhiges Wesen zuckte es einen Moment lang zornig hin; dann stand er wieder einfach würdig da und so sprach er auch: „Herr Herzog! Ihr kennt unsere Geschichte nicht, sonst würdet Ihr so nicht reden. Lange Zeit wohl waren die Schweizer den andern Völkern, was die armen Ziegen an steilen Abhängen den großen fetten Heerden auf guter Weide sind. Aber die Geschichte hat sie eines Bessern belehrt: keine Macht hat jemals die Schweiz auf die Dauer unterdrücken können.“

Karl hatte mit einigem Interesse zugehört; bei den letzten Worten aber sprang er trotzig auf und rief: „Das sprach Euer böser Genius! Jetzt darf ich nicht Frieden geben, denn was keiner Macht gelungen, muß mir gelingen.“

Bubenberg näherte sich dem Stolzen um einen Schritt, und eine rührende Macht der Ruhe und Weisheit klang durch seine Worte: „Seid nicht so stolz, Herr Herzog! Ihr habt der Lorbeeren ja genug; warum wollt Ihr mehr? Ihr seid ein Mensch, Herr Herzog! seid auch dem Schicksal unterthan.“

„Ich stehe über dem Schicksal.“

„So lange Gott will! – Laßt uns in Ruhe. Was findet Ihr bei uns, das Euren Glanz und Reichthum vermehren könnte? An den Sporen Eurer Reiter ist mehr Silber, als die ganze Schweiz besitzt.“

„Ach was! Ich will kein Silber und Gold; ich will Brüderschaft trinken mit Euren Alpen!“

Da fuhr es leuchtend über das Gesicht des Greises, höher hob sich sein ganzes Wesen und feierlich ernst klangen seine Worte durch den Saal: „Brüderschaft trinken? – – doch nur in Blut! – O glaubt doch nicht, so leicht uns zu besiegen! Hart wie unser Felsen ist unser Sinn; stark wie unsere Berge unser Arm, muthig wie unsere schäumend niederstürzenden Ströme unsere Brust. Näher den Wolken und Winden, haben wir diesen ihre Listen abgelauscht, und dann vor Allem, Herr Herzog: Eure Völker kämpfen für Sold, wir für unsere Freiheit.“ Er schwieg, trat bescheiden zurück und hielt den großen Blick fest gebannt auf den kalt und stolz dastehenden Helden.

„Ihr seid ein Schwärmer!“ sprach derselbe nach kurzer Pause. – „Meinen Völkern ist ihr Fürst, was Euch die Freiheit, und wo je die Welt bewegt wurde, da that’s der Einzelne, nicht die Masse; waren ihre Fäuste auch noch stärker, als die Eurigen.“

„Die Stunde ist ernst, Herr Herzog! Laßt den Spott weg; thut das Eis von Euren Lippen und seid so gut und weise, als Ihr kühn und mächtig seid.“ Wieder trat er einen Schritt vor, aber ein leises Beben durchflog seine Gestalt, und seine Stimme zitterte, als er fortfuhr: „Ihr seid stolz, Herr Herzog! Ich will dem Stolze schmeicheln. Noch nie habe ich meine Knie gebogen; nur vor Gott! Jetzt will ich’s thun vor Euch; nicht meinetwegen, nur für mein Land, und das wird mir’s verzeihen. Ich will die alten widerspenstigen Knochen zum Gehorsam zwingen und zu Euren Füßen Euch Frieden anbieten!“

Schon wollte er sich niederbeugen, aber noch kämpfte er, während Karl hart ihm gegenüber stand, während die Ritter und Großen in einem Gemisch von Stolz, Rührung und Erstaunen ihn anschauten, Crevecour seine ernsten, bittenden Blicke zum Herzog wandte und Bubenberg’s Genossen hinzuspringen wollten, daß er nicht knieen solle. Ein Wink ihres Feldherrn bannte sie fest, und eben wollte der Greis die hohe Gestalt zum Knieen beugen, da löste Karl seinen Bärenpelz ab, warf ihn zu den Füßen des Schweizers und rief: „Da! Ich will’s Euch leichter machen!“

Bubenberg richtete sich wieder empor und sah den stolzen Burgunder mit heißen Blicken an; dann aber faßte er aufs Neue allen Muth der Demuth zusammen und nur noch mit leisem Zucken und Zögern sank er schon halb aufs Knie, als Karl mit hellem Hohne ihm zurief: „Seid doch nicht bange, die Bärenhaut beißt ja nicht!“

Diese Worte entschieden über Karl und die Schweiz. Sie schnellten Bubenberg zu gewaltigem Zorne in die Höhe und brausend ertönte sein Wort: „Ich möchte lieber auf dem lebendigen Bären knieen, als jemals vor Euch, Herr Herzog! Wer die Freiheit so verhöhnen kann, ist ihrer Demuth nicht werth. – Karl, Herzog von Burgund: die Schweiz nimmt Deinen Fehdehandschuh auf und beut Dir Krieg! – Männer des Landes! ruft aus mit mir: Krieg mit Burgund!“ Und „Krieg, Krieg mit Burgund!“ erscholl es dröhnend noch einmal, dann wandten sich die Schweizer und schritten ruhig zum Saale hinaus.

„Gebt ihnen ritterlich Geleit, nach allen Ehren des Krieges: es sind doch Männer!“ sprach Karl; dann zog er sein Schwert und rief in brausendem Jubel: „Krieg mit der Schweiz! Wohlauf nach den Alpen!“

Das war im Frühling des Jahres 1476.

Bald klopfte der Burgunder mit erzener Faust an die Thore der Schweiz; furchtbare Gewitter zogen gegen dieselbe heran; soviel Wolken und Blitze, als burgundische Schilder und Schwerter. Genf wird überfallen und sechzig seiner freien Bürger werden gerichtet. Yverdun und Granson gehen in Flammen auf; ihre Besatzung wird geschleift und ertränkt. – Da wurden auf den Alpen aufgepflanzt des Krieges Feuerfahnen, daß ihr Rauschen durch alle Körper und Seelen zuckte! Da erscholl es wie ein Orkan aus dem Munde Aller hin durch die Gaue: „Heil dem Vaterlande und seiner ewigen Freiheit! –“

Bei Granson hatte der kühne Karl eine gewaltige Stellung eingenommen; in Vauxmarcus war sein stark befestigtes Hauptlager. – Karl stand auf einer Anhöhe, mit Adlerblicken Alles überschauend, doch in fürchterlicher Erregung die Feinde erwartend, Ordonnanzen im Hintergrunde, zur Seite der treu bewährte Crevecour, Ruhe zusprechend, wo Karl unbesonnen losstürmen wollte. Noch wußte Karl nicht, wie die Schweizer sich stellen würden; doch jetzt – ha, wie flammte es da in ihm auf! die Schweizer rückten langsam, doch sicher, gerade auf sein Hauptquartier, auf Vauxmarcus zu.

„Mein Blut ras’t auf! Die Frechheit muß ich züchtigen, auf der Stelle!“ rief Karl aus und wollte die Anhöhe hinabjagen. Crevecour aber trat ihm in den Weg und meinte:

„Dämpft das heiße Blut, Herr Herzog! Der Tag muß uns kalt finden, wenn wir’s am Abend nicht sein sollen. Wir sind unbesiegbar in dieser ungeheuren Stellung; aus ihr heraus – wer weiß!“

Karl stieß das Schwert in die Scheide zurück und knirschte einen Fluch, während Crevecour fortfuhr: „Sie sind klug, diese Schweizer; sie rechnen auf Euer heißes Blut; sie wollen Euch nur reizen mit diesem Anrücken auf unser Centrum, sonst wäre es Wahnsinn. Ihr sollt heraus aus Eurer Stellung, das ist’s was sie wollen, darum bleibt.“

„Gut,“ sprach Karl ruhig, „doch gehen sie auch nur einen Schritt weit dort über die Karthause bei Granson: Graf, ich gebe Dir mein Ritterwort, dann falle ich über sie her, wie ein Wolf über die Hürde!“ Nun stand er wieder ruhig und gewaltig da; nun blickte sein Adlerauge wieder klar hinaus, während er den ab- und zueilenden Ordonnanzen seine Befehle ertheilte: „Der Oranier soll sich mehr zu den Savoyern und Italienern halten und sie in’s Centrum führen. Sie sind meine Granitmauern. – Der Bastard von Burgund soll den Campebasso im Vortrupp ablösen, und Johannes von Cleve soll zum Nachtrupp.“

Auf einmal stutzte der Herzog, schaute schärfer hinaus, – weiß schimmerte es her von ferne, als sei ein riesiges Leinentuch ausgespannt, seine Wellen schlagend im Wehen des Morgenwindes; der Herzog wandte sich halb hin zu Crevecour: „Aber was schimmert denn da? Teufel! Ich glaube gar, sie kommen in Hemdärmeln, wie zum Kornschneiden!“

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