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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

zu Moabit studiren? Die Unnatur leuchtet von selbst ein, ohne der rohen Behandlungsweise und der meist noch roheren Explicationen der Thierhüter zu gedenken. Auf den Excursionen gehen die Buben in Wald und Wiese herum, und fangen oder tödten eine Anzahl Schmetterlinge, Käfer und andere Geschöpfe, um sie wenig Tage darauf zu vergessen und zu Grunde gehen zu lassen. – Jetzt sieht man die Knaben stundenlang an den Behältern der verschiedenen Thierclassen stehen, deren Treiben anzusehen und deren Formen zu unterscheiden. Soll das nicht ein besseres Bildungsmittel sein? Und wird nicht, wenn Jahrzehnte lang ein solches Bildungsmittel auf die heranwachsenden Geschlechter aus allen Ständen gewirkt hat, unter Mitwirkung anderer Bildungselemente, wie sich von selbst versteht, das Volk langsam, aber nachhaltig versittlichter und einsichtsreifer werden? Muß es nicht die Toleranz (in religiösen, staatlichen und geselligen Dingen) entschieden fördern, wenn sich Jeder mit eigenen Augen überzeugt, daß der Schöpfer einem jeden Thiere seine eigenthümliche Art und Weise verliehen, Jedem seine besondere Pflicht und Sitte angewiesen hat? Muß es nicht Jedem Billigkeit für und Rücksichtnahme auf fremde Eigenthümlichkeit einprägen, wenn er sieht, wie in der Natur jedes Geschöpf auf eine andere Art, und doch den thatsächlichen Verhältnissen ganz entsprechend seine Lebenszwecke verfolgt? – Die meisten Thiere entfalten in allen denjenigen Dingen, welche in den Kreis ihres Berufes und Nutzens hineinfallen, eine unverkennbare Klugheit, Umsicht, Aufmerksamkeit, sogar Kunstfertigkeit und Ausdauer; sie lehren uns somit die Grundbedingungen zur verständigen Durchführung unserer eigenen Lebenszwecke. Eine Spinne war es, welche durch das Beispiel ihrer Ausdauer den König Bruce von Schottland vermochte, das sechs Mal verunglückte Unternehmen der Befreiung seines Vaterlandes zum siebenten Mal, und mit Glück, wieder aufzunehmen. (Walter Scott, Erzähl, eines Großvaters, Cap. 6.)

„Ach was!“ wird man hier einwenden, „solche tiefe, gemüthliche und sittliche Beweggründe führen den kleinsten Theil der Beschauer in Eure Thiergärten! Die Mehrzahl geht dahin, wie an andere Vergnügungsorte: zur Erholung, zur Zerstreuung, um etwas Neues zu sehen, um an einem anständigen Orte mit den Seinigen im Freien zu spazieren, Bekannte zu sprechen, Putz zu entfalten, zu kokettiren, oder um seine Kinder in einem gutbewachten Garten mit den Thieren zu unterhalten, damit sie nicht draußen im Feld und Wald zu Schaden kommen oder mit schlechter Gassenbrut Bekanntschaft machen!“ Das Alles kann man zugeben, ohne obigen Behauptungen im Geringsten Eintrag zu thun. Denn gilt nicht dasselbe von allen öffentlichen Concerten, ohne deshalb den principiellen Werth der Musik als Culturmittel irgend zu schmälern? Gilt nicht Aehnliches sogar von den meisten öffentlichen Festen politischer oder kirchlicher Natur, denen doch gewiß Niemand eine tiefeingreifende Wirkung auf das Volk, selbst auf die gedankenlos Mitmachenden, abstreiten wird? – Der Geist packt die Leute eben wider ihr Wissen und Wollen.

Wenn über diese grundsätzliche (principielle) Bedeutung der zoologischen Gärten irgend ein Zweifel sein könnte: so würde er sich dadurch erledigen, daß sie sofort Gegner gefunden haben, und was für welche! Denn wer waren diese, welche z. B. den projectirten Dresdner zoologischen Garten schon vor der Entstehung in meistens anonymen Zeitungsartikeln voll Erbitterung angriffen? Soweit bekannt, solche Leute, welche ein Interesse daran haben, daß das Volk roh und unwissend, eine jeder vernünftigen Freiheit unwürdige Heerde bleibe. Ihnen ist instinctmäßig Alles zuwider, was dem Volke Bildung und Intelligenz zuführt; denn ein davon durchdrungenes Volk läßt sich nicht unterdrücken oder ausbeuten.

Und wer sind die Begründer der neueren zoologischen Gärten gewesen? Neben einigen wenigen aufgeklärten hochstehenden Personen fast ausschließlich der Mittelstand und zwar in zwei Schattirungen: nämlich wenige Reiche mit großen Actienzeichnungen und sehr zahlreiche kleine Leute mit den geringst möglichen Sümmchen. So bei der Dresdner Gesellschaft, so auch (so weit wir es erfahren konnten) bei den übrigen neuerlich gegründeten Thiergärten. Das Volk hat die Sache entschieden!




Eine Gesandtschaft und ihre Folgen.[1]
Bild aus alter Zeit für die neue.
Von Arnold Schloenbach.

Es war in Besançon am Hofe Karls des Kühnen von Burgund im Frühling des Jahres 1476. Hell strahlt der prachtvollste Thronsaal seiner Zeit; in langen Reihen stehen die Helden und Freunde, die Großen und Würdenträger des gewaltigen Burgunders, harrend seines Eintritts, harrend der Schweizer Gesandtschaft, die Karl hier empfangen will. Nun tritt er auf, der schönste und prächtigste Mann seines Reiches, in eitel blanken Stahl gehüllt und darüber der Pelz eines riesigen, von ihm selbst erwürgten Bären geworfen. An seiner Seite der ebenso tapfere als weise Graf Crevecour, sein vertrautester Freund, der Einzige, der ihm widersprechen durfte, den sein Zorn nicht erschreckte, seine Liebe nicht stolz machte. – Um Karls Lippen spielte ein trotzig höhnisches Lächeln, als er rief: „Laßt die Bauern vortreten, die sogenannte Gesandtschaft. Ich höre, sie tragen fürchterliche Knittel bei sich.“ Er lachte laut auf.

Sein Lachen wurde von Crevecours ernsten Worten unterbrochen: „Sie tragen die Knittel, um damit die Wölfe und wilden Hunde todtzuschlagen, die ihnen unterwegs begegnen. – Glaubt mir, Herzog! es sind Männer. Sie sind, wie die weltbezwingenden Heerführer der Römer, hinter dem Pfluge her weggeholt von ihrem Volke. – Herr! Noch einmal erfülle ich meine Pflicht und bitte: Nehmt, was die Schweiz Euch bietet! Ihr kennt diese Kräfte nicht, wenn sie geweckt werden; sie sind furchtbar!“

Da klirrten die Sporen Karls in heftigem Fußstoß durch den Saal, seine Augen blitzten und seine Stimme erbrauste: „Ich will sie kennen lernen, diese Kräfte! Und je furchtbarer – desto willkommener! Karl von Burgund soll solchen Bauern weichen? – Die niederländischen Städte, wie zittern sie unter meinem Fuß! Lothringen beugt sein Knie, das stolze Lüttich, das mächtige Gent. Sie alle waren mächtiger als die Schweiz. Die Schweiz soll mein sein! Ich will in der Schweiz die Schlüssel zu Deutschland haben!“

Noch waren diese Worte nicht verhallt, als die Gesandtschaft eintrat; an ihrer Spitze Adrian von Bubenberg, General-Feldhauptmann der Schweiz. Hoch ragte sein glänzend weißgelocktes Haupt über seine Umgebung empor; einfach und würdevoll, schlicht und fest, bescheiden und kühn, so trat er auf, so verbeugte er sich, so trat er jetzt näher dem finstern Burgunder.

„Ihr wollt um Gnade flehen!“ zürnte derselbe ihm entgegen, mit verächtlichem Trotz um die emporgeworfenen Lippen.

„Nein, das hat die Schweiz noch nie gethan,“ antwortete Bubenberg ruhig und bestimmt.

  1. Der österreichische Sigismund, der Sohn des neunten Friedrich, war nach seinen unglücklichen Kämpfen mit der Schweiz so sehr verarmt, daß er seine an beiden Rheinufern gelegenen Lande Sundgau, Breisgau, Schwarzwald und Pfirth um 80,000 Goldgulden an Karl von Burgund verpfändete. Er gedachte auch, mit dem gewaltigen Karl der Schweiz eine Macht an die Grenze zu stellen, die einst ihn rächen werde. Der Burgunder nahm bald die Verpfändung für Kauf an und schon wollte er die so erworbenen Lande als Eigenthum befestigen, um dann desto sicherer über die Schweiz herzufallen, als der schlaue Ludwig XI. von Frankreich abwehrte; scheinbar aus Freundschaft für die Schweiz, eigentlich aber aus Furcht vor der wachsenden Macht des Burgunders, seines gefährlichsten Nachbarn. Ludwig versöhnte die Cantone mit Sigismund, zahlte ihnen einen Jahrgehalt von 20,000 Franken und bewirkte, daß Straßburg und Basel dem Sigismund 80,000 Goldgulden vorschossen, damit er seine Lande wieder einlösen könne. Aber der Burgunder ließ die Ueberbringer des Pfandgeldes, als sie die Urkunden zurückforderten, in’s Gefängniß werfen. Ein Schrei der Entrüstung, des Schmerzes und Zornes durchzuckte alle Lande, namentlich die bedrohte Schweiz. Doch wie einst Oesterreich der Schweiz den Geßler gesetzt hatte, so setzte nun Karl von Burgund dem Breisgau seinen fürchterlichen Hagenbach. Der säugte des Landes Zorn zum Riesen; Hagenbach fiel unter Henkershand; die Nachbarschweiz half dem schwergeknechteten Volke, und Karl that einen fürchterlichen Schwur, daß die ganze Schweiz ihm dafür bluten solle, sobald er seine zerstreuten Heere zusammen habe. Diesem Zeitpunkt nun sah die Schweiz mit Trotz und Bangen, mit Kühnheit und Zagen entgegen, während sie sich selbst spaltete und schwächte in großen und kleinen Bundeskriegen. Manch’ gute Patrioten sehnten einen großen Feind herbei, der Alle wieder zu Eins mache unter der sausenden Wucht seines Schwertes. Dieser große Feind, dieser Friedensstifter für die Schweiz sollte Karl von Burgund werden. Indessen wollte das bedräute Land nicht leichtsinnig den Krieg herausfordern. Der Bund beschloß zunächst eine Gesandtschaft an Karl, die womöglich den Frieden vermitteln sollte. – Hier beginnt, was wir schildern wollten.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_382.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)