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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

seine Jagdtasche mit aus dem Wagen genommen und sie immer sorgfältig in seiner Nähe bewahrt, als wenn sie besonders werthvolle Gegenstände enthalte. Sie habe auch einen ziemlich bedeutenden Umfang gehabt, und als der Ermordete sie getragen, sei es ihnen vorgekommen, daß sie schwer sein müsse.

Die Beraubung des Ermordeten, und zwar zu einem nicht unansehnlichen Betrage, wurde dadurch gewisser. Zugleich war ein erhebliches Moment für die Entdeckung des Thäters gewonnen. Es kam zunächst Alles darauf an, die beiden Begleiter des Ermordeten und den Lohnkutscher, der sie gefahren hatte, ausfindig zu machen. Der Wagen war von Nordwesten gekommen. Er war in gerader Richtung auf der breiten Landstraße weiter gefahren, nach der Gegend hin, in welcher die Leiche gefunden war. Er war nachher nur noch einmal wiedergesehen, an demselben Abende, auf der nämlichen Landstraße, ungefähr vier Meilen herwärts, noch ungefähr anderthalb Meilen von der Stelle entfernt, wo die Leiche im Walde gefunden war.

Am Montag früh war die Leiche gefunden. Etwa vierundzwanzig Stunden vorher hatte, nach dem Urtheile der Aerzte, der Mord verübt sein können, also am Sonntag Morgen, auch in der Nacht vom Sonnabend bis auf den Sonntag. Am Sonnabend Abend war der Wagen in jener Gegend auf der Landstraße gesehen, ungefähr noch anderthalb Meilen von dem Orte des Ausfindenn der Leiche entfernt. Er war weiter gefahren. Nach ungefähr einer Stunde mußte er an der Stelle vorbeigekommen sein, an welcher in die Landstraße ein nach dem Heimathdorfe des Ermordeten führender Seitenweg einmündete. Der Weg lief mitten durch den Forst. Ungefähr dreihundert Schritte davon war die Leiche gefunden. Nach dem Allen war Folgendes anzunehmen: der Ermordete war bis an jene Einmündung des in sein Heimathdorf führenden Weges im Wagen und in diesem auf der Landstraße geblieben. In der Nähe der Einmündung des Weges war er ausgestiegen, hatte denselben zu Fuße eingeschlagen und ihn durch den Wald verfolgt. Er war in diesem erschossen und beraubt.

War er allein ausgestiegen, oder in Gesellschaft, und in welcher? War er allein in den Wald gegangen, oder hatte ihn Jemand begleitet, und wer? War er von einem Begleiter, oder von sonst Jemandem überfallen worden? Auf alle diese Fragen fehlte die Antwort. Es war nicht einmal festzustellen, wo der Mord verübt war. An der Stelle, an der die Leiche gefunden wurde, war es nicht geschehen. Keine Blutlache war dort, keine Spur eines Kampfes oder Ueberfalls; Spuren an der Erde deuteten vielmehr an, daß die Leiche dorthin geschleppt sei, um sie in dem abgelegenen Versteck zu verbergen. Aber auch nirgends anderswo im Walde ließ sich eine Stelle entdecken, die Spuren, daß dort das Verbrechen verübt sei, aufgewiesen hätte. Freilich hatte es den ganzen Sonntag über stark geregnet, und sowohl Fuß- wie Blutspuren hatten dadurch größtentheils verwischt werden müssen, ganz verwischt und vertilgt werden können.

Drei Tage waren seit der Auffindung der Leiche vergangen. Der Morgen des vierten sollte plötzlich einen erheblichen neuen Umstand bringen. Der Schauplatz des Verbrechens war in dem nordöstlichen Theile des Gerichtsbezirks. Die Gegend war dort waldig, aber eben. Einen anderen Charakter hatte das Land nach Südwesten hin, also an dem entgegengesetzten Ende des Gerichtsbezirks. Auch dort war Waldung, aber tiefes, rauhes Gebirge.

Aus der Tiefe dieser Gebirgsgegend meldete sich am Morgen des vierten Tages Jemand bei mir, der mir etwas Wichtiges mitzutheilen habe. Seine Mittheilung bestand in Folgendem: Er war Krugwirth im Gebirge, an einer alten, seit Jahren durch neu angelegte Chausseen von dem Verkehr abgeschnittenen und fast gar nicht mehr besuchten Landstraße. In der Nacht zum vergangenen Sonntag gegen Morgen war er von dem ungewöhnlichen Geräusch eines Wagens erwacht, der schwerfällig in der steilen und holperigen Landstraße herangefahren kam. In der Nähe seines Hauses hielt der Wagen. Er stand auf, um zu sehen, was es sei, und ob Jemand bei ihm einkehren wolle. Es war draußen noch zu dunkel, als daß er genau etwas unterscheiden konnte. Nach einer Minute ungefähr setzte sich auch der Wagen wieder in Bewegung, und er hörte ihn weiter fahren, tiefer in das Gebirge hinein. Er glaubte trotz der Dunkelheit eine Reisekutsche erkannt zu haben und stellte noch seine Betrachtungen darüber an, wie dieselbe, zumal bei Nacht, in diese Gegend komme, als er ein Klopfen an seiner Hausthüre vernahm. Er öffnete das Fenster und sah hinaus. Er konnte nur einen dunklen Gegenstand gewahren, der sich unten an der Thür bewegte. Er rief hinunter, wer da sei.

„Kann man hier logiren?“ sprach eine weibliche Stimme hinauf.

Der Krüger zündete ein Licht an, ging hinunter und öffnete die Hausthür. Eine Dame in seidenem Kleide, in Shawl und Hut stand vor ihm. Sie trug einen kleinen Reisenachtsack am Arm. Sie war groß und schön.

„Kann ich bei Ihnen logiren?“ fragte sie wiederholt.

Der Wirth ließ sie eintreten und führte sie in die Krugstube. Sie war nicht blos elegant gekleidet, sie sah auch sonst reputirlich und ordentlich aus. Der Krüger fand kein Bedenken ihr zuzusagen, daß sie bei ihm logiren könne. Sie theilte ihm darauf mit, daß sie mehrere Tage zu bleiben wünsche. Sie erwarte hier Jemanden, einen Verwandten, der ihr wichtige Nachrichten zu bringen habe. Es sei aber ein Geheimniß dabei. Sie bat deshalb, ihr ein einzelnes Stübchen anzuweisen, wo sie von den Leuten nicht gesehen werde, und zugleich ihren Aufenthalt gegen Jedermann zu verschweigen. Sie begleitete ihre Bitte mit der Hinlegung eines Doppellouisd’ors, als Vorausbezahlung für Quartier und Verpflegung. Der Krüger sagte ihr auch das Geheimhalten zu. Und er hielt seine Zusage – bis ein Andres hinzu kam.

Am Sonnabend Morgen nach der Auffindung der Leiche war er bei mir. Am Abende vorher war durch Leute, die in der Stadt gewesen, die Nachricht in das Gebirge gekommen, daß auf der anderen Seite der Stadt, in dem Forst, ein schwerer Raubmord verübt sei, und daß dabei viel von einer fremden Dame und von einem jungen Menschen mit dunklen, krausen Haaren und einem großen Bart gesprochen werde. Als auch der Krüger das erfuhr – und er gehörte in der Gegend zu den Ersten, die es erfuhren – wurde ihm die fremde Dame in seinem Hause mit ihrem Geheimniß verdächtig, und er hielt es für seine Pflicht, dem Gerichte Anzeige zu machen. Ein anderer Umstand ließ ihm dies noch dringender erscheinen.

Gleich in der folgenden Nacht, nach der Ankunft der Fremden, also in der Nacht vom Sonntag auf Montag, war wieder an seine Hausthür geklopft worden. Er war aufgestanden und hatte durch das Fenster hinuntergefragt, wer da sei. Eine fremde männliche Stimme hatte um Einlaß gebeten.

„Zu welchem Zwecke?“

„Um ein Glas Bier zu trinken.“

„Dazu öffne er in der Nacht nicht.“

„Er habe auch noch sonst ein Anliegen,“ hatte der Fremde gesagt. „Er werde gut bezahlen.“

Der Krüger hatte wieder Licht angezündet, war hinunter gegangen und hatte geöffnet. Ein großer Mann stand vor ihm, tief in einen Mantel gehüllt, einen niedrigen, breitkrämpigen Hut tief in das Gesicht gedrückt. Von dem Gesichte war, zumal bei der trübe brennenden Lampe, im eigentlichen Sinne des Worts, nur der Bart zu sehen. Es war ein schwarzer, krauser Vollbart. Der Krüger ließ ihn ein. Im Hause erklärte der Fremde, seine Absicht sei nur, zu der Dame geführt zu werden, die seit der gestrigen Nacht hier sei. Er müsse sie dringend sprechen. Er sei der, den sie erwarte. Der Wirth führte ihn zu der Stube der Dame. Der Fremde klopfte an die Thür und rief dabei zwei Worte in einer fremden Sprache. Wenige Minuten darauf wurde die Thür von innen geöffnet.

„Ich werde den Herrn schon wieder hinauslassen,“ sagte die Dame zu dem Wirth. „Sie brauchen nicht aufzubleiben.“

Der Wirth legte sich wieder zu Bett, schlief bald ein und hatte nicht gehört, wann der Fremde sich wieder entfernt hatte. Am andern Morgen war er fort. Hinterher fiel es dem Wirlh ein und auf, daß der Fremde mit einer sonderbar gedämpften, wie absichtlich verstellten Stimme gesprochen habe. Verdächtig war ihm das Alles geworden, als er die Nachricht von dem Raubmord gehört hatte.

Der fremde Mann war nicht wieder da gewesen. Die Dame war noch da, als er in die Stadt ging, die gerichtliche Anzeige zu machen. Bei seinem Weggehen von Hause hatte er, um keinen Verdacht zu erregen, gesagt, daß er zu einem Wochenmarkte in der Nachbarschaft gehe. Er war ein ebenso gewissenhafter, wie vorsichtiger Mann. Seine Mittheilung war dem Anscheine nach von großer Wichtigkeit. Zeit und Persönlichkeiten wiesen dringend darauf hin, daß die beiden Fremden die Personen seien, die sich fast

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