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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

feinem, interessirtem Sinne abgelauscht sein. Ein freistehendes, halbverschneites Vogelnestchen im kahlen, entblätterten Strauche erzählt uns noch lange nicht die ganze Geschichte seines Ursprungs. Die ist ein Frühlings- und kein Wintermärchen. In den Frühling denn mit den Erinnerungen von vielen Jahren! –

Wenn die Rothbuche den durchsichtigen, grünlichen Schleier über das Haupt geworfen, wenn Schwadengras (Glyceria fluitans) und Binse vom dunklen Grunde empor nach dem warmen Lichte verlangend ihre Wurzelblätter ausstrecken und der wunderliche Huflattich die röthlichen Blüthenkolben, von keinem Blatte umfangen, wie Schachfiguren auf den feuchten, schwarzen Boden stellt, dann ist es bei den Vögeln schon lange Frühling geworden, auch ohne seine Hauptzeugen, das Schwalbenpärchen. Sie hatten ihres liebsten Freundes Nähe längst ahnend empfunden, wie eine begabte Natur die der andern. Aber wessen das Herz voll ist, deß geht der Mund über – und bei ihnen der Schnabel. Spatzen und Meisen fangen zuerst an. Ihnen geht’s im März schon gut genug gegen den Winter. Das weiß auch die Goldammer auf der Dachfirste. Träumerisch läßt sie das Schwänzchen herunterhängen, hat das Gefieder aufgeblasen, und singt leise und so recht innig ihre kurze, rührende Strophe. Und wißt Ihr, was das Liebchen bedeuten soll? Es hat bei uns auch einmal ein Dichter dasselbe gesagt:

Wohl war uns der Winter ein harter Gast,
Den armen, den trauernden Vögeln verhaßt.

Das fällt dem Aemmerling wieder Alles ein, indem er so singt, wie er vor kurzem noch vor dieser oder jener Thüre gebettelt, und wie er vor der Scheune auf dem Zaune saß und so sehnsüchtig wartete, die Katze möchte endlich davongehen, damit er die von der Tenne springenden Körnlein auflesen könnte. Immer mehr vergrößert sich indessen von Tag zu Tag das Vogelconcert. Ein Zauberer hat mit seinem Stabe aufgeschlagen, daß sich die Tonwellen nun weiter und weiter verbreiten durch Wald und Feld, wie die Wogen um einen in’s Wasser gefallenen Stein. Der Zauberer heißt Frühling, und jedes seiner Lieder ist ein Liebeslied.

Aber die anderen alle schwatzten nur von seinem beginnenden Regimente, wie die Nachricht von der Ankunft eines Fürsten murmelnd durch das Volk läuft. Da kam seine officielle Heroldin, die Lerche. Eine „tönende Rakete“ steigt sie in die Wolken. Scharfen Auges bewacht sie das unter ihr liegende Feld. Soweit ihr Lied gehört wird, will sie auch das Land besitzen, den alten römischen Rechtssatz umkehrend und behauptend: cujus coelum, ejus solum. Mit Schnabelhieben und Spornstreichen werden die Nebenbuhler aus den Revieren vertrieben, bis endlich der Lenz jedem der noch übrigen Vagabunden ebenfalls die Heimath angewiesen hat, und nun Landfriede herrscht.

Mit Liedern ist um ein Weibchen geworben worden, unter Liedern ist das Nestchen erbaut hinter der schützenden Scholle. Und als sie das erste erdgraue Eichen hineingelegt, da war der Seligkeit kein Ende. Bis es im Abendrothe schwimmt, und die Felder unten schon alle dunkel sind, jubelt das Männchen noch oben in den Wolken. Aber zuletzt muß es doch herab; denn was ausgegangen von der Scholle, muß immer wieder dahin zurück. Doch so schnell kann der begeisterte Vogel noch nicht zu irdischem Schlafe die Augen schließen. Ueberall auf der Brache singen die Lerchen noch fort – Hunderte – leiser zwar ein wenig und träumerischer, doch fast wunderbarer und süßer, als oben fern am Himmel. Es ist, als hätten sie ihn zur Nacht mit sich auf ihren Flügeln heruntergetragen, daß er sich unmittelbar auf die müde Erde decke, und als sängen sie nun noch fort, wie zwischen den Wolken, die als Nebel die Häupter der stillen, kleinen Blumen streifen.

Und allmählich erlöschen die Lerchenstimmen, eine nach der andern, wie die Lichter in den Dörfern gegen Mitternacht hin. Wie die Lerche ihren Nistplatz, wenn auch nicht erobern, so doch behaupten mußte gegen Andere ihresgleichen, so geht es ebenfalls bei den übrigen Vögeln zu. Jedes Lied, möge es vom Wipfel der schlanken Tanne herab ertönen, oder aus dem dichten Rohrwalde des Stromes, von der unfruchtbaren Felsenkuppe, mit spärlichem Grase bewachsen, wie das Haupthaar eines Greises, oder aus dem blühenden Apfelbaume, – jedes Lied war ein Kriegslied und ist ein Triumphgesang geworden.

Aber wie glücklich sind die Vögel nicht daran! Jede schmetternde Fanfare, die dem Feinde sagen soll: „wahre Dich, hier wohnt schon ein Herr!“ lockt zu gleicher Zeit die Liebe, daß sie komme und ein Nestlein baue. Und wenn die Männchen auf dem Zuge zusammen gegen Abend eingefallen sind und zu singen anheben, im Liederstreit, eines immer süßer, als das andere, dann kommt sie auch über Nacht und im Traume, wie in jener hebräischen Sage. Stille hat sich das schönste Weibchen, das weiblichste, zu dem besten Sänger, dem männlichsten, begeben, und fort ziehen sie am anderen Morgen mitsammen, bis wo die Haide mit der verblühten Erica vom vorigen Jahre, das weite Stromufer oder der stille Waldfleck wieder einem Paare frischer Vogelherzen Schauplatz ihrer Liebe und ihres Lebens werden soll.

Möge das starke Geschlecht nach draußen hin seinen Kampf haben und seine Lieder: anspruchslos, wie sogar in den unscheinbaren Farben des Kleides, schaffen die Weibchen emsig und ruhig die Wiege für die Kleinen. Da wird jeder Vogel dreister und zutraulicher. Auf den Waldwegen sitzen die Finken, Meisen und die kleinen Sänger und zupfen die Halme und festgefahrenen Federn aus den Wagengeleisen, oder spähen nach ausgefallenen Haaren auf den Viehtriften. Der Weih (Milvus regalis) schleppt die wunderlichsten Raritäten aus der Nähe der Dörfer herbei, Alles, was nur irgend weich zu sein verspricht, ordnungslos in seinem Horste zusammenpackend. Grasbüschel, ein alter Eichkatzenschwanz, den vielleicht der Baummarder von seinem Fraße übrig gelassen, Lappen und Papierfetzen finden sich hoch oben in der luftigen Nachbarschaft wieder, und einmal fiel dem Schreiber dieses aus einem solchen Horste sogar ein veritabler ländlicher Liebesbrief in die Hände, wo noch deutlich zu lesen war, wie sie sich nach ihrem lieben Martin sehnt, der jetzt in Berlin „bei das achte Regiment“ steht.

Maigrün ist die Welt, alles Leid des Winters ist vergessen, und der Schnee, der jetzt noch fällt, stäubt von den Aepfelbäumen oder den Schlehdornhecken. Und mitten in all dieser blühenden Pracht, diesem Königreiche von Licht, Farbe und Duft, sitzt der Vogel mit der jauchzenden Kehle, Reichsherr und Reichsherold zugleich. Aber wenn auch die ersten lauten Frühlingstöne der Standvögel schon an warmen Februartagen einen Glauben verriethen, der fast Berge versetzen konnte, der Liebe hatten sie doch mehr, und sind kein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Die Liebe aber ist überall ein Kind des Geheimnisses.

Da huscht es denn durch die blühenden Büsche, da arbeitet es an heimlichen Stellen auf den Wiesen, und macht eine Kuhfährte größer und dreht mit Brust und Steiß, damit das Loch rund und glatt werde, damit es mit den paar Halmen ausgelegt werden könne, auf denen die vier Eier, alle mit den Spitzen nach innen, liegen sollen. Da gräbt sich’s sogar mit zartem Schnäbelchen und Füßchen tief in die Erde, wie die Uferschwalben, die sonst um die Sonnenstrahlen über den Stromspiegeln flattern. Da hat es heimlich sogar zu dem Zweige, der sich über unserem Fenster dicht an das Haus lehnt, Halme und Federn getragen, ohne daß wir eine Ahnung davon hatten, bis der Winter mit den hämischen Händen das kleine Geheimniß zerzupfte. Die Spechte haben die Stämme bis zu ihrem Kerne für die zu erwartende Nachkommenschaft ausgemeißelt, und die Kleiber (Sitta caesia, Meyer) in den vorjährigen Wohnungen die Hausthüren wieder halb zugeklebt, wenn sie für ihre Feinde auch weit genug waren. Und wie zierlich haben sie aus Halmen und Federchen geflochten, wie glatt und rund und nett in die Erde oder in die Stämme gebohrt! Ihr Haus und ihr Kleid, ihr Lied und ihr Leben, Alles athmet Anmuth bei den Vögeln.

Und wenn ein Vöglein wirbt! Wie da das Männchen sich so schmiegt und wendet um seine Liebe herum, wie es da so süß singt, so gut es die kleine Kehle eben vermag, wie es da dem Baumaterialien herbeischleppenden Weibchen entgegenfliegt und ihm schäkernd zum Neste folgt, dann über dem ordnenden und flechtenden auf die blühenden Zweige hüpft, und wie aus seinem vollen Herzen der Jubel hervortönt, für den nur einer bevorzugten Menschenbrust ähnliche Laute bescheert worden! Wehe der Hand, die sich frevelhafter Weise an einem Vogelneste vergreift!

Maigrün ist die Welt. Alle Vögel singen, und das rothe Abendlicht tanzt nach ihrem Liede in den Baumkronen. Immer dunkler wird es und leise rauscht es in den Wipfeln. Langsamer folgen die Strophen allmählich und langsamer, bis eine nach der andern ganz ausbleibt. In den Fliederbüschen am Gartenzaune schlägt zuletzt noch die Nachtigall allein. Warm, dunkel und feucht kommt die Nacht gezogen, und immer heißer athmet der Flieder seine Düfte, und immer mächtiger singt der Vogel, daß man fast

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_345.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)