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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

dadurch nicht decontenanciren. Setzen Sie seinen satirischen Ausfällen kalte Zuversicht entgegen und lassen Sie es meine Sorge sein, Ihre Antworten dem Herrn Brigadier mundgerecht zu machen. In Betreff des schriftlichen Examens darf ich wohl annehmen, daß sich der cameradschaftliche Sinn, den ich bei Ihnen voraussetzen darf, der schwächeren Commilitonen annehmen wird. Adieu, meine Herren; ich wünsche Ihnen einen vergnügten Abend.“

Der Lieutenant verließ freundlich grüßend unseren Kreis. Wir befanden uns noch unter dem wohlthuenden Eindruck, den die Ansprache dieses Officiers auf uns gemacht hatte, als sich einer der Cameraden, der Unterofficier v. Sorgen, für eine kurze Anführung das Wort erbat. Der Camerad v. Sorgen stand bei der ersten Compagnie, die in Münster garnisonirte, und war darum mit den Persönlichkeiten, die zu dem Tentamen in Beziehung standen, genau bekannt. Es war eine kleine untersetzte Gestalt, dessen volles Gesicht von Selbstbewußtsein, Sorglosigkeit und Gesundheit strotzte. Seine ganze Erscheinung trug ein wunderlichen Gemisch von Derbheit und Schalkhaftigkeit, naiver Einfalt und berechneter Schlauheit zur Schau.

Mit schalkhafter Wichtigkeit hob er an: „Erlauben Sie mir, meine Herren Cameraden, die etwas periphrasirte Auslassung des Herrn Lieutenant v. Radel aus der Enveloppe zu schälen, in welche sie so künstlich eingehüllt ist, und Ihnen dieselbe in ein allgemein verständliches Deutsch zu übersetzen. Der Herr Lieutenant wollte sagen: „Jungens! eigentlich wißt Ihr Alle nichts, aber durchfallen werde ich Euch deshalb doch nicht lassen. Beantwortet meine Fragen nur rasch und fest, mit der Unverschämtheit, die Euch ja sonst nicht fremd ist, und ich werde aus dem ungeheueren Unsinn Eurer Entgegnungen schon ein Körnchen herausfinden, welches ich dem Alten, der auch gerade kein mathematisches Genie ist, als pures Gold, gewonnen aus dem Schachte Eueres Wissens, vorlegen kann. Damit wird der Alte zufriedengestellt, und hierauf kommt es lediglich und allein an.“ Dies ist der langen Rede kurzer Sinn, und ich habe nur noch hinzuzusetzen, daß ich denjenigen für einen leibhaften Einfaltspinsel, für ein furchtsames altes Weib halten müßte, der nach einer solchen Andeutung noch an ein Nichtbestehen in dieser Wissenschaft denken wollte. Für mich, obgleich ich wahrlich kein besonderer Freund mathematischer Probleme und Calculationen bin, soll die Stunde des Tentamens zugleich eine Stunde des Triumphes sein. Ich werde die an mich gestellten Fragen mit göttlicher Unverschämtheit beantworten, und dadurch in der Meinung des Alten zu einem Vega oder Tempelhof emporsteigen. Nehmen Sie sich an meinem Selbstvertrauen ein Beispiel und reißen Sie die Furcht und den Kleinmuth aus Ihren Herzen.“

Der dicke Camerad machte hier eine kurze Pause, zog eine Tabaksdose hervor, nahm bedachtsam eine Prise und fuhr dann fort: „Die größte Sorge sind wir somit los. Lassen Sie uns dafür dankbar sein. Ein dreimaliges volltöniges Hurrah für den Lieutenant v. Radel, wäre wohl ganz an seiner Stelle, verschieben wir dasselbe aber lieber bis auf heute Abend. Ich erlaube mir nämlich, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß es bei „Fust“ ein herrliches Glas „Münstersches Alt“ gibt, was selbst Gambrinus, der gerstenkundige König, nicht verachten würde, und lade Sie ein, dort zu erscheinen, um bei vollen Humpen des „edlen Stoffes“ unserer Verpflichtung gegen den Lieutenant v. Radel dankbarlichst nachzukommen. Auch wird uns eine kleine Stärkung nicht schaden, denn die „Millionenhunde“ und andere dergleichen zarten Benennungen, die der Alte morgen auf unsere erleuchteten Köpfe regnen lassen wird, werden Legion sein. Der edle Stoff macht aber den Geist elastischer und gegen die Zungenblitze des Herrn Brigadiers unempfindlicher. Ich weiß das aus tausendfältiger Erfahrung und bitte Sie deshalb, meinen Vorschlag in Erwägung zu ziehen.“

„Wir kommen,“ erschallte es mit Einstimmigkeit aus unserm Kreise.

„So darf ich mich also wohl für beauftragt halten, die nöthigen Arrangements zu unserer Aufnahme in dem bezeichneten Locale zu treffen?“ fragte v. Sorgen.

„Gewiß, wir bitten darum,“ lautete die einstimmige Entgegnung.

„Also auf Wiedersehen!“ rief der dicke Camerad, indem er, sich vergnügt die Hände rieb und die Freuden des bevorstehenden Bacchanals bereits zu empfinden schien.

Der Appell war beendigt; der Kreis löste sich auf, und wir gruppirten uns je nach den verschiedenen Vorschlägen, die für das Amüsement des Nachmittags gemacht wurden. Einige benutzten die noch übrige Tageszeit, um die Merkwürdigkeiten der alten Stadt in Augenschein zu nehmen, während die Meisten sich nach bekannten Kaffee- und Weinhäusern begaben, um, wie sie sich ausdrückten, eine solide Grundlage für den Abend zu legen.

Es war 7 Uhr Abends. Die Bierstube bei Fust füllte sich nach und nach bis auf den letzten Platz. Der Camerad v. Sorgen hatte es von dem Wirthe zu erlangen gewußt, daß für diesen Abend ein Zimmer ausschließlich für uns reservirt blieb. Die lange Tafel, welche sich durch dasselbe zog, war zu beiden Seiten mit schweren Sesseln aus Eichenholz umstellt, deren Construction und gebräuntes Ansehen auf ein ehrwürdiges Alter schließen ließ. Dieselben waren bereits sämmtlich von Cameraden besetzt, die es sich beim vollen Glase wohl sein ließen. Gleich nach 7 Uhr ordnete sich das Ganze zu einem „Commers“, bei welchem v. Sorgen auf allgemeines Begehr den Vorsitz übernehmen mußte. Unter dem studentischen Formwesen floß der edle Stoff in Strömen, und die zahlreiche Bedienung hatte alle Hände voll zu thun, um die durstigen Kehlen zu befriedigen. Zu den drei Hurrahs auf den Lieutenant v. Radel mußten drei „Ganze“ getrunken werden, womit der Abend gleichsam eingeweiht wurde. Lauter Jubel brauste bald durch das geräumige Zimmer. Der übliche Rundgesang umkreiste in der bekannten Weise die Tafel, in das lustige:

„Sa, sa, geschmaußet“

fiel der Chor mit begeisterter Lustigkeit ein, und als das herrliche „gaudeamus igitur“ intonirt wurde, stimmten Alle mit brausender Begeisterung ein. Ab und zu ergriff auch wohl Einer das Wort und sprach in humoristischer Weise von der zukunftschweren Bedeutung der nächsten Tage; satirische Charakterschilderungen bekannter Officiere knüpften sich daran, und so manche bezeichnende Anekdote aus des Alten ereignißreichem Leben, die sich nicht wiedergeben lassen, weil die Pointen doch etwas schwer verdaulich sind, wurde zum allgemeinen Ergötzen der Anwesenden erzählt und mit Hochs und dröhnenden Hurrahs, die weit über die Wände des Zimmers hinausschallten, aufgenommen.

So rauschte und brauste der Jubel durch viele Stunden ununterbrochen fort, bis endlich manche Zunge unbeweglich und mancher Kopf schwer wurde. Nach Mitternacht lichtete sich der Kreis immer mehr, aber es mochte wohl nicht lange vor Tagesanbruch sein, als die Letzten das Local verließen.

Auf solche Weise vorbereitet, gingen wir der Prüfung entgegen. Es hatte sich Niemand von dem Gelage ausgeschlossen, obwohl wir Alle wußten, daß ein benommener Kopf und ein deprimirender Katzenjammer die natürlichen Folgen des Abends sein mußten.


Der erste Tag der Prüfung brach trübe und düster an. Die bisher freundliche Sonne war in dicke Nebel eingehüllt, die sich später in einen feinen, dichten Sprühregen auflösten, der die ganze Atmosphäre verfinsterte. Noch finsterer sah es in unseren Köpfen aus, die unter den üblen Nachwirkungen der letzten Nacht bis zum Zerplatzen schmerzten. Der Unterofficier v. Sorgen, der allein nicht angegriffen zu sein schien, empfahl uns, „Hundehaare“ aufzulegen, womit er sagen wollte, daß wir einige Seidel des gestrigen Stoffs, welcher unser Unwohlsein veranlaßt hatte, auch gegen den Appetit hinunterstürzen sollten. Er hielt dies Mittel für unfehlbar, uns dagegen erschien es in Berücksichtigung der schweren Stunden, denen wir entgegen gingen, doch etwas gefährlich.

Des Morgens um 8 Uhr versammelten wir uns in dem Locale der Brigade-Schule, wo ein Zimmer zu unserer Prüfung besonders hergerichtet war. Wir wurden angewiesen, nach den Nummern der Compagnien Platz zu nehmen, durch welche Anordnung v. Sorgen, der, wie schon angeführt, bei der ersten Compagnie stand, die Stelle zunächst dem Katheder erhielt, auf welchem der Alte Posto fassen sollte.

Das Personal der Prüfungs-Commission war bereits anwesend. Außer dem Hauptmann Mühler und Lieutenant v. Radel zählten noch zwei Officiere dazu, von denen der Lieutenant Hohnemann unsere Wissenschaftlichkeit im Französischen und in der Geographie und der Feuerwerks-Lieutenant Pohlens unsere Kenntnisse in der Geschichte und in den militärischen Wissenschaften erforschen sollte. Der Ruf bezeichnete den Lieutenant Hohnemann als einen gegen sich und seine Untergebenen gleich strengen Officier, dessen Dienstkenntnisse weit über sein Alter hinausgingen. Er war gerade

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