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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und denselben Abend brachten ihr ihre Bewunderer eine Serenade. – Paris hatte die deutsche Sängerin anerkannt!

Es schien kaum möglich, daß sich nach diesem glänzenden Debüt der Enthusiasmus des Pariser Publicums steigern könnte – und doch war es so. Fidelio besonders erregte einen Sturm des Entzückens. Die verschiedenen Ouvertüren, die Beethoven zu seiner Leonore geschrieben hat, wurden längst in den Concerten des Conservatoire mit unnachahmlicher Meisterschaft vorgetragen, aber die Oper lernte Paris erst durch Wilhelmine Schröder-Devrient in voller Schönheit kennen. „Seht diese Frau, die der Himmel eigens dazu gemacht zu haben scheint, Beethovens Fidelio zu sein!“ ruft einer der französischen Berichterstatter aus. „Sie singt nicht, wie andere Künstler singen; sie spricht nicht, wie wir es gewöhnt sind; ihr Spiel ist den Regeln der Kunst durchaus nicht angemessen – es ist, als wüßte sie gar nicht, daß sie auf einer Bühne steht! Sie singt mit der Seele noch mehr als mit der Stimme, ihre Töne kommen aus dem Herzen mehr als aus der Kehle … sie vergißt das Publicum, sie vergißt sich selbst, um ganz in dem Wesen aufzugehn, das sie darstellt.“ – Der Eindruck war ein so gewaltiger, daß, obwohl nur Haitzinger und der Chor Wilhelminen würdig zur Seite standen, nach dem Schluß des Stücks der Vorhang wieder aufgezogen und das Finale wiederholt werden mußte – was bis dahin noch niemals vorgekommen war.

Neben ihrer künstlerischen Thätigkeit – die deutsche Gesellschaft gab außer den beiden schon genannten Opern: Euryanthe, Oberon, die Schweizerfamilie, die Vestalin, und die Entführung aus dem Serail – wurde Wilhelmine durch das Pariser Leben vielfach in Anspruch genommen. Sie kam mit vielen ausgezeichneten Persönlichkeiten zusammen; die anmuthigen Formen der französischen Geselligkeit thaten ihr wohl; die Kunstschätze der Pariser Sammlungen erschlossen ihr eine neue Welt – ihr Gesichtskreis erweiterte sich in jeder Richtung. Aber während sie das Fremde unbefangen auf sich wirken ließ, und alles Gute und Schöne freudig anerkannte, wuchs und erstarkte in ihr die Liebe für deutsches Leben, deutsche Kunst. „Was wir an unserer Musik haben, ist mir erst damals recht klar geworben.“ sagte sie, „und wenn mich die Franzosen auch noch so enthusiastisch aufnahmen – wohlthuender war mir immer der Beifall eines deutschen Publicums, von dem ich mich verstanden wußte, während bei den Franzosen vor allem die Mode entscheidet.“

Die deutsche Oper war zur ungünstigsten Zeit nach Paris gekommen; die Julirevolution war im Anzuge. Schon verkündigten einzelne Sturmvögel den Ausbruch des Ungewitters, und die politischen Interessen drängten mehr und mehr alles Andere in den Hintergrund. Der Abschied Wilhelminens wurde darum nicht so allgemein beachtet und beklagt, wie der ihrer Vorgängerin, Henriette Sontag, die Paris im Januar verlassen hatte. Nur die Musikverständigen und die ihr persönlich Befreundeten fühlten die Lücke, die sie zurückließ, und ihr selbst war Paris so lieb geworden, daß sie von Herzen in den Abschiedsgruß: „Auf Wiedersehen!“ einstimmte.

Wilhelmine kehrte nach Deutschland zurück; den Rest ihres Urlaubes, der bis zum October währte, benutzte sie zu kleinen Erholungsreisen und Besuchen bei Freunden. Auch ihren Bruder, Wilhelm Smets, suchte sie auf. Er war damals Pfarrer zu Hersel am Rhein, ein stiller Gelehrter, der jeden Augenblick, den ihm die Amtsgeschäfte übrig ließen, den Büchern widmete. Um so größer war darum auch das Erstaunen seiner Pfarrkinder, als in den ersten Septembertagen eine Extrapostchaise durch die Dorfgasse rasselte und vor dem Pfarrhause hielt, wo die unzähligen Koffer und Hutschachteln, womit der Wagen bepackt war, abgeladen wurden. Das Erstaunen wuchs, als bald darauf eine schöne, junge Frau mit blonden Locken am Arme des hochwürdigen Herrn erschien, um Dorf und Umgegend in Augenschein zu nehmen.

Im Pfarrhause war nun für einige Tage ein gar fremdartiges Leben. Vom Morgen bis zum Abend hörte man darin singen, lachen, hin- und herlaufen, und das schöne Gesicht der fremden Frau war bald an diesem, bald an jenem Fenster zu sehen. Von Alt und Jung wurde der Zaun des Pfarrgartens belagert, denn Jeder war begierig, einen Gruß der freundlichen blauen Augen zu bekommen oder die Lieder der Fremden zu hören, die bald lustiger waren, als der lustigste Tanz, bald so traurig, daß dem Lauschenden das Herz still stand und daß ihm Thränen in die Augen stiegen.

So kam die Kirchweih heran, – ein Tag, von dem man noch heute in Hersel erzählen hört, denn Wilhelmine Schröder-Devrient war mitten unter den Fröhlichen, tanzte mit den Bauermädchen um die Wette, sang Volkslieder und österreichische Schnaderhüpfeln, und als das ländliche Orchester einen besonders feierlichen Walzer anstimmte, umfaßte sie ihren hochwürdigen Herrn Bruder, zog ihn trotz seines Sträubens in die Reihen der Tanzenden und ließ ihn nicht los, bis der Walzer zu Ende war. – Aber auch die fröhlichen Tage gingen zu Ende. Der Reisewagen wurde wieder bepackt, der Pfarrer nahm Abschied von der Schwester, und in Hersel kehrte Alles in’s alte Gleis zurück. Im Pfarrhause war es todesstill; die neugierige Jugend drängte sich nicht mehr um den Gartenzaun; der Pfarrer saß wieder wie sonst einsam bei seinen Büchern – aber der Name der Entfernten wurde lange noch, besonders von den Armen, mit Liebe genannt, denn auch hier hatte sie – wie das immer ihre Art war – die Hungrigen gespeist und die Nackenden gekleidet. Und auch sie erinnerte sich gern der Idylle des Pfarrhauses.

Nach dem unruhvollen Leben der letzten Monate hatte ihr das stille Dorf unsäglich wohl gethan, und vor Allem hatte sie das Zusammensein mit dem treuen brüderlichen Freunde erquickt, dessen Namen sie nie ohne Rührung nannte. Als sie, nach Dresden zurückgekehrt, ihre Sachen ordnete und zufällig das Album aufschlug, fand sie neben Goethe’s Versen ein Blatt, worauf der Bruder geschrieben hatte:

„Wenn den Adler schützend auf der Reise
Goethe heißet mit Dir zieh’n,
Steht er mir an, daß den Herrn ich preise,
Der Dir himmlischen Gesang verlieh’n,
Der Dich, Schwester Sängerin, begleite,
Huldvoll lenkend Deines Lebens Stern.
Zögst Du dann auch in die weitste Weite,
Stets vereint sind wir im Geist des Herrn.“

Bis nach Weihnachten blieb die Künstlerin in Dresden und am 1. Januar 1831 begann sie ein Gastspiel in Berlin. Sie wurde vom Publicum mit Enthusiasmus aufgenommen. Der Wunsch, sie ganz für Berlin zu gewinnen, sprach sich so dringend von allen Seiten aus, daß die Direction der Oper – Spontini war damals General-Musik-Director – Unterhandlungen mit ihr anknüpfen mußte.

Sie stellte Forderungen, die heutzutage jeder mittelmäßigen Sängerin gewährt würden, für Wilhelmine Schröder-Devrient wurden sie zu hoch gefunden – (der Taglioni wurde freilich zu derselben Zeit ein Engagement mit 6000 Thaler Gage und drei Monate Urlaub angeboten) – und da Wilhelmine viel zu sehr Künstlerin war, um mit ihrer Kunst Wucher zu treiben, ging sie ohne Weiteres auf die Gegenvorschläge der Direction ein. Der Contract wurde aufgesetzt, Alles war in Ordnung, bis auf die letzte, allerhöchste Bestätigung – plötzlich erfolgt von oben herab abschläglicher Bescheid! Wenige Wochen zuvor hatte Wilhelmine vom Könige, für ihre herrliche Darstellung der Vestalin, ein Geschenk erhalten, auch der Intendant, Graf Redern, war für das Engagement – man fragte und forschte vergebens, was der Künstlerin jetzt auf einmal entgegenstehen könnte.

Und doch lag die Antwort nahe: Wilhelmine verstand sich nicht darauf – und bis an’s Ende hat sie das nicht gelernt – jene einflußreichen Persönlichkeiten für sich zu gewinnen, die sich um jede größere Kunstanstalt drängen, im Dunkeln ihr Wesen treiben, eine Menge Fäden in den Händen haben, durch welche sie auf Directionen und Journale einwirken, und die nichts begehren, als dann und wann einen Tribut aus der Börse des Künstlern, für den sie sich interessiren, oder einen Platz an seinem Tische, oder auch nur das Recht, mit seiner Freundschaft zu prahlen. Wilhelminens ganzer Künstlerstolz empörte sich bei dem Gedanken, auch nur den Schatten eines Erfolges solchen Einflüssen verdanken zu sollen. Noch in der letzten Zeit erzählte sie mit Entrüstung von einem „Geschäft“ in Frankfurt a. M., dessen Besitzer jedem gastirenden Künstler ein Buch überreicht, worin die verschiedenen Huldigungen rubricirt sind: so und so viel für das „Empfangen“ – so und so viel für einmaligen, zweimaligen, dreimaligen Herausruf. Das Rufen während der Scene ist höher taxirt, als nach Schluß des Actes. Auch Blumen- und Lorbeerkränze besorgt der gefällige Mann; Gedichte sogar auf Papierstreifen oder Atlasbändern – der Künstler braucht nur zu wählen – und zu bezahlen! „Auch mir hat man das Buch geschickt,“ sagte Wilhelmine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_303.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)