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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Reisende behalten ihr Prädicat unter allen Umständen und Verhältnissen bei, und man versteht hier unter den Ersteren nur solche, die in einem wissenschaftlichen Interesse oder aus reiner Neugierde die Welt durchstreifen, während der „Waaren-Reisende“ in einem weit beschränkteren Kreis den Gegenstand oder die Waaren an den Mann zu bringen sucht, „in denen er macht“.

Um mit den Ersteren, als den unabhängigsten, zu beginnen, so haben Reisende, die in einem etwas großartigen Maßstab die Welt durchziehen – gleichgültig welchen Zweck sie dabei verfolgen – also solche, die sich an keine Grenzen kehren und, wie der Deutsche sagt, „immer fortgehen und nie wiederkommen“, das Vorurtheil der Menge vollständig zu ihren Gunsten.

Wer einen einzelnen Menschen oder eine Familie todtschlägt, heißt ein Mörder und wird entweder gehenkt oder zu Zuchthaus begnadigt – wer sie dagegen in Masse und zu Tausenden schlachtet, ist ein Held und wird erst nach seinem Tode (in Marmor) ausgehauen. Aehnlich so ist es mit den Reisenden.

Wer sich auf der Landstraße, in einem kleinen District ohne bestimmte Beschäftigung und Arbeit herumtreibt, heißt ein Landstreicher und gelangt in irgend eine Besserungsanstalt, oder wird auch, zum Besten des Nachbarstaates, einfach und in passender Begleitung über die Grenze geschafft. – Wer sich dagegen auf einem recht großen District, womöglich über die ganze Welt, ohne bestimmte Beschäftigung und Arbeit herumtreibt, heißt ein Reisender, und sogar die Polizei ist freundlich gegen ihn.

In Kattun.

Aber auch solcher Reisenden gibt es wieder verschiedene Arten und Classen. Einige ziehen über den ganzen Erdball, um jeden einzelnen Berg so genau auszumessen, als ob sie einen passenden Rock für ihn zuschneiden wollten; Andere sammeln Steine und Pflanzen, wieder Andere balgen Vögel ab, stopfen größere Thiere aus, blasen Fische und Spinnen auf und spießen Schmetterlinge und Käfer, um sie später in besonders dazu bestimmten Kasten durch einheimische Insecten getrocknet fressen zu lassen. Wieder Andere thun von alledem ein Wenig, oder auch gar Nichts; diese wollen nur sehen und genießen, und dabei die Welt „kennen lernen“; alle aber schreiben mehr oder minder dicke Bücher mit passenden oder unpassenden Illustrationen dazu, und ärgern sich nachher über Nachdrucker und literarische Diebe, die von ihnen doch nun einmal leben müssen.

Diese Art von Reisenden ist meist harmlos und wird nur in einzelnen seltenen Fällen durch eine krankhafte Wuth, irgend etwas vorzulesen, gefährlich. Selbst dann ist ihnen aber immer ziemlich leicht auszuweichen, während die zweite Art von Reisenden, die sogenannte Gattung der „commis voyageurs“ vollkommen unausweichlich ist.

Im Fechten.

Diese durchziehen besonders Europa nach allen Richtungen hin, brandschatzen dasselbe zum Besten der Hauptbücher ihrer Principale, wie ihrer eigenen Portemonnaies, und gehören dabei zu den unwiderstehlichsten und unausstehlichsten Exemplaren ihres Geschlechts.

Kenntlich sind sie sehr leicht an ihrem auf der Mitte des Kopfes gescheitelten Haar, an einem kleinen, elegant gearbeiteten und eigenthümlich geformten Lederkoffer, den ein Lohnlakai hinter ihnen her durch die Stadt trägt, wie überhaupt an ihrem ganzen faden Wesen. In Gesellschaft von Damen spielen sie dabei stets die Liebenswürdigen, in Gesellschaft von Herren erzählen sie nur unanständige Anekdoten, und untereinander prahlen sie mit dem Nutzen, den sie ihren Principalen bringen, die sonderbarer Weise alle zu den geizigsten, kurzsichtigsten und ungerechtesten Exemplaren des genus homo gehören.

Der commis voyageur fuhr früher nur in Einspännern, kannte alle Wirthshäuser an der ganzen Straße und war eigentlich der alleinige und unumschränkte Colporteur von Neuigkeiten und Anekdoten für sämmtliche kleine Städte und einzeln gelegene Wirthshäuser. Durch die Eisenbahnen hat sich das freilich bedeutend verändert. Der vermehrte Verkehr sendet jetzt seine Boten und Zeitungen nach allen Winkeln aus, und dem commis voyageur widerfährt es zuweilen, daß er nach Vortrag einer, wie er glaubt, nagelneuen Anekdote ein altes Heft der Fliegenden Blätter vorgezeigt bekommt, in dem er auch eine Illustration dazu findet. So fährt er jetzt meist mürrisch über die unpassende Gesellschaft, aber doch aus Sparsamkeitsrücksichten dritter Classe von einer Stadt zur anderen. Es versteht sich indeß von selber, daß dem Principal zweite Classe dafür verrechnet wird.

Die commis voyageurs machen in verschiedenen Artikeln, als da sind: in kurzen und langen Waaren, in Knöpfen, Wein, Kattunen, Schwertern, Lederwaaren, Glas, Scheeren, Stecknadeln und tausend anderen Gegenständen. So verschieden aber auch das Product, mit dem sie umgehen, so gleich und ähnlich sind sie sich im Ganzen untereinander, und wenn es einen Superlativ unter ihnen gibt, so bilden diesen nur die in Wein machenden, also die sogenannten und überall bekannten Weinreisenden. Es sind dieses die liederlichsten und unvermeidlichsten von Allen, und so hartnäckig sie Nachts in ihrem Hotel hinter Flaschen und Gläsern sitzen und keine frühere Polizeistunde als zwei oder drei Uhr Morgens anerkennen, so unabweislich sind sie, wo sie einem alten oder neu zu gewinnenden Kunden ihrer „weltberühmten Firma“ ein Faß saueren Weines aufhängen wollen – und auch wirklich aufhängen, denn sie gehen einmal nicht eher wieder fort. Doch ihr Charakter ist geschichtlich geworden und deshalb eine weitere Beschreibung derselben völlig unnöthig.

Ein so zahlreiches Corps nun diese commis voyageurs bilden, so haben sie doch noch, und zwar seit Errichtung der Eisenbahnen, eine neue Gattung beigefügt bekommen, und zwar: die Diplomaten, die wir jetzt nothwendig dieser Classe einreihen müssen. Die Diplomaten machen eben „in Politik“, wie Andere in Kattun, Band, Stecknadeln oder Wein, nur mit dem Unterschied, daß sie zweite Classe fahren und erste berechnen, nie auf ihre Principale schimpfen, überhaupt außerordentlich vorsichtig in ihren Ausdrücken sind, Alles „gewußt haben“ (wie sich erst später herausstellt), nie etwas verrathen und Adressen statt Preiscourante bei sich führen. Uebrigens stiften sie im Ganzen, bei einem vortrefflichen Gehalt und noch besseren Diäten, mehr Unheil als alle übrigen commis voyageurs (selbst inclusive Weinreisende) zusammen.

Gleich nach den Diplomaten, von diesen aber sehr verschieden, kommen wir zu den sogenannten „armen Reisenden“, eine sehr wunderliche und gemischte Menschenclasse, deren Existenz aber, im Gegensatz zu den vorigen, durch die Eisenbahn einen sehr bedeutenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_268.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)