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daß sie zu ihrem schwarzen Frack einen Degen tragen. Es soll das aber nicht feierlich sein, es ist nur die alte, in der Schweiz conservirte deutsche Sitte, daß die Männer in den Versammlungen bewaffnet erschienen.

In dem Proceß Leuthold fungirte als Präsident des Schwurgerichts der Oberrichter von Orelli, ein eben so tüchtiger Jurist, wie humaner Mann. Beisitzer waren ein Bezirksgerichtspräsident und ein Bezirksrichter aus dem Canton. Die zwölf Geschworenen waren meist vom Lande, ein paar Bezirksgerichtsschreiber, mehrere Gemeindevorsteher und Gemeinderäthe. Aus der Stadt Zürich war nur ein Particulier da. Die sechs Angeklagten waren und saßen auch so in der Reihe:

Jacob Leuthold, ein Mann von etwa sechzig Jahren, der aber wie ein Siebenziger aussah. Er war früher ein vermögender Mann gewesen, aber ein träger, schlechter, liederlicher Wirth, der Alles durchbrachte, dann Betrügereien machte, mehrmals in’s Zuchthaus kam und im Jahre 1854 seine jetzige Frau, die Hauptangeklagte, heirathete, um mit ihr in Gemeinschaft das Geschäft des Betrügens desto besser fortsetzen zu können. Er war ein hagerer Greis, saß auf der Angeklagtenbank immer unbeweglich und mit einem unbeweglichen, freundlichen und nichtssagenden Gesichte. Man konnte aus seinem Äeußeren während der ganzen Verhandlung nicht entnehmen, ob er in höchstem Grade bornirt, oder ein alter Gauner war, der den Idioten spielt. Der Fall zeigt freilich deutlich genug das Letztere.

Die Frau Leuthold, eine schon bestrafte Betrügerin, 39 Jahre alt, etwas corpulent, von Gesicht schön; der sinnlich stark aufgeworfene Mund trat unangenehm hervor. Ihre Kleidung war einfach; ihre Haltung durch und durch gemacht und berechnet. Am ersten Tage saß sie ununterbrochen still vor sich hin, die Hände über den Knieen gefaltet, die stets niedergeschlagenen Augen unverwandt auf die Hände gerichtet. Man konnte nur einmal in diese Augen blicken, und da sah man denn freilich hell glühende Katzenaugen. Ihr Mann, vom Präsidenten befragt, hatte sich als völlig unschuldig und von seiner Frau ohne sein Wissen zum blinden Werkzeug mißbraucht darstellen wollen. Da hob sie ihre Augen zu ihm auf, kein Wort sprechend, aber mit einem Hohne, mit einer Verachtung und mit einer Bosheit, wie nur ein recht böses Weib ihrer fähig ist. Es war das einzige Mal, daß sie während der zwei Tage, die sie unmittelbar an seiner Seite saß, ihn ansah. Gesprochen hat sie kein Wort mit ihm. An dem ersten Tage war es auch das einzige Mal, daß sie überhaupt aufblickte. Selbst wenn sie dem Präsidenten antworten mußte, erhob sie sich zwar – wie das Gesetz es befiehlt – aber ihr Auge blieb unbeweglich zur Erde niedergesenkt. Am zweiten Tage verfuhr sie anders. Sie blickte freier umher, aber mit der Miene des stillen und tiefen innerlichen Leidens. Man würde an eine Miene der gekränkten Unschuld gedacht haben, wenn sie nicht – in der Hauptsache – schuldig plaidirt hätte. Leidend, sanft, einschmeichelnd und unschuldig war auch ihre Stimme und ihre Sprache, und ruhig und langsam waren ihre Bewegungen. Sie war eine äußerst verschmitzte und gewandte Betrügerin.

Auf sie folgten in der Reihe der Angeklagten die Eheleute Mobiliarhändler Kambli. Beide im mittleren Lebensalter, gewöhnliche Menschen, gewöhnliche Gesichter; der Mann wegen Betrugs schon bestraft.

Die unverehelichte Anna Messerschmidt, ein junges, hübsches Mädchen, „ein hübsches Frätzchen“, wie ihr Vertheidiger sagte; eine Verbrecherin, eine Betrügerin sah man ihr wahrhaftig nicht an. Sie war es auch nicht. Sie ernährte sich als Weißnäherin bei der sechsten und letzten Angeklagten.

Dies war eine Wittwe Suter, Lohnwäscherin, 40 Jahre alt, früher hübsch gewesen, jetzt mager, mit einem Gesichte, aus dem man nicht viel herauslesen konnte. Ihr Ruf sollte kein besonderer sein.

Sämmtliche Angeklagte waren wohnhaft in Zürich. – Der ihnen schuldgegebenen Verbrechen waren fünf, alle als Betrug charakterisirt. Der erste war der durch den Mißbrauch des Namens Kunz verübte. Sein Betrag war zu 14,000 Franken angegeben. Der Betrogene war ein Militair-Instructor aus dem Canton Zürich, Namens Weidmann. Angeklagte waren die Ehefrau Leuthold, und als ihr Gehülfe ihr Mann. Der zweite sollte an dem Silberarbeiter Knecht in Zürich zum Betrage von 1158 Franken verübt sein. Die Frau Leuthold war allein angeklagt. Das Opfer des dritten sollte ein Dr. A. aus dem Canton Zürich sein. Er war als „unbenannter Betrug“ bezeichnet. Theilnehmer waren die sämmtlichen Angeklagten, mit Ausnahme des Ehemanns Leuthold.

Außerdem war die Ehefrau Leuthold allein noch zweier Betrügereien zum Betrage von 300 und 400 Franken angeklagt, die sie unter lügenhaften Vorspiegelungen zweien Aufwärterinnen im Spitale zu Zürich, beziehungsweise dem Gastwirth zum Bären in Bern als Darlehen abgeschwindelt hatte. Dieser beiden letzten war die Angeklagte geständig. Sie kamen daher nach dem Zürcherischen Strafproceßgesetze vor den Geschworenen nicht weiter zur Verhandlung. – Der Betrug gegen Weidmann war der schwerste und wichtigste Fall. Er wurde zuerst verhandelt. Die Ehefrau Leuthold hatte auch hier schuldig plaidirt. Aber ihr Ehemann leugnete. Deshalb die Verhandlung vor den Geschworenen, in der die Frau nur als Zeugin (Kronzeugin im englischen Recht) vernommen werden konnte.

Das Zürcherische Strafverfahren unterscheidet sich von dem französischen (und diesem nachgebildeten neuen deutschen) unter Anderem auch dadurch, daß keine ausführliche Anklage verlesen wird. Das Verbrechen wird von dem Präsidenten des Gericht nur mit wenigen Worten ganz allgemein bezeichnet, nicht mehr, als ich es oben gethan habe. Es wird dann auch nicht der Angeklagte verhört. Es beginnt vielmehr sofort die Vernehmung der Zeugen (durch die Parteien selbst), und erst nach deren Vernehmung hat der Präsident die Verpflichtung, an den Angeklagten Fragen zu richten, hauptsächlich zum Zwecke der Vertheidigung. Die Vorzüge dieses Verfahrens leuchten Jedem ein, der von den leidenschaftlichen, von vornherein auf Captivirung der Geschworenen und moralische Vernichtung der Angeklagten berechneten Anklagen des modernen Verfahrens, sowie von den nur zu oft mit empörender Einseitigkeit vorgenommenen inquisitorischen Verhören der Angeklagten, namentlich durch französische Assisenpräsidenten, nur einmal etwas gehört hat. In Zürich entwickelt der Fall sich dramatisch von selbst, ohne alle jene Uebelstände.




1. Betrug gegen Weidmann.

Der Damnificat, Jacob Weidmann, wurde zuerst als Zeuge aufgerufen. Verheirathet, Vater von fünf Kindern, lebte er in dem Dorfe Unter-Embrach, ein paar Stunden von Zürich, in bescheidenen Vermögensverhältnissen, als Landmann und zugleich als Militair-Instructor (Exercirmeister – Unterofficier). Der Mann war auf eine unglaubliche Weise, durch die plumpsten Mittel von der Welt um 14,000 Franken betrogen, um sein ganzes Vermögen. Er war mit Frau und Kind Bettler geworden. Alles war gespannt auf seine Erscheinung. Ein großer, magerer Mann in mittleren Jahren trat ein, mit einem feinen Gesicht, stillem, anspruchslosem Wesen. Welch ein Contrast gegen stolze, ihrer Würde bewußte Unterofficiere anderswo! Aber auch den entsetzlich dummen Betrogenen sah man ihm nicht an. Im Gegentheil, das prüfende Gesicht, das aufmerksame Auge schien recht gut jeden Fehlgriff der Rekruten sehen, jeden Knopf an der Uniform zählen zu können. Warum hatte er der Betrügerin gegenüber so schlecht gesehen und gezählt? Die Habsucht vermag die Menschen arg zu verblenden.

Er erzählte ruhig, wie sein Wesen war. Im Herbst 1858 besuchte er einmal seine Schwester. Diese war an einen Landmann, Namens Boller, verheirathet. Die Eheleute Boller wohnten im Balgrist, unweit Zürich. Er traf bei ihnen eine arme Frau, die sehr leidend war, und klagte, sie sei lange im Spital zu Zürich gewesen, die Aerzte hätten ihr aber nicht helfen können. Er fragte seine Schwester, wer die Frau sei. Es sei eine arme Frau, war die Antwort, die von der Armenbehörde bei ihr, der Schwester, in Kost gegeben sei. Es war die Frau Leuthold. Weidmann sprach damals nicht weiter mit ihr. Aber zu Fastnacht 1859 kam er wieder zu seiner Schwester, und nun erzählte ihm diese, sie werde sehr glücklich werden, jene arme Frau habe zur Belohnung für die Krankenpflege ihr 500 Franken, ihrer Tochter ein Clavier und jedem ihrer Kinder ein einschläfiges Bett und noch mehr versprochen. Woher das Alles? Die Frau Leuthold stehe mit dem Obersten Kunz in Verbindung.

Der Name Oberst Kunz hatte ausgereicht, die Frau Boller zu verblenden. Er hatte auch den Weidmann verblendet. Ob er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_234.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)