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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Weiter. Durch Corridore und Labyrinthe von Gängen hinunter durch die Buchbinderei und Druckerei, wo alle Bücher und Drucksachen für die Bank und nur für die Bank gemacht werden, bis an die Glasthür der Banknoten-Druckerei. Bis an die Thür und nicht weiter. Kurz vorher war einem Besucher von dieser Oldham’schen Notendruckmaschine ein Arm abgerissen worden. Deshalb und um das Wunder besser geheim zu halten, war kurz vorher jeder Besuch Fremder streng verboten worden. Durch die Thür sahen wir eben blos eine complicirte, feine, ruhig und leicht arbeitende Maschinerie mit geheimnißvollen Uhrwerken und Chiffreblättern, durch welche die gedruckten Noten – Fünf- bis Einhunderttausendpfundnoten – genau controlirt und gezählt werden, so daß kein Betrug möglich bleibt. Wir sahen eben, wie zunächst nasse Papierstückchen erst mit mysteriösen Wasserzeichen, dann, von selbst weiter getragen, auf einem, später auf anderen Theilen bedruckt wurden und nach etwa zehnfachen Druckoperationen an einer Stelle von selbst herauskamen und sich vor den Augen eines controlirenden Beamten übereinander legten. Die Maschinerie druckt in ihren verschiedenen Abtheilungen zugleich die verschiedensten Noten, von der Fünf- bis Funfzigpfundnote. Blos die höheren bis zu 100,000 Pfund haben bestimmte Tage.

Im Uebrigen werden hier täglich viel mehr Exemplare dieser größten „Credit-Zeitung“ der Welt gedruckt, als von der Times, da die Bank immer nur neue Noten und keine zum zweiten Male ausgibt.

Wieder durch verschiedene Bureaux und Corridors, deren Merkwürdigkeiten wir bei Seite liegen lassen, kamen wir an einer zahllosen Reihe von langen abgefächerten Arbeits-Pulten voller Menschen vorbei, die zum Theil hinter Stößen von alten Banknoten (die hier zum „Löschen“ gebucht und in großen Bündeln der „Bank-Bibliothek“ für zehnjährige Verwahrung und endliche, tägliche Verbrennung überliefert werden) versteckt waren und hier und da blos mit dem Scalp hervorragten, in den großen Salon des Hauptcassirers, der selbst nicht sehr bei Casse zu sein, sondern nur die Gold- und Notenmassen untergebener Beamter neben und um sich zu dirigiren und zu controliren schien. Rechts neben ihm durften wir durch eine große Spiegelglasthür in das Allerheiligste schauen, aber es nicht betreten. Wir sahen links eine lange Reihe von Glaskasten, in denen niedliche Mechanismen von Rädern, Hebeln und Federn mit goldenen Sovereigns oder Pfundstücken spielten. Diese Sovereigns waren oben an einer schräg in den Kasten führenden Rinne angebracht und wurden von da ruhig und regelmäßig mit feinster Präcision einer nach dem andern – 30–40 in der Minute – über feine, äußerst empfindliche Blättchen oder Plättchen in einen Kasten links geworfen. Nur manchmal – dann und wann – aber selten, bekam einer dieser mechanischen Genien den Einfall, einen Sovereign rechts in einen andern Kasten zu werfen, d. h. jedesmal, wenn ihn die Münze (bis zu einem Hundertstel Gran) zu leicht gemacht hatte.

Dies war also die berühmte Cotton’sche Goldwage. Wir können dieses patentirte, kostbare Geheimniß natürlich nicht schildern und begnügen uns blos mit Andeutung der Operation, so weit sie aus einiger Entfernung zu beobachten war. Ueber jedem Wägekasten befindet sich ein schräg ableitender Cylinder oder Schneller, der die Sovereigns einzeln vor die Oeffnungen des Kastens herabschiebt. Hier operiren zwei Aufnehmeplättchen oder Recipienten für die vollwichtigen und leichten Goldstücke. Dies geschieht durch zwei in rechten Winkeln neben einander angebrachte feine Kolben, die genau so groß sind, daß sie über den Recipienten hinstreichen und das darauf geschobene Goldstück entfernen können. Der eine Kolben streicht über den anderen, der eine just da, wo das vollwichtige Goldstück auf der Wageplatte liegt, der andere darüber weg durch die Spalte, wo der zu leichte Sovereign auf der mit ihm gestiegenen Platte sich befindet. So streicht der eine Kolben die vollwichtigen Stücke links, der andere die leichten rechts weg und spart dadurch die nicht so genaue Wäge-Arbeit von mehr als funfzig Menschen, die früher Tag für Tag ein Stück nach dem andern auf den feinsten gewöhnlichen Goldwagen zu prüfen hatten. Neben diesen still und sicher arbeitenden Reihen von Mechanismen, die täglich bis 100,000 Goldstücke sortiren, schaufelte ein Mann in ungeheuere Haufen von Goldstücken hinein, um immer je 500 Stück auf der Wage zu zählen und immer je zwei Wagschalen in einen Tausendpfundsack zu binden. Solcher Tausendpfundsäcke standen schon ganze große Phalangen neben einander, und der Mann fügte mindestens in jeder Minute einen neuen hinzu, so schnell und sicher arbeitete er mit seiner kostbaren Wage. Wagen sind überhaupt ein Stolz der Bank. Sie rühmt sich der besten in der Welt, namentlich einer, welche schon ein Hunderttausendstel eines Grans und sogar die Wärme einer darunter gehaltenen Hand (als Störung) angibt. Auch sind alle die Hunderte von Gold- und Silberwagen, die in den verschiedenen Bureaux vertheilt sind, so genau und präcis, daß sie nicht nur den Gewichtsmangel des einzelnen Geldstücks allein, sondern mitten in einem Sacke von Tausenden verrathen.

Von unserer Spiegelglasthüre weg traten wir durch verschiedene Gänge, Thüren und Mauerwerke in den „strong-room“, die feuer-, wasser- und bombenfeste Vorrathskammer disponibler Baarschaft, einen langen, schmalen Saal mit einem langen, massiven Zahltische in der Mitte entlang. An beiden Seiten und an der Hinterwand eine einzige, neben einander ununterbrochen fortlaufende Reihe von doppeleisernen, dicken, feuerfesten Wandschränken für Noten oder Gold. Der eine Hüter dieser Schätze, ein freundlicher, dicker Kahlkopf, schloß uns mit Hülfe seines Collegen (deren Jeder einen besondern Schlüssel für die je zwei Schlösser jedes Wandschranks hatte) eine Schatzkammer nach der anderen auf und hatte die Freundlichkeit, Jedem von uns eine ganze Million Pfund Sterling (in zwei Päckchen à 500 Eintausendpfundnoten) ein Weilchen in die Hand zu geben, „just,“ sagte er, „um uns in Stand zu setzen, sagen zu können, daß wir einmal eine Million Pfund gehabt hätten, die in gemünzten Goldstücken 180 Centner wiegen würden.“

Es waren eine ziemliche Menge Schränke mit solchen Papierchen angefüllt; in den andern schien es erst, als wären zusammengeknüllte Strümpfe dicht neben einander aufgeschichtet; es waren aber lauter Tausendpfundsäcke, in jedem Schranke 75, hübsche, schwere Säcke, nicht gut mit einer Hand zu heben, wie man uns probiren ließ, und eine lange, lange Reihe von Schränken, alle eben so hübsch und solid ausgefüllt. Mehreren von uns wurde sehr andächtig, sogar fieberisch zu Muthe in dieser Festung der Sovereigns, welche die Welt regieren und vor welchen sich auch die absolutesten Souveraine beugen; der freundliche Kohlkopf meinte aber, wir solltens uns nicht so zu Herzen nehmen. Das sei Alles Lumperei hier. Respectabel dagegen nenne er die circulirenden Tausende von Millionen, die hier vertreten und solid verbürgt seien im großen, goldenen Keller unten, wo die Goldbarren à 16 Pfund schwer (= 800 Pfund Sterling) wie Feuerholz aufgeschichtet in langen Stößen und Reihen neben einander ständen, ohne die Silberbarren-Gänge und die Haufen ungemünzten Goldes, das die Bank auf Vorrath und Speculation kaufe. Großartig und vielleicht ohne Gleichen sei das Geschäft der Bank, die täglich 1000 Beamten und Dienern (à 50 bis 2000 Pfund Jahresgehalt) vollauf und in der Regel schwere, Kopfnerven anstrengende Arbeit gebe. Sie hat, um einige Hauptgeschäftszweige anzudeuten, unter Anderem über 1,500,000,000 von Potentaten und Privatleuten deponirte Sovereign-Werthe zu wachen, sie zu verwalten und zu verzinsen und muß jeden Tag bereit sein, Geld und Leute haben, Exchequer-Bills, d. h. die auf Autorität des Parlaments ausgegebenen Staatscreditbriefe, die jeden Tag Zinsen tragen (11/2 bis 21/2 Penny auf je 100 Pfund täglich) mit Baar zu honoriren; sie muß über 450 Millionen Pfund Actien-Capital (von Eisenbahnen, Bergwerken, Compagnien verschiedener Art) sichern, verwalten und verzinsen und endlich ganze tausend Millionen Pfund Stocks, Fonds, Consols und verschiedene „Annuitäten“ (verschiedene Namen für die verschiedene Zinsen tragenden Papiere der Staatsschuld)[1] bewirthschaften und immer am 5. Januar und 5. Juli, am 5. April und 10. October mit 3 oder 31/2 Procent, d. h. mit jährlich baaren 30 Millionen Pfund an die Tausende von Inhabern verzinsen. Sie druckt und verbürgt alle in der weiten Welt circulirenden Banknoten, sie kauft, und münzt alle die fabelhaften Massen englisches Gold und Silber, vor welchem sich die Menschen jedes Standes, jeder Farbe und Race beugen, sie thut mit ihren tausend Beamten täglich tausenderlei Dinge, von denen wir schwachen Sterblichen mit unsern paar Groschen klein Geld in der Tasche keine Ahnung haben, uns keine Vorstellung machen können.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_232.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
  1. Sehr lehrreich und vielsagend ist die Thatsache, daß die drei stupidesten Kriege (nach den Folgen beurtheilt) fast allein die englische Nationalschuld hervorgebracht haben. Der Krieg gegen Amerika endete mit 121, der Krieg gegen Napoleon mit 601, der Krieg gegen die Türkei (officiell gegen Rußland) mit 1000 Millionen Pfund Kriegsschulden.