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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Der junge Mann beugte erröthend sein Haupt und sagte: „Der Leichtsinn, gnädige Frau.“

„Wie liebenswürdig der Leichtsinn das sagt! Aber erzählen Sie.“

„Ich fuhr im Postwagen, und es war schon dunkel, als wir in den Wald fuhren; an der Waldschenke hielt der Postwagen, während vor derselben schon ein anderer Wagen stand, in welchem nur zwei Damen waren, die in der Nacht weiterfahren mußten. Es war soeben Nachricht von einer Räuberbande angekommen, die in der Gegend hause, und darum fürchteten sich die Damen, allein zu reisen. Sie baten mich um meine Begleitung, meinen Schutz, und ich war leichtsinnig genug, den Postwagen zu verlassen und sie zu begleiten.“

„Der liebenswürdige Schelm!“ sagte die gnädige Frau wieder, „edle Ritterlichkeit nennt er Leichtsinn. Und wie zerknirscht er ist!“

„O, gnädige Frau, ich habe Grund dazu; doch wie konnte ich Argloser ein Verbrechen, einen so entsetzlichen Verrath ahnen? In dem Postwagen reiste ein Fremder, von dem bekannt geworden war, daß er zehntausend Thaler bei sich führe. Auf einen Raub dieses Geldes war es abgesehen. Die Räuber waren mit in dem Postwagen selbst, ehrbar, sogar würdig verkleidet genug. Ihr Unternehmen hätte dennoch mißlingen können, es erschien ihnen wenigstens gefährlich, solange ich im Wagen war. Ich führte zwei scharf geladene Doppelpistolen mit mir und mußte entfernt werden. Dazu hatten die Schurken jene beiden Damen ausersehen, die zu ihrer Bande gehörten, und sie erreichten ihren Zweck. Bald nachdem ich den Postwagen verlassen hatte, wurde dieser von ihnen ausgeplündert. Dann kamen sie zu dem Wagen, in dem ich mit den beiden Verrätherinnen war, und zum Lohne sollte auch ich jetzt beraubt werden, allein da erschienen die Gensd’armen. Räuber und Weiber hatten nun die Frechheit, mich gar für ihren Chef auszugeben, ich wurde mit ihnen verhaftet und so kam ich hierher.“

„Umarmen Sie mich noch einmal, edler junger Mann,“ rief die Dame. „Aber,“, sagte sie dann mütterlich, „Sie werden von alle den Strapazen angegriffen sein und sich auszuruhen wünschen.“

„Ich leugne nicht, gnädige Frau, daß ich ermüdet bin.“

Die Dame klingelte, und ein Bedienter erschien. „Johann, führe den Herrn in sein Zimmer, Du kennst es.“

Johann kannte das für den erwarteten Herrn Fritz von Horst bestimmte Zimmer und führte den jungen Mann dahin. „Haben der gnädige Herr noch etwas zu befehlen?“

„Ich wünschte in den nächsten zwei Stunden nicht gestört zu werden.“ Als nun der so befreite Gefangene allein war, sah er sich nach den Fenstern, dann durch diese, die in einen gebüschigen Theil des Parks führten, in dem Gebüsche, und darauf in dem Zimmer und nach einigen darin befindlichen werthvollen Gegenständen um. Sein Gesicht wurde dabei immer zufriedener, und zuletzt hätte er auf einmal vor Freude beinahe laut aufgelacht, als er einen Secretair öffnete, einen Blick hineinwarf und ein reizendes Zettelchen mit noch einem andern Gegenstände hervorzog. „Man muß nur wollen,“ rief er, „dann kommt auch das Glück.“ –

Zehn Minuten später ritten wieder Gensd’armen auf das Schloß zu, welche in ihrer Mitte einen gefesselten Gefangenen führten. Es war ein schöner junger Mann, und trotz der gefesselten Hände ging er stolz und mit seinen lebhaften Augen sah er keck und mit seinem kleinen schwarzen Schnurrbärtchen fast übermüthig zu den Fenstern des Schlosses hinauf, dorthin, wo die Damen sein konnten. Aber er wurde von den Gensd’armen seitab auf das landräthliche Bureau zu dem Kreissecretair geführt. „Herr Kreissecretair, dieser ist der Gefährlichste der Bande, wahrscheinlich der Hauptmann.“

Der Kreissecretair maß ihn mit stolzer Würde. „Hauptmann?“ sprach er; „wir wollen ihn –“

Der Gefangene aber lachte und rief: „Vorläufig nur Lieutenant, Lieutenant von Horst, und –“

In dem ersten Moment war es dem überraschten Kreissecretair, als wenn ihm der Gedankenfluß in seinem Gehirn erstarrt sei, dann begriff er und sagte: „Ah, ah, und auch Er will wohl zu der gnädigen Frau geführt sein?“

„Vorläufig nur bei ihr gemeldet.“

„Als Lieutenant von Horst?“

„So sagte ich.“

„Herr Fritz von Horst?“

„Fritz von Horst.“

„Bei der Garde stehend?“

„Bei der Garde.“

„Sohn der Jugendfreundin der gnädigen Frau?“

„Aber zum Teufel, Herr –“

„Und Verlobter des gnädigen Fräuleins –“

„Lucina, Herr, und nun, zu allen Teufeln, lassen Sie mich melden.“

„Der Herr hat auch wohl ein Legitimationsschreiben bei sich?“

„Alle Teufel, ja, Herr.“

„Der gnädigen Frau Mama zu Hause an die gnädige Frau hier.“

„Lassen Sie mir die Fesseln abnehmen, und Sie werden es sehen.“

„Gensd’arm, nehmen Sie dem Gefangenen die Fesseln ab.“

Der Gensd’arm nahm dem Gefangenen die Fesseln ab.

Der Gefangene suchte in seinen Taschen. Aber er fand nicht, was er suchte. „Der verdammte Spitzbube! Er hat mir meinen Brief gestohlen!“

„Aha!“ lachte der Kreissecretair.

Der Gefangene aber erblaßte. „Verdammter Leichtsinn!“ sagte er, freilich nur zu sich selbst. „Aber sie war so hübsch – die schwarzen Locken – Und wer kann Alles vorher wissen? Allein ist das nicht eben der Leichtsinn?“

Der Kreissecretair hielt es an der Zeit, nicht mehr den Humor walten zu lassen, sondern den hohen Ernst des polizeilichen Inquirenten zu zeigen. „Gefangener,“ hob er mit diesem hohen Ernste an. „Er hat seine Rolle bis jetzt gut gespielt. Ich hoffe, Er gibt jetzt der Wahrheit die Ehre. Denn, sieht Er, wenn Er so frech, wie bisher, nur halb so frech, beim Lügen bleibt, so haben wir hier polizeiliche Mittel genug, den Geist der Lüge gründlich auszutreiben.“ Er warf einen Blick nach einer Seitenwand.

Der junge Mann folgte dem Blicke. Es hing dort ein derber Stock, über dessen Bedeutung kein Zweifel herrschen konnte. Das Gesicht des Kreissecretairs wurde bei dem Hinblicke auf das Instrument zum Austreiben des Lügengeistes ernster und würdiger. Dem Gefangenen wurde doch die Stirn feucht. „Aber, mein Herr,“ sagte er, „lassen Sie mich bei der gnädigen Frau melden. Ich versichere Sie, ich bin der Lieutenant von Horst.“

Er erhielt nur die Antwort: „Aber, mein Freund, sowie Er noch einmal die Worte: „gnädige Frau“ und „Horst“ in den Mund nimmt, so, ich schwöre es Ihm, und ich habe noch nie falsch geschworen, so tanzt jener Stock auf Seinem Rücken.“

Das war eine verzweifelte Situation für den hübschen jungen Mann, dessen Augen nicht mehr keck sahen und dem das kleine schwarze Schnurrbärtchen ordentlich beklommen herunter hing. „Verfluchter Leichtsinn!“ kam es nur unter dem kleinen Barte hervor.

„Also,“ fuhr der Kreissecretair in seinem Verhöre fort, „ermahnt ist Er jetzt zur Genüge. Nun antworte Er. Zuerst, seit wann ist Er mit seiner Bande in dieser Gegend?“

„Aber alle Millionen Teufel –“ brach der Gefangene los.

„Er will nicht antworten? Zehn Hiebe hat Er schon verwirkt. Zum Anfange – Executor!“

„Herr Kreissecretair befehlen?“

„Execution!“

Dem Gefangenen stand der volle Angstschweiß auf der Stirne. Da wurde hastig die Thür des Bureau’s aufgerissen. Die gnädige Frau von Eisenring stürzte in das Zimmer. Ihr volles Gesicht war nicht mehr roth, aber fast bedenklich blaß. „Ist er nicht mehr hier?“ rief sie.

„Wen meinen die gnädige Frau?“

„Himmel, er ist nicht hier! Er war ein Spitzbube! Der Räuber, der Anführer der Bande.“

„Den Anführer der Bande haben wir hier, gnädige Frau!“ versicherte der Kreissecretair.

„Nein, nein, er ist fort. Fort mit meinen fünftausend Thalern. Ich hatte sie so zart zusammengepackt, das reizende Zettelchen dabei; dieses hat der Schurke liegen lassen, aber dafür hat er sogar die silbernen Gardinenhalter mitgenommen.“

„Ein richtiger Dieb nimmt Alles mit,“ bemerkte der Gensd’arm.

Der Kreissecretair aber suchte seine Gebieterin zu trösten. „Gnädige Frau, dieser hier soll uns für Alles aufkommen.“

Die Dame sah auf den Gefangenen. Der Gefangene hatte seinen Muth, seinen Humor und Alles wieder erhalten, was der Anblick des polizeilichen Instruments zum Austreiben des Lügengeistes ihm genommen hatte. Er lachte; er konnte nicht dafür, in

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